Gewalt gegen Frauen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Zahnlos gegen »Me too«

Gesetzesänderungen sind, gut, Patriarchat abschaffen ist besser. Eine neue Kolumne über Arbeit und Feminismus.
Kolumne »Schicht im Schacht« Von

Gewalt gegen Frauen wird oft nicht ernst genommen, obwohl ihr Ausmaß riesig und die Erscheinungsformen vielfältig sind. Die registrierten Fälle häuslicher Gewalt nehmen in Deutschland seit Jahren zu, die Dunkelziffer ist sicherlich enorm hoch. Zahlreiche Betroffene gehen auch nach erlittener schwerster Gewalt nicht zur Polizei oder suchen anderweitig Hilfe. Leider verschwinden Misogynie und sexistische Einstellungen auch nicht durch staatliche Gleichstellungspolitik. Sie gehören zum mindset der Männerrechtler und der AfD, kommen aber in fast allen Milieus und Schichten vor.

Deshalb findet Gewalt gegen Frauen, und nicht nur gegen Cisfrauen, auch überall statt: Im Internet, in privaten Beziehungen, Familien, im öffentlichen Raum und eben auch bei der Arbeit. Rund ein Viertel aller Frauen sind mindestens einmal im Leben von sexueller Belästigung in der Schule, bei der Arbeit oder der Ausbildung betroffen. Die Täter sind Arbeitskollegen, Vorgesetzte, Kunden oder Patienten. Das Problem zieht sich durch alle Berufsgruppen. Und bevor jetzt wieder einer schreit: Ja, Männer können auch Opfer von Beläs­tigung werden – aber viel, viel seltener!

Ungleichheiten haben es übrigens an sich, dass sie weitere Benachteiligungen anziehen wie Scheißhaufen Fliegen. Frauen in der Ausbildung, in niedrigeren beruflichen Positionen, in ungesicherten Arbeitsverhältnissen oder mit kurzer Betriebszugehörigkeit sind deshalb tendenziell besonders gefährdet. Welche Rolle die Herkunft und Rassismus bei dieser Kumulation von Benachteiligungen spielt, ist bislang unerforscht. Aber man kann ja mal raten.

Ungleichheiten haben es an sich, dass sie weitere Benachteiligungen anziehen wie Scheißhaufen Fliegen.

Unternehmen sind eigentlich verpflichtet, ihre Angestellten zu schützen. Gemäß dem Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) müssen sie gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgehen. Fun fact: Das AGG gilt nur für Angestellte. Selbständige oder freie Mitarbeiter:innen können sich nicht darauf berufen. Weil das AGG zudem ziemlich zahnlos ist, fordern Poli­tiker:innen der SPD und der Grünen sowie die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung seit Jahren mehr Aufklärungsarbeit, mehr Prävention und Gesetzesverschärfungen. Im April hat der Bundestag für den Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt gestimmt. Welche gesetzlichen Anpassungen damit nötig werden, ist noch unklar. Anders als beim AGG geht es bei der ILO-Konvention aber ausschließlich um die Verhinderung und Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt; sie ermöglicht damit einen noch weiter reichenden Schutz für alle, die arbeiten. Das ist gut.

Doch das Problem beim Machtmissbrauch ist ja die Macht. Wer sie hat, wird sie regelmäßig zu seinem Vorteil nutzen wollen. Das gilt nicht nur für Belästigung. Arbeitgeber nutzen ihre Macht ständig. Das ist sozusagen ihre Berufsbeschreibung. Eine Gesetzesverschärfung ändert an den Machtgefällen nichts. Solange Frauen vermehrt in Minijobs arbeiten, mehrheitlich Sorgearbeit übernehmen oder Berufe haben, in denen sie gerade mal ein bisschen mehr als den Mindestlohn verdienen, sind sie von ökonomisch stärkeren Partnern abhängig. Das ist Pa­triarchat. Ganz einfach. Und wenn man das nicht abschaffen will, kann man sich auch von Gesetzesänderungen wenig kaufen.