Argentinien hat Goldreserven ins Ausland transferiert

Jäger des verlorenen Schatzes

Argentinien hat Gold ins Ausland transferiert. Die Menge, den Bestimmungsort und den Zweck verschweigt die Regierung bislang.

Von seinem ursprünglichen Ziel, die Zentralbank BCRA abzuschaffen, ist Argentiniens Präsident Javier Milei schon unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Dezember abgerückt. Vielmehr ernannte er mit Santiago Bausili einen ehemaligen Bankier und Vertrauten des früheren Staatspräsidenten Mauricio Macri zum Direktor der Zentralbank, um den internationalen Finanzmärkten, von denen das hochverschuldete Land stark abhängt, Stabilität zu signalisieren. Doch seit Ende Juli kursiert eine Meldung, die viele Experten und die Opposition in Unruhe versetzt und Zweifel an Mileis Umgang mit der Zentralbank geweckt hat: Die argentinische Regierung soll Goldreserven außer Landes geschafft haben.

Die Zentralbank besitzt rund zwei Millionen Feinunzen Gold im Wert von etwa 4,5 Milliarden US-Dollar. Wie viel davon wann genau ausgeflogen worden ist und warum, ist nach wie vor unklar. Bekannt wurde die Angelegenheit auch nur, weil Sergio Palazzo, Generalsekretär der Gewerkschaft der Bankangestellten, La Bancaria, eine parlamentarische Anfrage stellte. Palazzo, der seit 2021 auch Abgeordneter ist, wollte wissen, »ob es im Monat Juni irgendwelche Transaktionen von Goldbarren ins Ausland gegeben hat«. Insbesondere bezog er sich auf den 7. und den 28. Juni und nannte das Transportunternehmen Lumil und die Fluggesellschaft British Airways als mögliche Beteiligte. Außerdem wollte er wissen, um welche Mengen es sich handelte, wohin sie gingen und welche Beamten beteiligt waren.

Präsident Milei scheint es mit seinem radikalen Sparprogramm zu gelingen, die Inflation zu senken. Dessen weitere Konsequenzen sind stark steigende Armut und eine Rezession.

Eine Antwort der Zentralbank steht noch aus, sie hat 30 Tage Zeit dafür. Doch inzwischen haben Äußerungen Mileis und seines Wirtschaftsminister Luis Caputo den Transport indirekt bestätigt, jedoch nur Andeutungen zu dessen Zweck gemacht. Caputo tat kund, es sei »ein sehr positiver Schritt«, denn das Gold im BCRA werfe keinen Gewinn ab: »Wenn man es außerhalb hat, kann man Rendite erzielen.« Experten bezweifeln jedoch, dass die Zinsen für die Einlagerung beispielsweise in Europa die hohen Kosten für den Transport übersteigen würden.

Milei wiederum deutete an, das Gold als Sicherheit für einen Überbrückungskredit zu nutzen. Zugleich behauptete er jedoch, Argentinien verfüge über genügend Devisen, um eine im Januar anstehende Zinsrückzahlung von 1,6 Milliarden US-Dollar zu stemmen. Ob die Auslagerung des Golds den Märkten eher signalisiert, dass Argen­tinien zu seinen Verpflichtungen steht, oder vielmehr, dass es offenbar nicht über ausreichend Liquidität verfügt und deshalb an sein Gold heranmuss, wird sich zeigen. Argentinien ist derzeit von internationalen Krediten abgeschnitten, muss also wieder kreditwürdig werden.

Hedgefonds lehnten Schuldenschnitt ab

Die Opposition, die hauptsächlich aus den Peronisten um die ehemalige Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und den ehemaligen Wirtschaftsminister Sergio Massa besteht, fürchtet indes, dass das ausgeführte Gold beschlagnahmt wird. Auch einige Experten sehen diese Gefahr. Nach dem Staatsbankrott von 2001 gingen nicht alle Altschulden in die Restrukturierungsprogramme von 2005 und 2010 ein. Einige verblieben in den Händen von Hedgefonds, die gezielt Schuldpapiere beispielsweise von bankrotten Staaten oder in Not geratenen Unternehmen aufkaufen und später auf deren Auslösung pochen – Kirchner sprach damals von »Geierfonds«. Diese bestanden auf einer vollen Rückzahlung der Schulden und lehnten einen Schuldenschnitt ab.

Argentinien weigerte sich stets zu zahlen. Im Oktober 2012 ließ solch ein Hedgefonds, NML Capital mit Sitz auf den Cayman Islands, das Segelschulschiff »Libertad« der argentinischen Marine in einem Hafen in Ghana per Gerichtsbeschluss festsetzen, um seine Ansprüche geltend zu machen. Letztlich entschied der Internationale Seegerichtshof, dass Ghana damit die Souveränität Argentiniens verletzt und gegen internationales Seerecht ver­stoßen habe; die Fregatte konnte nach Argentinien zurückkehren. Zentral­bankreserven sind nach geltender Rechtsauffassung ebenfalls nicht pfändbar, doch schon ein solcher Versuch könnte jahrelange, kostspielige Gerichtsverfahren nach sich ziehen.

Welche Rolle genau die mutmaßliche Auslagerung des argentinischen Goldes in Mileis Wirtschaftspolitik spielt, dürfte unklar bleiben, bis die Zentralbank sich offiziell erklärt. Milei scheint mit seinem radikalen Sparprogramm sein wichtigstes Ziel zu erreichen, nämlich die Inflation zu senken. Ganze ­Ministerien und Behörden wurden geschlossen, Löhne und Sozialausgaben eingefroren oder gesenkt, massenhaft Staatsbedienstete entlassen. Das hat nicht nur die Inflation gesenkt, sondern Argentinien den ersten Haushaltsüberschuss seit 16 Jahren beschert.

Schrumpfung um bis zu 3,5 Prozent

Was dieses Programm dem Land auch beschert, sind stark steigende Armut und eine Rezession, die nach jüngsten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Mileis Kurs unterstützt, sogar noch schärfer ausfallen dürfte als bisher erwartet: Um bis zu 3,5 Prozent dürfte die argentinische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr schrumpfen, so die jüngste Prognose des IWF. Die Auswirkungen des jüngsten Abschwungs an den Börsen weltweit auf Argentiniens Wirtschaft sind dabei noch nicht einberechnet.

Doch Milei erfreut sich Umfragen zufolge bei über der Hälfte der Bevölkerung ungebrochener Popularität. Ende Juni gelang es ihm nach langem Ringen mit den kooperationsbereiten Teilen der Opposition, im Abgeordnetenhaus sein sogenanntes Grundlagengesetz durchzubringen; ursprünglich trug das Vorhaben den Namen »ley ómnibus«. Nur etwa halb so umfangreich wie der erste Entwurf vom Januar, schränkt das Gesetz Arbeitnehmerrechte ein, leitet Privatisierungen ein und soll durch eine unternehmerfreundliche Steuerreform internationale Inves­toren anlocken. Vor allem hat der Kongress dem Präsidenten dadurch weitreichende Vollmachten erteilt, um gegen den wirtschaftlichen Notstand vorzugehen. Die Opposition sieht in diesen Vollmachten einen Verfassungsbruch.

Für Milei wird es jedenfalls schwieriger, die soziale Misere auf die vor­herigen Regierungen zu schieben, die seine politischen Gegner gestellt hatten. Sollte sich die Lage der Bevölkerung nicht bessern, könnte die Stimmung rasch kippen. Doch möglicherweise hat Milei auch dafür schon vorgesorgt. Während er an allen Ecken und Enden spart, hat er den Etat der Streitkräfte erhöht und sogar neue Flugzeuge gekauft. Zur Feier des Unabhängigkeitstags am 9. Juli nahm er die größte Militärparade seit Jahrzehnten ab – über 7.000 Soldaten und 70 Kampffahrzeuge zogen unter nationalistischen Rufen der Menge durch die Hauptstadt Buenos Aires.