Die Präsidentschaftswahl in Argentinien wird in der Stichrunde entschieden

Rechts und noch weiter rechts

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Argentinien brachte noch keinen klaren Sieger. In der Stichwahl stehen sich der Kandidat der seit Jahren dominierenden Peronisten und ein rechter Populist gegenüber.

Der Peronismus lebt. Nach einer herben Niederlage bei den Vorwahlen konnte Sergio Massa, der Kandidat der in Argentinien regierenden Peronisten, die erste Runde der Präsidentschaftswahl für sich entscheiden. Massa, der derzeitige Wirtschaftsminister von der Allianz Unión por la Patria (Union für das Vaterland, UP, bis Juni Frente de Todos, Front aller, FdT) war bei den Vorwahlen im August nur auf dem dritten Platz gelandet. Am 22. Oktober lag er nun mit 36,7 Prozent der Stimmen klar vor seinen Herausforderern, dem Ökonomen Javier Milei von der ultrakonservativen Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) mit knapp 30 Prozent und der früheren Sicherheitsministerin Patricia Bullrich vom konservativen Oppositionsbündnis Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wandel, JxC) mit 23,8 Prozent. Für einen Sieg in der ersten Runde wären jedoch 45 Prozent erforderlich gewesen; eine Stichwahl zwischen Massa und Milei soll am 19. November stattfinden.

Der Ausgang der Wahl war so unklar wie nie seit Argentiniens Rückkehr zur Demokratie vor 40 Jahren: Erstmals hatten drei Kandidat:innen realistische Chancen, in die Stichwahl zu kommen. Milei hatte im August noch knapp vorne gelegen, konnte seither jedoch nur 500.000 neue Wähler hinzugewinnen, im Gegensatz zu Massa, der fast viereinhalb Millionen Stimmen zusätzlich erhielt.

Da Mileis Partei erst seit 2021 antritt, ist sein Einzug in die Stichwahl dennoch bemerkenswert. Milei hat sich als halb verrückter, halb genialer Anti-System-Kandidat inszeniert. Er trat im Wahlkampf mit einer Motorsäge auf, um zu unterstreichen, was er als erklärter »Anarchokapitalist« mit dem Staat vorhabe: die Zentralbank schließen, den seit Jahren rapide an Wert verlierenden Argentinischen Peso durch den US-Dollar ersetzen, den Bildungs- und Gesundheitssektor privatisieren und die entsprechenden Ministerien schließen.

Javier Milei konnte vor allem junge, frustrierte Wähler für sich gewinnen, die seit mindestens 2018 nichts anderes kennen als eine schwere Wirtschaftskrise.

Politiker etablierter Parteien überzog er mit wüsten Beschimpfungen und brandmarkte sie als Teil einer »Kaste«, deren einziges Interesse es sei, den Staat zur Selbstbereicherung zu nutzen. Seinen Ultraliberalismus kombiniert er dabei mit gesellschaftspolitisch konservativen Ansichten, was so weit geht, dass er Victoria Villarruel zu seiner Kandidatin fürs Amt der Vizepräsidentin machte. Sie ist die Tochter eines hochrangigen Offiziers will die Erinnerung an die Opfer der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 durch ein Gedenken an die »Opfer des Terrors« ersetzen; damit bezieht sie sich auf die bewaffneten linksperonistischen oder marxistischen Organisationen wie die Montoneros und die ERP, die ab den sechziger Jahren mit militanten Mitteln nach der Macht strebten.

Milei gelang es vor allem, junge frustrierte Wähler zu gewinnen, die seit mindestens 2018 nichts anderes kennen als eine schwere Wirtschaftskrise: Die Inflation wird im laufenden Jahr Schätzungen zufolge 140 Prozent betragen, fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut und die Devisenvorräte des Staats sind so geschwunden, dass sich die Regierung jüngst Geld von China leihen musste, um die Verwaltung wenigstens bis zur Stichwahl im November am Laufen zu halten.

Die peronistische UP geht auf das 2019 geschmiedete Bündnis FdT zwischen den lange verfeindeten Lagern um Massa einerseits und Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner (Präsidentin von 2007 bis 2015) andererseits zurück. Ihr und ihrem Kandidaten Massa gelang die Mobilisierung ihrer Stammwähler in den Vororten der Hauptstadt Buenos Aires, die seit jeher Hochburgen der vor allem von Arbeitern und der unteren Mittelschicht gewählten Peronisten sind. Die Bewegung ist dort auch durch Gewerkschaften und soziale Bewegungen fest verankert. Milei hingegen gelang es, vor allem im Inland zahlreiche Provinzen zu gewinnen. Das Bündnis JxC mit seiner Kandidatin Patricia Bullrich, das die traditionelle Rechte vertritt, sah sich auf ihre angestammten Wahlbezirke in der Stadt und der Provinz Buenos Aires zurückgeworfen.

Aufgrund der äußerst heterogenen Zusammensetzung der größten Partei im Bündnis UP, der peronistischen Partido Justicialista (PJ), gerät etwas aus dem Blick, dass letztlich drei rechte Kandidaten die Präsidentschaftswahl unter sich ausmachten. Massa gehört zum wirtschaftsliberalen, konservativen Flügel der Peronisten, sein politischer Erfolg beruht jedoch auf der Unterstützung des linken Flügels um Kirchner. Wie Massas Regierungspolitik im Falle eines Siegs im November aussehen könnte, wird stark vom Kräfteverhältnis zwischen den beiden abhängen. Der amtierende Präsident Alberto Fernández (PJ) hatte zuvor einen innerparteilichen Machtkampf gegen Kirchner verloren.

Bei einem Interview schien Javier Milei regelrecht den Verstand zu verlieren. Seine Gesichtszüge und Hände zuckten unkontrolliert und er faselte plötzlich vollkommen wirres Zeug. Am Ende musste er verwirrt aus dem Studio geleitet werden.

Die unterlegene konservative Präsidentschaftskandidatin Bullrich hat ihre Wähler dazu aufgerufen, bei der Stichwahl für Milei zu votieren. Doch ein signifikanter Teil der JxC-Anhänger hatte bei den Vorwahlen Bullrichs gemäßigteren Konkurrenten Horacio Rodríguez Larreta unterstützt – und könnte nun aus Ablehnung des allzu wirr auftretenden Milei für Massa stimmen. Der steht als Wirtschaftsminister jedoch wie kein anderer für die desolate Armut vieler Argentinier. Milei versucht nun, sich gemäßigter zu geben, auch weil die Finanzmärkte im August sehr nervös auf seinen Sieg bei den Vorwahlen reagiert hatten.

Im hochgradig personalisierten politischen System Argentiniens könnte sich ein Ereignis als entscheidend erweisen, das sich vergangene Woche beim Fernsehsender A24 abspielte: Bei einem Interview schien Javier Milei regelrecht den Verstand zu verlieren. Seine Gesichtszüge und Hände zuckten unkontrolliert und er faselte plötzlich vollkommen wirres Zeug von Salamis und einer Frau, der andere im Internet zuguckten, während er in ihren Bettlaken sei. Am Ende musste er verwirrt aus dem Studio geleitet werden. Der oft geäußerte Verdacht, dass es um Mileis psychische Gesundheit nicht gut bestellt ist, wurde so bestätigt. Das Ganze wirkte wie ein psychotischer Schub bei Milei.

Angesichts der großen Frustration in der Bevölkerung und der Erfahrungen in anderen Ländern wie Brasilien oder den USA ist jedoch keinesfalls ausgeschlossen, dass eine Mehrheit der argentinischen Wähler einen mental instabilen rechtslibertären Kandidaten einem Vertreter des verachteten Esta­blishments vorziehen könnte.