Freitag, 10.02.2017 / 15:03 Uhr

Nocturnal Animals

Von
Oliver Schott

Es folgen Spoiler. Allerdings ist der Film keineswegs sehenswert, insofern kann man ruhig weiterlesen.

Eine junge Frau, die ihre erste Liebe geheiratet hat, ist nicht mehr glücklich mit ihrer Beziehung. Ihr Ehemann träumt von einer Karriere als Schriftsteller, doch inzwischen glaubt sie nicht mehr so recht an sein Talent. Seine Texte verlieren sich in eitler Selbstbespiegelung, sie berühren sie nicht. Mit ihrer Kritik kann er nicht umgehen. Ihr wird immer klarer, dass beide unvereinbare Werte und Ziele haben: Sie ist unzufrieden mit einer materiell prekären Existenz, in der sie darauf beschränkt bleibt, ihn in seinen Ambitionen zu unterstützen. Seine einzige Priorität ist es, dem Traum vom Künstlerdasein zu folgen. Das missgönnt sie ihm auch nicht, doch sie kann ihm nicht die Unterstützung geben, die er braucht – und einfordert. Je deutlicher die Spannungen hervortreten, desto mehr zeigt sich auch, dass ihre Ziele und Bedürfnisse für ihn kaum von Belang sind. Er zeigt sich verunsichert in seiner Männlichkeit und wirft ihr vor, ihn für schwach zu halten, weil sie seine Arbeit nicht bewundert und sich nicht damit zufrieden gibt, ihn als treusorgende Ehefrau zu unterstützen. Sie will sich trennen, doch er, unfähig, ihre Unzufriedenheit zu verstehen oder auch nur anzuerkennen, will sie nicht ziehen lassen: Sie sei die Einzige für ihn, sein Lebensglück hänge von ihr ab. Sie ist ihrer selbst nicht sicher genug, um sich diesem Druck zu widersetzen, hält es aber auch in ihrer Ehe nicht mehr aus. So beginnt sie eine Affäre. Zur Krise kommt es schließlich, als sie schwanger wird – von ihrem Mann, nicht von ihrem Liebhaber. Dieses Kind würde sie endgültig an die Ehe ketten, die sie doch längst beenden will. Noch immer kann sie die Konfrontation mit ihrem Mann nicht auf sich nehmen. So verheimlicht sie ihm die Schwangerschaft – und treibt ohne sein Wissen ab. Ihr Liebhaber ist der einzige, dem sie alles offenbart, er begleitet sie in die Klinik. Nach dem Abbruch liegt sie ihm, von Schuldgefühlen geplagt, im Auto heulend in den Armen. Da taucht ihr Mann auf – offenbar hat er sie verfolgt. Alles fliegt auf, die Affäre, die Abtreibung. Es kommt zur Scheidung. Später wird sie mit ihrem Liebhaber eine zweite Ehe eingehen und ein Kind haben.

Knapp zwanzig Jahre später hat sie ihre Ziele erreicht: Sie ist eine erfolgreiche Galeristin, angesehen und reich. Die erwachsene Tochter ist bereits ausgezogen, beide haben ein gutes, liebevolles Verhältnis. Doch ihre Tätigkeit erfüllt sie nicht, sie empfindet die Kunstwelt als eitel und bedeutungslos, hält ihre Arbeit trotz des Erfolgs für minderwertig. Ihrem zweiten Ehemann ist sie ebenfalls entfremdet. Nach zwei Jahrzehnten ist die Liebe erloschen, er vernachlässigt sie, hat eine Affäre. In dieser Lage erreicht sie eine Postsendung: Ihr Exmann, mit dem sie seit der Trennung keinen Kontakt mehr hatte, hat seinen ersten Roman vollendet und schickt ihr das noch unveröffentlichte Manuskript, das Buch ist ihr gewidmet. Es handelt sich um eine brutale Rachegeschichte, in der der Protagonist – ein offensichtliches Alter Ego des Autors – samt Gattin und Tochter von drei sadistischen Hinterwäldlern überfallen wird. Die beiden Frauen werden entführt, später findet man ihre misshandelten Leichen, beide wurden vergewaltigt. Am Ende ermordet der Protagonist den letzten überlebenden Täter – die beiden anderen wurden von der Polizei erschossen. Im Zuge der Konfrontation wird auch der Protagonist schwer verletzt und erblindet. Er stürzt und schießt sich selbst tödlich in den Bauch.

Das ist die Geschichte des Films „Nocturnal Animals“, einer Verfilmung des Romans „Tony and Susan“ von Austin Wright. Normalerweise empfiehlt es sich nicht, in einer Besprechung die Handlung eines Films oder Buches ausführlich nachzuerzählen, doch in diesem Fall gibt es Grund, eine Ausnahme zu machen. Denn der Clou ist: Obwohl die Geschichte aus Sicht der Protagonistin – ihr Name ist Susan (dargestellt von Amy Adams) – gezeigt wird, ist es nicht ihre Geschichte. Es ist nicht die Geschichte einer Frau, die von einem emotional übergriffigen Möchtegernpatriarchen gequält wird, der seine Männlichkeitskrise nicht anders zu bewältigen weiß als in literarischen Phantasien von Vergewaltigung und Femizid. Es ist nicht die Geschichte des vor Selbstmitleid triefenden missglückten Neuen Mannes, der an seinem eigenen Anspruch scheitert, sich vom Rollenbild des harten Kerls und autoritären Familienoberhaupts emanzipiert zu haben, und die Schuld an diesem Scheitern nirgendwo anders suchen kann als bei einer Frau. Sondern es ist perfiderweise die Geschichte dieser Frau, wie jener Mann sie sich gerne ausmalen möchte: Zerfressen von Schuldgefühlen für das niemals wiedergutzumachende Unrecht, dass sie ihm angetan hat, und befangen in tiefer, ungebrochener Bewunderung für den Mann, den sie einzig aus eigener Charakterschwäche verlassen und verraten hat.

Im Film erzählt Susan einer Mitarbeiterin, dass sie sich von ihrem ersten Ehemann auf grausame Weise getrennt und ihm etwas Unverzeihliches angetan habe (gemeint ist die Abtreibung). Nirgendwo in ihren Äußerungen, nirgendwo in den Erinnerungssequenzen, in denen uns die Vorgeschichte aus ihrer Sicht gezeigt wird, findet sich die mindeste Einsicht in Fehler des Mannes – er heißt Edward (gespielt von Jake Gyllenhaal). Dieser wird vielmehr als sensibler, idealistischer Künstler dargestellt, der von einer ungerechten Welt und vor allem einer schwachen, ihre Ideale verratenden Ehefrau ins Unglück gestürzt wird. Die emotionale Erpressung, mit der er Susan an sich zu ketten sucht, erscheint als Ausdruck von Edwards tiefer Liebe und seines Bemühens, die Beziehung zu retten. Die Deutung des Geschehens, die der Film ungebrochen präsentiert, indem er sie der gereiften Susan unterschiebt, verortet die Schuld am Scheitern dieser Beziehung ausschließlich bei ihr: Explizit wirft sie sich selbst vor, sie habe nicht ausreichend an ihren Mann „geglaubt“ – zu Unrecht natürlich, wie er nun mit dem, in Susans Worten, „tief berührenden“ Roman bewiesen hat. Zur Trennung von Edward, so wird suggeriert, habe sie vor allem schnödes Besitzstreben motiviert: Als Tochter aus reichem Haus wollte sie in Luxus leben. Dieses Ziel hat sie erreicht, und der Film präsentiert ihren Reichtum so hässlich wie nur möglich. Das protzige Heim Susans und ihres zweiten Mannes ist in kalter Stahl-und-Glas-Ästhetik eingerichtet, alles ist lieblos, unmenschlich, tot. Aus ihrem immensen Erfolg zieht sie keinerlei Befriedigung. Nur unter Einsatz von Schlafmitteln kann Susan noch zur Ruhe kommen. Der Film wärmt das alte Märchen auf, die Reichen müssten ihren materiellen Wohlstand mit emotionaler Verarmung bezahlen und seien deshalb zum Unglück verdammt. Entsprechend wird auch die Kunstwelt, in der Susan arbeitet, als Klischee von Eitelkeit, lächerlicher Prätention und Dekadenz derart gnadenlos überzeichnet, dass die Oberschicht aus „The Hunger Games“ daneben geradezu subtil gezeichnet erscheint. Natürlich ist es ein Schwuler, der auf einer Party eine zynische Verteidigungsrede für den nihilistischen Zirkus vorbringt.

Von – zumeist männlichen – Kritikern wurde „Nocturnal Animals“ über den grünen Klee gelobt. Der Film ist gut besetzt, nur haben die Darsteller nicht allzu viel darzustellen, weil keine der Figuren Tiefe besitzt und es nirgendwo Raum für Zwischentöne gibt. Filmische Stilmittel setzt Regisseur Tom Ford technisch durchaus gekonnt, jedoch künstlerisch plump und unsubtil ein und, weil nur einmal mit dem Holzhammer auf den Kopf halt noch nicht deutlich genug ist, in maßloser Häufung. Wieder und wieder und wieder und wieder wird die Handlung des Romans, die über Susans Lektüre in die Rahmenhandlung eingefügt wird, in effekthascherischer, aber gänzlich kunstloser Weise mit Bildern  aus der Rahmenhandlung gegengeschnitten. Zeigt uns die Romanhandlung einen Pistolenschuss, wird exakt mit dem Knall zurück in Susans Wohnung geschnitten, wo ein Vögelchen gegen das Panoramafenster knallt – wohl just in dem Moment, in dem Susan das Wort „Peng!“ gelesen hat, falls man annehmen darf, dass der Roman dem Film in Sachen stilistischer Raffinesse das Wasser reichen kann. Vermutlich steht das arme, kleine Vögelein, welches sich mit Genickbruch auf dem Steinboden wiederfindet, metaphorisch für Edwards Romantikerherz, das Susans materialistischem Sündenfall, verkörpert in den überdimensionierten Glasscheiben ihres hässlichen Heims, zum Opfer gefallen ist. Oder so.

Nicht zuletzt propagiert der Film eine zutiefst frauenfeindliche Haltung zum Schwangerschaftsabbruch. Dieser wird nicht etwa als ein unveräußerliches Recht der Frau dargestellt, welches diese selbstverständlich auch ohne Zustimmung und Wissen des Erzeugers in Anspruch nehmen kann, zumal wenn dieser ihr durch sein grenzüberschreitendes Verhalten dazu so dringenden Grund gibt wie Edward. Stattdessen erscheint Susans verzweifelter Versuch, die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben zurückzugewinnen, als eine unverzeihliche Verletzung des Vaters. Mit aller Gewalt drängt der Film die Zuschauer auf die Seite Edwards, obwohl sich zu dessen Gunsten bestenfalls sagen lässt, dass er seine Ehefrau „nur“ emotional, aber nicht physisch misshandelt. „Nocturnal Animals“ zeigt Misogynie auf der Höhe der Zeit statt in der anachronistisch gewordenen Form patriarchaler Gewalt – und prompt fällt sie offenbar kaum mehr jemandem auf.

Nocturnal Animals (USA 2016). Regie: Tom Ford. Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal.