Montag, 24.07.2017 / 12:51 Uhr

Wie ein richtiger Mann zu sein hat

Von
Amed Sherwan

Ein richtiger Mann hat ein Auto, verdient Geld, glaubt an Gott und hält die Klappe!

 

Seit einiger Zeit habe ich wieder regelmäßigen Kontakt zu meiner Familie. Nach meiner Flucht hatte ich zunächst nur sehr sporadischen Kontakt. Ich war als Ex-Muslim in Irakisch-Kurdistan nicht nur in Lebensgefahr geraten, ich war für meine Eltern eine Schande. Es war für vermutlich nicht leicht, aber dennoch eine Erleichterung, mich außer Landes zu bringen.

Mein Vater übergab mich in der Türkei den Schleusern. Zusammen mit einer Gruppe anderer alleinreisender Kinder saß ich in dunkle Kleidung gehüllt im hinteren Teil eines Lasters, während wir die Balkanroute fuhren. Es war furchterregend, aber auch etwas aufregend. Und als wir auf einer Raststätte in Österreich ein McDonald‘s Restaurant erblickten, wussten wir, dass wir angekommen waren.

Im Gefängnis wurde ich mit Elektroschocks gezwungen, »wie ein Affe zu tanzen«, weil ich an Darwin und die Evolution glaube

Danach ging es mit Auto nach Deutschland. Ich wurde von meinem Onkel in Empfang genommen, der sich meiner aber schon am nächsten Tag in der Erstaufnahme erledigte. Danach war ich allein. Ich konnte kein Deutsch, mein Englisch war nicht so gut und Arabisch hatte ich nur als Schulfach gehabt. Es fiel mir schwer Kontakte aufzubauen und ich hatte furchtbares Heimweh.

Eines Tages rief ich meine Eltern an und bat sie mich zurückzunehmen. Ich wolle versuchen, meinen Unglauben zu verheimlichen. Ich werde alles tun, um nicht mehr aufzufallen. Dich meine Eltern verneinten kategorisch, ich sei in Kurdistan nicht sicher. Vermutlich hatten sie wirklich Angst um meine Sicherheit, aber es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Es gab keinen Weg zurück.

Ich sah auch keinen Weg nach vorn und am nächsten Tag fand mein Betreuer mich vollgepumpt mit Schlaftabletten. Nach dem Krankenhausaufenthalt wollte mein Vormund mich in die Kinderpsychiatrie unterbringen. Aber glücklicherweise erkannte der zuständige Psychiater, dass eine stationäre Unterbringung aufgrund meiner Erfahrungen im Gefängnis für mich nicht aushaltbar war.

Ich kam zurück in die Jugendwohngruppe, machte mich darauf gefasst, meinen Weg allein zu gehen und brach den Kontakt zu meinen Eltern ganz ab. Den Kontakt nahm ich erst wieder auf, als ich meinen Platz in Deutschland gefunden und besser gewappnet war. Meine Eltern waren sichtlich erleichtert und froh, dass es mir gut ging und wir näherten uns wieder an.

Seitdem reden wir über Alltagsdinge und klammern alle Konfliktthemen aus. Die arrangierte Ehe meiner Schwester habe ich zwar kritisch kommentiert, wir haben uns aber nicht ernsthaft gestritten. Ich habe meinen Eltern sogar erklären können, dass ich ohne Hochzeit in einer Liebesbeziehung lebe. Und wir reden darüber, ob wir uns irgendwann, irgendwo in den Ferien treffen können.

Aber kaum habe ich sie wieder in mein Herz geschlossen, werden die Differenzen wieder deutlich. Stein des Anstoßes ist die Tatsache, dass ich meinen ersten allgemeinen Schulabschluss bestanden habe und nun weiter zur Schule gehen möchte, um den mittleren Schulabschluss und hoffentlich irgendwann Abitur zu machen.

Vor einigen Tagen habe ich deswegen einen brüllenden Vater am Apparat gehabt. Wie lange ich denn noch zur Schule gehen wolle und ob ich danach noch 20 Jahre studieren wolle. Wann ich endlich meinen Führerschein machen und ein Auto kaufen wolle. Wann ich endlich einen Glauben fände. Ich könne Christ werden oder Jude werden, aber an Gott ginge kein Weg vorbei.

Ich entgegnete ich glaube an die Evolution. Aber wer habe die Evolution gemacht, fragte er. Auf meine Gegenfrage, wer Allah gemacht habe, wurde er wütend. Dass ich damals im Gefängnis mit Elektroschocks gezwungen wurde »wie ein Affe zu tanzen«, weil ich an Darwin glaube, und deshalb nicht gut auf das Thema zu sprechen sei, war ihm augenscheinlich egal.

Dass ich meine Familie und Heimat verlassen habe, um endlich frei sprechen und ohne Religionszwang leben zu können, haben meine Eltern offensichtlich vergessen. Meinungsfreiheit sei Unfug, sagte mein Vater. Ich solle endlich lernen, mich unterzuordnen und die Klappe zu halten. Wann werde ich eigentlich mal erwachsen.

Ich weiß, dass ich ohne meine Familie leben kann. Solche Anrufe tun weh, aber sie bringen mich nicht vom Weg ab. Vielen meiner Freunde geht es anders. Sie machen kein Ausbildung und nehmen lieber Aushilfsjobs an, um ihren Eltern zu beweisen, dass sie echte Männer sind. Und um etwas nach Hause schicken zu können, gehen sie parallel illegale Wege um an etwas Geld zu kommen.

Ein richtiger Mann braucht keine Bildung oder kritische Gedanken, sondern ein Auto und Geld. Wie leid mein Vater mir tut, wie gefangen er ist in seiner kleinen, engen Welt. Wäre ich damals nicht vom Glauben abgefallen, wäre ich auch so. Wie dankbar ich bin, dass mir dieses Schicksal erspart worden ist.

Thank Allah, I became an Atheist ;-)