Rentnerträume am Balaton
Jahrelang hat László Carassin Gedichte geschrieben, die auf Blogs und in Underground-Heften erschienen sind, ohne dass sich jemand groß dafür interessiert hätte, geschweige denn, dass der Verfasser dafür Geld gesehen hätte. Aber dann meldet sich plötzlich eine Frau bei ihm und verkündet, dass er für sein Werk »zusammen mit anderen hoffnungsvollen Talenten« den mit 7.500 Euro dotierten Kunstpreis der Sparkasse Celle-Gifhorn-Wolfsburg erhält.
Warum er mit diesem Preis ausgezeichnet wird, versteht der Ich-Erzähler nicht. Genauso wenig weiß er, was er mit dem Preisgeld anfangen möchte. Perfekte Voraussetzungen für den Künstler-Ennui.
So richtig viel kann man mit der Summe natürlich nicht machen, doch László Carassin hält 7.500 Euro für sehr viel Geld, genug jedenfalls, um aus dem »schrecklichen Berlin« zu verschwinden, wie er es nennt, und zwar mit dem Gedanken, an der bulgarischen Rivera »vielleicht« einen Minigolfplatz zu eröffnen.
Doch erst mal muss er von seiner Wohnadresse in der Lilienthalstraße am Südstern in Berlin-Kreuzberg nach Wolfsburg reisen, um dort den Preis und das Geld entgegenzunehmen. Auf der Sparkassen-Gala im Ritz-Carlton-Hotel liest er seine Gedichte. Die teilnahmslosen »Sparkassen-Gesichter« deprimieren ihn so sehr, dass er beschließt, sein freudloses Schriftstellerdasein zu beenden, um ins ungarische Zánka am Balaton zu fahren, wo sein Onkel wohnt. Der Plan, einen Minigolfplatz an der bulgarischen Riviera zu eröffnen, ist da schon wieder verworfen, und die Reise des Künstlers gen Osten beginnt, umweht von einem Hauch verruchter Boheme und ironischer Kleinbürger-Mimikry.
Der »Tannenbaum« ist für László untrennbar mit Mercedes Czeminski verbunden, der Frau, mit der er eine »melodramatische On-Off-Operette« am Laufen hat.
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