Die EU hat nach dem »Katargate« Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung angekündigt

Luxus nur für einige

Die meisten Verdächtigen des als »Katargate« bekannt gewordenen Korruptionsskandals in der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament sind aus der belgischen Untersuchungshaft entlassen worden. Das EU-Parlament plant strengere Maßnahmen gegen Korruption.

Mit Eva Kaili ist Mitte April die letzte und wohl prominenteste Figur aus dem mutmaßlichen Korruptionsnetzwerk innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament aus dem Gefängnis entlassen worden. Der belgischen Staatsanwaltschaft zufolge steht die griechische Politikerin nach viermonatiger Untersuchungshaft nun unter Hausarrest und wird mit einer elektronischen Fußfessel überwacht. Ihr und vier weiteren Haupttatverdächtigen wird vorgeworfen, Bestechungsgelder im Wert von über 1,5 Millionen Euro aus Katar, Marokko und wohl auch Mauretanien angenommen zu haben und sich im Gegenzug öffentlich im Sinne der Länder geäußert und Abstimmungen zu ihren Gunsten beeinflusst zu haben.

Im Zentrum der Ermittlungen steht die NGO Fight Impunity, über die die Gelder aus Katar und Marokko nach Brüssel gelangt sein sollen, wie der Spiegel vermutet. Diese NGO setzt sich eigenem Bekunden nach für die Bekämpfung von Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen ein. Ge­gründet wurde die Organisation von Pier Antonio Panzeri im September 2019. Panzeri saß früher für den italienischen Partito Democratico (PD) und bis zur Gründung der NGO für die linkssozialdemokratische Partei Articolo Uno im EU-Parlament. Vor seiner Wahl ins EU-Parlament im Jahr 2004 war er hoher Funktionär beim Gewerkschaftsbund Confederazione Generale Italiana del Lavoro, die lange Zeit der kommunistischen Partei Italiens nahestand.

Schon seit Juli 2022 hatten belgische Ermittler:innen unter der Leitung des Oberstaatsanwalts Antoon Schotsaert mit den Überwachungsmaßnahmen bei den Verdächtigen begonnen. Auch dadurch geriet der ehemalige Parlamentsmitarbeiter von Panzeri und Lebensgefährte von Kaili, Francesco ­Giorgi, in den Blick der Fahnder. Er gilt ebenfalls als Hauptverdächtiger in dem Korruptionsfall. Berichten der Süddeutschen Zeitung zufolge soll er sich noch im Oktober gemeinsam mit Panzeri in einem Hotel in Brüssel mit dem katarischen Arbeitsminister Ali bin Samikh al-Marri zu einer Geldübergabe getroffen haben. Beide, Panzeri und Giorgi, haben belgischen Ermittlungsbehörden zufolge inzwischen gestanden. Panzeri soll sich den Ermittler:in­nen als Kronzeuge in der Korruptionsaffäre zur Verfügung gestellt haben.

Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen stammen die meisten Figuren des mutmaßlich korrupten Netzwerks aus der europäischen Sozialdemokratie.

Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen stammen die meisten Figuren des mutmaßlich korrupten Netzwerks aus der europäischen Sozialdemokratie. So auch die belgischen Abgeordneten des Parti Socialiste, Maria Arena und Marc Tarabella. Tarabella war als Vizevorsitzender im Katar-Unterausschuss des EU-Parlaments tätig. Er wird durch eine Aussage Panzeris belastet, der zufolge er 120 000 bis 140 000 Euro über das Netzwerk erhalten habe. Der Gewerkschafter Luca ­Visentini wiederum hat nach Angaben Panzeris mindestens 50 000 Euro erhalten. Er war von 2015 bis 2022 Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes und kurz vor den Enthüllungen im November 2022 zum Generalsekretär des weltgrößten Gewerkschaftsverbands, dem Internationalen Gewerkschaftsbund, gewählt worden. Visentini, Tarabella, Arena und auch Kaili beteuern ihre Unschuld.

Ein Motiv für die Bestechungen war wohl, dass Katar sich mit den Geldern einen humaneren Anstrich im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 erkaufen wollte. Dies scheint zumindest teilweise gelungen zu sein. So hatte das EU-Parlament am 24. November vergangenen Jahres eine Resolution beschlossen, in der die Menschenrechts­lage in dem Land mit Verweis auf Aussagen des Internationalen Gewerkschaftsbundes teils beschönigend dargestellt wurde. Beschlüsse der Ausschüsse und der Plenarversammlung in Hinblick auf Katar wurden »wahrscheinlich durch Korruption und unzulässige Beeinflussung geändert«, heißt es in einer Resolution des EU-Parlaments vom 15. Dezember 2022 zur Korruptionsaffäre.

Mit Blick auf Marokko ging es Recherchen des Tagesspiegels zufolge unter anderem um ein Fischereiabkommen mit der EU aus dem Jahr 2019. Demnach sind Teile des umstrittenen Territoriums Westsahara der marokkanischen Verwaltung zugeschlagen worden, trotz scharfer Kritik, dass die EU damit den Herrschaftsanspruch über das von Marokko annektierte Territorium anerkannt hat. Bei den Verhandlungen über das Fischereiabkommen spielte der Neuen Zürcher Zeitung zufolge Panzeri eine Rolle dadurch, dass er die Parlamentsdelegation für die Beziehungen zu den Maghreb-Ländern und der Union des Arabischen Maghreb leitete. In dieser Funktion hat er demzufolge Bestechungsgelder von hochrangigen Beamten des Königreichs empfangen, unter anderem von Abderrahim Atmoun, einem marokkanischen Diplomaten, der in Polen arbeitet.

Das Präsidium des EU-Parlaments unter der Leitung von Roberta Metsola kündigte als Reaktion auf den Korrup­tionsskandal vergangene Woche in einem 14-Punkte-Plan Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung an. Darunter fallen strengere Transparenzrichtlinien, eine längere sogenannte Abkühlungsperiode zwischen der Abgeordnetentätigkeit und möglichen Lobbyaktivitäten im Parlament. Auch soll das bisher bestehende Transparenzregister ausgeweitet werden. »Die Reformen sind erste Schritte, um das Vertrauen in die europäische Entscheidungsfindung wiederherzustellen«, sagte Metsola nach der Verabschiedung des Plans. Weitere Maßnahmen sollen am 4. Mai im Unterausschuss über äußere Einflussnahme auf die EU diskutiert werden.