Das deutsche BKA ermittelt über russische Kriegsverbrechen

Zeugen gesucht

In Deutschland vernimmt das BKA Zeugen von Kriegsverbrechen in der Ukraine, um die Täter zu ermitteln. Das sogenannte Weltrechtsprinzip macht solche Verfahren möglich.

Es geht um Angriffe auf Zivilist:innen und die Energieinfrastruktur, rechtswidrige Inhaftierungen und Folter, Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt, die Verschleppung ukrainischer Kinder, Genozid und nicht zuletzt das Führen eines Angriffskriegs. Die zuständige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats hat in ihrem jüngsten Bericht vom 16. März eine Vielzahl von Straftaten nach dem Internationalen Strafrecht festgestellt, die seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine begangen wurden. Der Großteil davon ging von russischer Seite aus.

Doch stellt sich die Frage, wie die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Eine Möglichkeit ist der seit 2002 bestehende Interna­tionale Strafgerichtshof (IStGH). Er ist dafür zuständig, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit, Angriffskriege und jede Art von Kriegsverbrechen zu verfolgen. Zwar sind weder die Ukraine noch Russland dem Geltungsbereich des Römischen Statuts beigetreten, der völkerrechtlichen Grundlage des IStGH, allerdings hat die Ukraine bereits 2014 im Zuge der russischen Annexion der Krim die Zuständigkeit des IStGH für die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit auf dem Gebiet der Ukraine anerkannt.

Um wegen des Verbrechens der Aggression, also eines Angriffskriegs, Anklage erheben zu können, müsste der IStGH besonders hohe Hürden überwinden. Im Falle Russlands wäre ein Verfahren wohl nur auf Grund­lage einer Resolution des UN-Sicherheitsrats möglich, die Russland als Vetomacht verhindern könnte. Deshalb wird über die Möglichkeit eines Sondertribunals diskutiert, nach Art der Prozesse von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter anderem die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) hatte dies gefordert.

Zumindest in einem Fall ist der IStGH bereits tätig geworden: Am 17. März hat er einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgestellt sowie gegen Maria Aleksejewna Lwowa-Belowa, die russische Präsidialkommissarin für Kinderrechte. Beiden wird die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland vorgeworfen; die Bevölkerung besetzter Gebieten gefangen zu halten, zu vertreiben oder an andere Orte zu verbringen ist nach dem Römischen Statut strafbar. Der Haftbefehl beschneidet bereits die Reisefreiheit des russischen Präsi­denten: Am Gipfel der Brics-Staaten in Johannesburg vom 22. bis zum 24. August wird Putin wohl nur per Videoschaltung teilnehmen. Südafrika wäre als Mitgliedstaat des Römischen Statuts theoretisch verpflichtet, ihn festnehmen zu lassen.

An Bahnhöfen sieht man manchmal die mehrsprachigen Hinweise des BKA, dass nach Opfern und Zeug:innen von Kriegsverbrechen in der Ukraine gesucht wird.

Eine vollständige Aufarbeitung der Straftaten nach Internationalen Recht würde nicht nur die russische Führung betreffen. Um die unzähligen Verbrechen zu ahnden, die im Ukraine-Krieg begangen wurden, dürften dem IStGH jedoch die Ressourcen fehlen. Die Ukraine hat deshalb bereits selbst mit Ermittlungen begonnen und auch andere Staaten beteiligen sich dar­an, darunter Deutschland.
Möglich ist das aufgrund des 2002 eingeführten sogenannten Völkerstrafgesetzbuchs und des sogenannten Weltrechtsprinzips. Dieses besagt, dass schwere völkerrechtliche Straftaten, die einen gravierenden Angriff auf die allgemein geteilten Werte der ganzen Menschheit darstellen, von überall aus verfolgt werden können. Gemeint sind damit Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit oder Kriegsverbrechen. Der deutsche Staat kann solche Taten auch verfolgen, wenn sie in einem anderen Land begangen wurden und weder Opfer noch ­Täter deutsche Staatsangehörige sind.

Bereits einen Monat nach Beginn des russischen Überfalls, im März vergangenen Jahres, hat die General­bundesanwaltschaft ein Strukturermittlungsverfahren zur Ukraine ­eingeleitet – gegen einzelne Verdächtige laufen allerdings noch keine Verfahren. Die Ermittlungen führt das BKA. Es greift dabei auf vom Bundesnachrichtendienst gesammeltes Material zurück, wie etwa Funksprüche russischer Soldaten, und vernimmt hierzulande Zeug:innen. An Bahnhöfen sieht man manchmal die mehrsprachigen Hinweise des BKA, dass nach Opfern und Zeug:innen von Kriegsverbrechen gesucht wird.

Aus den Antworten der Bundesregierung auf zwei Anfragen des CDU-Bundestagsabgeordneten Günter Krings im April ging hervor, dass potentielle Zeug:innen bis zu diesem Zeitpunkt bei den Polizeibehörden 71 Fragebögen ausgefüllt hatten. Außerdem seien 337 Hinweise auf Kriegsverbrechen eingegangen. Das BKA unterstützt zudem die strafrechtlichen Ermittlungen der Ukraine durch die Bereitstellung von Arbeitsmitteln zur forensischen Spurensicherung.

Bis es zu Verfahren gegen die mutmaßlichen Täter:innen kommt, könnte jedoch noch eine lange Zeit vergehen. Selbst wenn man ihrer habhaft werden kann, gestaltet sich die Beweiserhebung an Ort und Stelle und die ­Vernehmung von Zeug:innen aus unterschiedlichen Ländern oft sehr schwierig.

Wie lange das manchmal dauern kann, zeigen Prozesse gegen An­hänger:innen des syrischen Regimes und des »Islamischen Staats«, die seit einigen Jahren vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Am Oberlandesgericht Frankfurt läuft bereits seit Januar vorigen Jahres ein Prozess gegen Alaa M., einen Arzt aus Syrien. Dabei geht es um Fälle aus den Jahren 2011 und 2012. In ­einem Militärkrankenhaus und einem Gefängnis in Homs und Damaskus soll M. in 18 Fällen Oppositionelle gefoltert und in einem Fall auch durch eine Injektion getötet haben. In dem Verfahren sind noch Termine bis zum 14. November angesetzt.