Kremltreue Prominente haben es sich mit Putins Regime verscherzt

Keine Party mit Putin

In Russland sorgt eine Party mit knapp bekleideten Gästen aus der High Society für harsche Reaktionen der Staatsmacht. Die Prominenten sahen sich gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen, haben Werbeverträge verloren und mussten andere Veranstaltungen absagen.

Das vergangene Jahr ging in Russland mit einem Skandal zu Ende. An der eher staatsloyalen, zumindest aber bis auf wenige Ausnahmen zahnlosen Unterhaltungsbranche hat der Machtapparat durchexerziert, wie eine an sich harmlose Glamour-Party in Kriegszeiten völlig unvermittelt zu Repressalien führen kann. An sich erfreuen sich celebrities gewisser Beliebtheit, solange sie sich nicht politisch exponierten, durften sie sich in Russland oftmals ein wenig mehr erlauben, als ansonsten gestattet ist – bis hin zum queeren Outfit auf der Bühne.

Was in der Nacht auf dem 21. Dezember im Moskauer Nachtclub »Mutabor« vor sich ging, hätte vor Monaten noch allenfalls im orthodoxen Moralhütermilieu für Schimpftiraden gesorgt. Nastja Iwlejewa, Fernsehmoderatorin und Bloggerin mit über 18 Millionen Followern auf Instagram, hatte zu einer Themenparty eingeladen, für die der Dresscode »almost naked« galt. Die Veranstaltung diente der Präsentation von Fotos, die für die inzwischen in Russland nicht mehr erscheinende Zeitschrift Playboy gemacht worden waren. Die teils prominenten Gäste hielten sich an die Vorgaben und ließen sich spärlich bekleidet filmen und fotografieren.

Im Kreml hielt man es für ange­bracht, auf die Unzu­friedenheit in der Gesellschaft über die Auswir­kungen des Kriegs zu reagieren und die Bevölkerung gegen in Saus und Braus lebende Stars aufzubringen.

Rapper Vacio, mit bürgerlichem Namen Nikolaj Wassiljew, hatte sich auf das Wesentliche beschränkt und posierte lediglich mit einer über seinen Penis gestülpten Designer-Socke. Wie er später aus seiner Haftzelle heraus berichtete, habe ein als Frau verkleideter Mann die Socke heruntergezogen. Wie dem auch sei, zwei Tage nach der Party wurde Wassiljew zunächst wegen ­Vandalismus und »LGBT-Propaganda« zu 15 Tagen Haft sowie einer Geldstrafe verurteilt und direkt nach seiner Freilassung erneut festgenommen. Außerdem droht ihm nun die Rekrutierung zur Armee. ­Dabei wies er alle Anschuldigungen von sich, er sei keineswegs schwul, die Socke sei lediglich eine Hommage an die Band Red Hot Chili Peppers ­gewesen.

Zu seinem Pech gingen Videos mit Vacio viral, die ihn mit Stars und Sternchen des russischen Showbusiness zeigten. Gegen Iwlejewa und ihre Gäste entlud sich aus dem Lager der Kriegs­be­für­worte­r:in­nen ein regelrechter Shitstorm, wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung soll die Gastgeberin eine Geldstrafe zahlen. Nicht nur sie erging sich daraufhin in Reuebekenntnissen, sondern auch die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ksenija Sobtschak, Schlagerstar Filipp Kirkorow, der Popsänger Dima Bilan und etliche weitere. Ihnen sei schlicht nicht bewusst gewesen, worauf sie sich einließen, so der Tenor.

Geholfen haben diese devoten Gesten nicht, auch nicht das Versprechen, Honoraranteile zugunsten von Opfern zu spenden, die die »Spezialoperation« in der Oblast Belgorod an der Grenze zur Ukraine fordert. Auftritte Kirkorows und anderer Stars wurden in Windeseile aus bereits im Monat zuvor aufgezeichneten Neujahrs-Fernsehshows herausgeschnitten, Konzerte storniert, Werbeverträge aufgekündigt. Die damit einhergehenden finanziellen Einbußen belaufen sich auf viele Hunderttausend Euro.

Doch dabei allein wird es wohl nicht bleiben. Kirkorow hatte in seiner Entschuldigungsrede gesagt, er habe sich, bildlich gesprochen, »an der Tür geirrt«. Parlamentssprecher Wjatscheslaw Wolodin griff die Formulierung nach den Feiertagen auf und forderte von den Staatsanwaltschaften, härter durchzugreifen, wenn »jemand nicht die richtige Tür geöffnet hat«. Die Gesellschaft habe kein Verständnis dafür, wenn »unsere Werte« ignoriert würden, so Wolodin. Konsequenterweise machten erste, allerdings nicht bestätigte Meldungen die Runde, wonach bereits Vorbereitungen für ein Strafverfahren gegen Partygäste wegen Verwicklung in die Aktivitäten einer extre­mis­tischen Organisation laufen.

Das »Mutabor« bleibt vorerst geschlossen. Dessen Betreiber Michail Danilow versuchte, sich die Gunst der orthodoxen Kirche zu erkaufen, indem er angeblich im Vatikan erstandene Reliquien übergab. Dass sich in diesem Zusammenhang Hinweise auf illegalen Handel mit Reliquien ergaben, für die es in Russland einen relevanten Absatzmarkt gibt, gehört kurioserweise auch zu den Folgen des Prominentenfestes.

Die Moscow Times hatte derweil über anonyme Quellen in Regierungskreisen und in der Präsidialverwaltung in Erfahrung gebracht, dass die Initiative, dem sorglosen und lustvollen Treiben in der Show-Branche ein Ende zu setzen, vom Kreml ausging. Dort hielt man es für angebracht, auf die zunehmende Unzufriedenheit in der Gesellschaft über die Auswirkungen des Kriegs unter anderem aufgrund der Preisentwicklung zu reagieren und die Bevölkerung gegen in Saus und Braus lebende Stars aufzubringen. Mit Verweis auf einen der Regierung nahestehenden Kontakt teilte das Medienunternehmen Bloomberg mit, Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich habe sich an einem der Videos gestört, was ausgereicht habe, um umgehend harte Maßnahmen zu ergreifen.

Allein schon der Zeitpunkt der Affäre verweist auf ihren Hintergrund, denn im Dezember begann Putins Wahlkampf. Nicht, dass Zweifel am Ausgang der Präsidentschaftswahl im kommenden März bestünden, aber der fast zwei Jahre andauernde russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt dazu, dem seit Jahrzehnten ritualisierten Wahlgeschehen einen anderen Charakter zu verleihen.

Offenbar beginnt nun eine Phase, die es Menschen ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad praktisch nicht mehr erlaubt, vom System zu profitieren, ohne ein öffentliches Bekenntnis zu ihm abzulegen. Dieser Maßgabe hat sich auch die dezidiert unpolitische Unterhaltungsindustrie zu unterwerfen. Wer sich dem widersetzt, wird von der Propaganda als Verräter behandelt, so wie es unter anderem dem bereits in Sowjetzeiten erfolgreichen Superstar Alla Pugatschowa widerfahren ist. Die Sängerin lebt mittlerweile mit ihrem Mann Maksim Galkin in Israel, weil der populäre Komiker und Moderator sich als einer der ersten Prominenten offen gegen den russischen Überfall auf die Ukraine gestellt hatte; Pugatschowa selber hatte bereits 2014 eine Petition unterzeichnet, die einen Gegner der Annexion der Krim unterstützte.

Vor dem Hintergrund einer vor allem ökonomisch ungewissen Zukunft und eines Kriegs, dessen Ende niemand zu prognostizieren vermag, wirken Putins Versuche, die Lage schönzureden, beinahe lächerlich. Er scheut nicht davor zurück, wie vor kurzem in Chabarowsk, von Russland als stärkster Wirtschaftsmacht Europas und fünftstärkster der Welt zu reden oder die rasant gestiegenen Preise für Eier mit der Behauptung zu kommentieren, die Einkommen der Bevölkerung seien gestiegen, schließlich würden mehr Eier gekauft.

Das neue Jahr begann mit zahlreichen geplatzten Rohren, was Zehntausende Haushalte bei Temperaturen weit unter null Grad Celsius frieren ließ.

Im Zentrum von Putins Wahlkampf ohne ernstzunehmende Konkurrenz steht, Russlands vermeintliche oder tatsächliche Errungenschaften hervorzuheben und den Krieg als existen­tiellen Überlebenskampf des Landes darzustellen. Denn der Krieg fordert immer mehr Opfer – obwohl das schon zum Alltag gehört, wächst die Notwendigkeit, die Fortdauer der »militärischen Spezialoperation« propagandistisch zu rechtfertigen. Putin besuchte am 1. Januar ein Militärkrankenhaus und traf am orthodoxen Weihnachtsfest Familienangehörige von im Krieg getöteten Soldaten.

Die Forderungen von Frauen, ihre im Herbst 2022 im Rahmen einer Teilmobilmachung an die Front eingezogenen Männer endlich nach Hause zu entlassen, ignoriert der Kreml indes demonstrativ. Die Proteste der Frauen werden lauter und häufiger, es vergeht keine Woche ohne Aktionen. Anfang des Monats legten einige Frauen Blumen auf dem Sankt Petersburger Marsfeld und an Soldatenfriedhöfen nieder, wobei auch Kritik an Putin geäußert wurde, wie das oppositionelle ­Internetportal Sota zeigte.

Zudem begann das neue Jahr mit zahlreichen geplatzten Rohren, was Zehntausende Haushalte bei Temperaturen weit unter null Grad Celsius frieren ließ. Unfälle bei Rohrbrüchen häufen sich zusehends, Grund sind die maroden Heizungsnetze. Auch die Verkehrsinfrastruktur, insbesondere das Eisenbahnnetz, zeigt sich in beklagenswertem Zustand, selbst die ansonsten zahmen russischen Medien kommen nicht umhin, ständig von liegengebliebenen Zügen und Behausungen, die Tiefkühltruhen gleichen, zu berichten. Die Unzufriedenheit wächst, Menschen protestierten unter anderem im Moskauer Umland gegen diese Zustände. Gegen einige in Behörden Verantwortliche für die Infrastrukturprobleme laufen Strafverfahren.