Schuldabwehr als Spiel
Als rote Welle wird der Vormarsch der sowjetischen Truppen dargestellt. Das Deutsche Reich, das sie stückweise erobern, wird auf der Landkarte nicht beim Namen genannt, sondern mit »Ostpreußen«, »Pommern« und anderen Regionsbezeichnungen gekennzeichnet – ganz so, als handele es sich nicht um das gleichgeschaltete Nazi-Deutschland, sondern einfach deutsche Regionen, die im Weg der roten Welle liegen. »Gezeichnet – Unsere Flucht 1945« heißt das Computerspiel. Es richtet sich dezidiert an Lehrkräfte zum Zwecke der politischen Bildung. »Serious Games« werden solche Spiele genannt, die nicht primär der Unterhaltung dienen. Ernst nehmen muss man freilich vor allem, dass das Spiel in der Tradition deutscher Schuldabwehr steht.
Thema des Spiels ist die Vertreibung, hier als Flucht bezeichnet, der deutschen Bevölkerung am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Charakter, den man spielt, ist die junge Ostpreußin Maike. Sie flieht mit ihrer Familie vor »dem Russen«, wie es in dem Spiel stets heißt. Auf ihrer Odyssee durch den Krieg sollen die Spieler unmittelbar mit ihr und ihrem Leiden mitfühlen, etwa wenn sie sexuelle Gewalt erfährt.
Auffällig ist, dass keine der zahlreichen deutschen Personen, die im Spiel auftauchen, als überzeugte Nazis erscheinen. In der dargestellten Welt sind die Deutschen vor allem Opfer. Ihre Verantwortung für den Krieg ist kein Thema. Der Vormarsch der Sowjetunion wirkt dadurch fast wie ein Angriffskrieg. Die nationalsozialistische Ideologie kommt im Spiel kaum vor – ebenso wenig wie Juden. Der Holocaust wird nur indirekt erwähnt, zum Beispiel wenn einer der Charaktere, mit denen Maike spricht, davon erzählt, eine Gruppe von in Nachthemden gekleideten Häftlinge gesehen zu haben. Auschwitz wirkt dadurch als vages Gerücht, über das damals niemand etwas Genaues wusste, geschweige denn, dass jemand daran mitgewirkt hätte.
Die Deutschen erscheinen in dem Spiel als leidender Spielball der Geschichte.
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