Viele internationale Klimaschutzgruppen sind antiisraelisch eingestellt

Antisemitischer Klimawandel

Einige internationale Klimaschutzgruppen sind zwar bereits zuvor mit israelfeindlichen Positionen aufgefallen, seit dem Terrorangriff der Hamas scheint die sogenannte Palästina-Solidarität jedoch zu ihrem zweiten Betätigungsfeld zu geraten.

»Fact is a four-letter word«, Fakt ist ein Schimpfwort, resignierte in der vorigen Woche ein englischsprachiger User während einer Forendiskussion über linke Hamas-Sympathisanten. Diese Beobachtung ist nicht falsch, denn mittlerweile ist für alle Welt sichtbar, dass eben nicht nur rechte Verschwörungsanhänger nur noch das glauben, was zu ihren jeweiligen Einstellungen passt. Viele Linke und sogar Journalisten haben sich bequem im postfaktischen Zeitalter eingerichtet und erklären mittlerweile ganz nonchalant kurzerhand alles zur Lüge, was nicht ihrer Meinung entspricht.

Ein Beispiel: die Bilder und Videos von den Morden an israelischen Zivilisten? Ganz klar Fälschungen, von »den Zionisten« aka Israel bewusst in Umlauf gebracht, um den palästinensischen Freiheitskampf zu diskreditieren. Ebenso müssen Widersprüche in der eigenen Haltung – wie beispielsweise das lockere Entschuldigen der Vergewaltigungen durch Hamas-Terroristen mit Phrasen wie »Freiheitskampf« und »Dekolonisierung« – offenkundig nicht mehr länger thematisiert oder gar diskutiert werden.

Die einseitige antiisraelische Positionierung vieler internationaler Klimaaktivismus-Gruppen hätte allerdings durchaus schon früher auffallen können. Greta Thunberg hatte sich bereits 2021 demonstrativ mit einem Freund gezeigt, der einen Schal in den Farben der palästinensischen Flagge mit der Aufschrift »Palestine« trug, und gegen Israel gerichtete Tweets des internationalen Twitter- beziehungsweise X-Accounts von Fridays for Future (FFF) nie thematisiert, ebenso wenig wie andere FFF-Aktivisten. Auch die Frage, warum FFF es im Gegensatz zu Unternehmen und Prominenten in den vergangenen Jahren nicht schaffte, sich den fraglichen Account zurückzuholen, der der Jüdischen Allgemeinen zufolge von einigen wenigen antiisraelischen Aktivist:in­nen gekapert wurde, wurde nie beantwortet.

Bei einer Universitätsbesetzung  forderte Extinction Rebellion den Ausstieg aus fossilen Energien, das größte Transparent trug aber
die Aufschrift: »Cut ties with Israeli Colonisers! Free Palestine! «

Aber die FFF-Bewegung ist nicht allein: Wie wenig sich die Aktivisten der Organisation Letzte Generation (LG) für die politischen Haltungen ihrer Verbündeten und Mitglieder interessieren, hatte sich zuletzt Ende Oktober gezeigt. Damals kündigte LG eine große Straßenbesetzung in Berlin an, zu der auch Verbündete aus dem Ausland anreisen würden. Konkret: Extinction Rebellion Nederland (XR NL), der niederländische Ableger der durch den britischen Holocaustrelativierer Roger Hallam mitgegründeten Klimabewegung XR. Dass Hallam auch im Steuerungskreis der LG saß, wie die Sozialpsychologin Maria-Christina Nimmerfroh durch die Analyse interner Dokumente und Chats herausfand, ist sicher nur Zufall.

Nach langem Zögern gab die Kerngruppe von LG Ende Oktober ihre »Distanzierung von dieser insgesamt problematischen Rhetorik und Strategie Roger Hallams« bekannt, doch scheint dies nicht zu bedeuten, dass man allgemein Abstand von israelfeindlichen Aktivisten zu nehmen gedenkt.

Das zeigt der Umgang mit XR NL. Außerhalb der Niederlande waren die antisemitischen Tendenzen dieser Gruppe zum ersten Mal am 23. Oktober bekannt geworden. An dem Tag hatte deren Aktionsgruppe »Justice Now!« auf einer zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag führenden Fußgängerbrücke demonstriert. Die ungefähr 15 Aktivisten präsentierten dabei ein Transparent mit der Aufschrift: »Netan­yahu ist ein Kriegsverbrecher!«

XR NL widmete dem Protest gleich mehrere Tweets, in denen unter anderem die angebliche israelische »Apartheidpolitik« sowie »Verletzungen der palästinensischen Menschenrechte« angeprangert wurden. Die Tageszeitung De Volkskrant zitierte eine Sprecherin des niederländischen XR-Zweigs damals mit den Worten, dass man eben »mehr als nur ein Klimaclübchen« sein wolle.

Bereits im Mai hatte der von XR NL beworbene nationale Aktionstag »Verbreek de banden met de fossiele industrie!« (Die Beziehungen zur fossilen Industrie abbrechen!) an der Universität von Amsterdam damit begonnen, die Eingangshalle eines Gebäudes auf dem Campus Roeterseiland zu besetzen.

Auf diversen Plakaten und Schildern wurde der Ausstieg aus fossilen Energien gefordert – das größte und zentral angebrachte Transparent trug aber die Aufschrift: »Cut ties with Israeli Colonisers! Free Palestine!« Am selben Tag veröffentlichte das Centrum Informatie en Documentatie Israel (Cidi) ein während des Aktionstags aufgenommenes Video, auf dem deutlich zu hören ist, dass die Protestierenden skandierten: »There is only one solution: Intifada Revolution!«

Nach den Anschlägen der Hamas in Israel am 7. Oktober war es auch in den Niederlanden zu zahlreichen israelfeindlichen Demonstrationen gekommen.

Cidi, ein jüdischer, weitgehend aus Spenden finanzierter Verein, gibt seit 1974 jährlich einen Bericht über antisemitische Vorfälle in den Niederlanden heraus und bietet Weiterbildungen an. Interessanterweise wurde der Cidi-Tweet über die Intifada-Sprechchöre häufiger gelikt als die Twitter-Bericht­erstattung über den angeblich großen Erfolg des Protests von XR, was auch daran liegen könnte, dass selbst Menschen, die sich als langjährige XR-Unterstützer bezeichnen, nicht verstehen, warum sich eine Kundgebung gegen fossile Energien auf den Israel-Palästina-Konflikt fokussiert. Dieses Unverständnis, so sollte sich in den kommenden Monaten zeigen, würde sich noch vergrößern.

Nach den Anschlägen der Hamas in Israel am 7. Oktober war es auch in den Niederlanden zu zahlreichen israelfeindlichen Demonstrationen gekommen. Der niederländische Antisemitismusbeauftragte Eddo Verdoner sagte in einem Fernsehinterview dazu, das Ziel der Hamas sei eben nicht nur gewesen, »Aufsehen zu erregen, sondern speziell in Europa Widersprüche zu verstärken«, also Zwietracht unter der Bevölkerung zu sähen. Das Resultat entspreche den Wünschen der Hamas: »Antisemitismus nimmt in jedem Land zu.«

Europäische Kollegen bestätigten laut Verdoner, dass es in allen Städten einen Anstieg judenfeindlicher Demonstrationen und Angriffe gebe. Dies sei an sich nichts Besonderes, denn solche Anstiege seien in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder beobachtet worden, wenn der Israel-Palästina-Konflikt aufflammte, »aber einen solchen Anstieg wie jetzt hat es noch nie gegeben«.

Gleichzeitig gibt es einer Umfrage von Mitte Oktober zufolge durchaus niederländische Solidarität mit Israel. Auf die Frage, welche Seite die Niederlande unterstützen sollten, antworteten 25 Prozent »weder Israel noch die ­Hamas«, 30 Prozent gaben an, »keine Meinung« zu haben. Die Gruppe der Meinungslosen fühlt sich der Umfrage zufolge überfordert, die Ursachen und Hintergründe des Konflikts zu verstehen, sei einfach zu kompliziert. 30 Prozent fordern Unterstützung für Israel, lediglich acht Prozent verlangen, dass die Niederlande für die Palästinenser Partei ergreifen.

Mehrfach danach gefragt, wo sich denn ein Posting finden lasse, in dem die Gruppe »Just stop oil« den Hamas-Terror verurteilt habe, gab es bezeichnenderweise keine Antwort.

Der Historiker Peter Malcontent von der Universität Utrecht kommentierte dieses Ergebnis: »Diese Zahlen entsprechen dem Trend, der seit den siebziger Jahren sichtbar ist: Die traditionell starke Sympathie für Israel nahm immer weiter ab, was aber nicht automatisch zu mehr Unterstützung für die palästinensische Sache führt.« Das Umfrageergebnis sei insofern überraschend, als die Unterstützung für die Palästinenser so gering ausfiel, was damit zusammenhängen dürfte, dass sie in der Zeit vom 13. bis 16. Oktober stattfand, also »nach den Gräueltaten der Hamas«.

XR NL nahm schließlich am 28. Oktober mit rund 50 Personen an der federführend von der deutschen LG geplanten Besetzung der Straße des 17. Juni in Berlin teil. Am selben Tag verbreitete XR NL einen Tweet von »Just Stop Oil«, einer britischen XR-Untergruppe. »Solidarität mit denen, die heute demonstrieren«, schrieb XR über dem Foto einer Frau, die ein selbstgebasteltes Pappschild mit den Worten »Stop murdering children! Free Pa­lestine – end Apartheid« hielt. Auf die Frage irritierter User, was »Just stop oil« zum Hamas-Massaker zu sagen habe, wurde nur kurz geantwortet: »Wir sind eine gewaltlose Bewegung, wir verurteilen die Gewalt aller Seiten.« Mehrfach danach gefragt, wo sich denn ein Posting finden lasse, in dem die Gruppe den Hamas-Terror verurteilt habe, gab es bezeichnenderweise keine Antwort.

XR NL hatte nach den Massakern in Israel sechs Tage gebraucht, um eine Erklärung zu veröffentlichen. Diese berichtete nach einer nicht eben ausführlichen Verurteilung der Terroranschläge ausführlich über das Leid der Palästinenser und den »Kolonialstaat« Israel. Das Ganze gipfelt in einem Satz, der nonchalant vermied, die Morde, Entführungen und Vergewaltigungen der Hamas als solche zu bezeichnen, und stattdessen behauptete: »Menschenrechtsverletzungen durch die Hamas werden von der israelischen Regierung als Gelegenheit für die Begehung großer Kriegsverbrechen genutzt.« Dass eine Organisation, die vehement gegen fossile Energie kämpft, aus­gerechnet eine Terrororganisation in Schutz nimmt, die vom Iran mitfinanziert wird, der zu den zehn größten Erdöl fördernden Nationen gehört, kann vermutlich nur mit Antisemitismus erklärt werden.