Über »Mercy« von John Cale

Unermüdlicher Avantgardist

John Cale, einst Gründungsmitglied von The Velvet Underground, ist mittlerweile 81. Für sein 17. Studioalbum hat der Waliser mit einer ganzen Reihe junger Produzentinnen und Produzenten zusammengearbeitet.
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»I’m looking for mercy / More and more« lautet die Schlüsselzeile in »Mercy«, Eröffnungstitel von John Cales gleichnamigen, bereits im Januar erschienenen neuen Album. Immer kälter werden die Lyrics, die Wölfe heulen und Leben enden. Alles hier – und so wird es sich durch die insgesamt zwölf Tracks ziehen – bewegt sich gen Abgrund in die Dunkelheit.

Dass der 81jährige Cale auf seinem 17. Studioalbum keine gemütliche Retronummer veranstalten würde, war abzusehen, wie halluzinatorisch dräuend die lang angekündigte Platte jedoch ausgefallen ist, überrascht dann doch. Für die Apokalypse in einer Stunde und elf Minuten hat der Avantgarde-Pionier mit einer ganzen Reihe junger Produzentinnen und Produzenten zusammengearbeitet, darunter Weyes Blood, Laurel Halo und Actress.

Was dem unermüdlichen Avantgardisten Cale bisweilen verlorengeht, sind sein großartiges Songwriting und die Schärfe, die aus der Reibung von Elektronik und akustischen Instrumenten entsteht.

Ihr Dazutun und die hörbar von vielen unerfreulichen Ereignissen der vergangenen Jahre – von der Regierungszeit Donald Trumps über den Klimawandel bis zu Covid-19 und »Brexit« – beeinflussten Texte verankern »Mercy« im Hier und Jetzt.

Was dem unermüdlichen Avantgardisten Cale dabei bisweilen verlorengeht, sind sein großartiges Songwriting und die Schärfe, die aus der Reibung von Elektronik und akustischen Instrumenten entsteht und etwa auf dem Vorgänger »Shifty Adventures in Nookie Wood« noch intensiv zu hören war. Cales ohnehin recht sonore Stimme versinkt zuweilen in einem Meer aus Hall und endlos gestapelten Klangflächen, Beats verschleppen sich in ereignislosen Loops. Das kann auf Dauer ermüden, diese musikalische Atmosphäre der Überforderung passt aber wiederum gut zu einer ermüdenden Gegenwart.

Niemals wird John Cale – der es sich angesichts seiner Diskographie ja erlauben könnte – auf »Mercy« zum altersweisen Nostalgiker, vielmehr bleibt er sperrig und eigenbrötlerisch. Die besten Momenten des Albums sind dennoch jene, in denen aus dem zähen Klangstrom einzelne Elemente herausragen, etwa Natalie Merings Stimme in »Story of Blood«, die Streicher-Arrangements in »Nico’s Song« oder die gewohnt verfrickelten Soundcollagen von Animal Collective in »Everlasting Days«.
 

Albumcover

John Cale: Mercy (Domino)