Die Wegbereiter des jüdischen Staates
Hinsichtlich des Existenzrechtes Israels wird oft kolportiert, dass der Staat als Folge des Holocaust gegründet worden sei. Diesem negativen Gründungsmythos ist zu widersprechen. Er diffamiert den modernen Zionismus, seine Vordenker und die Pioniere, die seit den 1880er Jahren auf die Wiederherstellung der Selbstbestimmung des jüdischen Volkes in seinem historischen Heimatland hingewirkt haben.
1881 folgte dem Attentat auf Zar Alexander eine Welle von Pogromen im Zarenreich und im Mai 1882 eine Gesetzgebung, die den Juden viele Restriktionen auferlegte. „Warum sollten wir den Tod fürchten – reitet doch sein Engel schon auf unseren Schultern“ schrieb Haim Nachman Bialik in dieser Zeit. 1891 begann die systematische Vertreibung der Juden aus Moskau.
Viele Juden flüchteten nach Westeuropa und in die Vereinigten Staaten während sich andere den revolutionären Strömungen anschlossen. Zugleich wurde der moderne Zionismus auf den Weg gebracht. 1881/1882 entstand in Russland die erste organisierte zionistische Bewegung Hibbat Zion (Zionsliebe). Moses Lilienblum, der den Pogrom von Odessa 1881 erlebte, setzte sich dafür ein, Boden im Land der Vorväter zu erwerben und zu besiedeln. Leo Pinsker schreibt unter dem Eindruck der Pogrome 1882 das Pamphlet „Auto-Emanzipation“. Pinsker, der schockiert war, dass der Judenhass auch vermeintlich kultivierte und fortschrittliche Elemente erfasst hatte, forderte eine Abkehr von der Assimilation und eine „Wiedergeburt der jüdischen Nation“. David Levontin, der 1881 aus Kharkov verwiesen wurde, führte eine Gruppe von Hibbat Zion nach Palästina und gründete dort die erste zionistische Siedlung Rishon LeZion.
Die jüdischen Einwanderer hatten ihre liebe Not mit ihrer neuen Heimat. Die fruchtbaren Böden der Ukraine lagen hinter ihnen und das gelobte Land verlangte ihnen ungekannte Mühen ab. In den Sümpfen lauerte die Malaria, die viele Opfer forderte. Die zionistischen Organisationen sicherten sich die finanzielle Unterstützung des Philanthropen Edmond de Rothschild, Mitbesitzer des berühmten bordelaiser Weingut Chateau Lafite. Rothschilds Antrieb war das Mitleid für die geflüchteten Ostjuden. Er schickte neben Geld auch Weinexperten und noch 1882 wurden die ersten Trauben angebaut und die erste Kellerei in Rishon LeZion errichtet. Bereits wenige Jahre danach kam eine zweite Kellerei in Zikhron Ya’akov hinzu.
Baron Rothschild besuchte den Yishuv fünf Mal. Schließlich entwickelte sich bei ihm neben dem Mitleid für die geflüchteten Ostjuden auch eine Bewunderung für ihr Aufbauwerk.
Moses Hess und Theodor Herzl
Moses Hess, ein zeitweiliger Weggefährte von Karl Marx forderte bereits 1862 in seiner Schrift „Rom und Jerusalem“ die Besinnung auf die jüdische Nationalität und die Errichtung eines jüdisch sozialistischen Gemeinwesens in Palästina. Zur politischen Kraft wurde der Zionismus durch Theodor Herzl. Der Korrespondent einer Wiener Zeitung wurde 1894 in Paris Zeuge der antisemitischen Kampagnen im Zuge der Dreyfus Affäre. Dreyfus war jüdischer Kommandant in der französischen Armee und wurde in einem Schauprozess als Verräter beschuldigt, während auf den Straßen “Tod den Juden” skandiert wurde. Herzl kam zu der Überzeugung, dass der Antisemitismus eine gesellschaftliche Konstante und durch Assimilation nicht zu lösen sei.
Herzl suchte nach einer politischen statt einer philanthropischen Lösung. Er glaubte, die Diskriminierung der Juden als ewige Minderheit nur nationalstaatlich lösen zu können. 1896 schrieb er “Der Judenstaat”. 1898 wurde auf dem ersten zionistischen Weltkongress unter dem Vorsitz von Theodor Herzl die Forderung nach einer „öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina“ erhoben. Nach dem Kongress schrieb Herzl in sein Tagebuch, dass er den Judenstaat gegründet hat.
Mit den Mitteln der Diplomatie und der öffentlichen Propaganda sollte das nationale Projekt auf den Weg gebracht werden. Die Bemühungen zielten auf die Anerkennung der nationalen Einheit der Juden, die einen legitimen Anspruch auf einen eigenen Staat haben.
Herzl verfolgte er einen streng diplomatischen Zionismus. Er bemühte sich bei der Hohen Pforte um einen “Charter” zur Ansiedlung von Juden in Palästina. Der Ansiedlung durch Infiltration stand er ablehnend gegenüber. Die Zionistische Weltorganisation wurde unter dem Vorsitz von Herzl in Palästina entsprechend nicht aktiv. Der Visionär traf sich mit dem türkischen Sultan und dessen starkem Verbündeten, dem Deutschen Kaiser Wilhelm.
Nachdem seine Bemühungen erfolglos geblieben waren, wandte sich Herzl mit dem Anliegen einer öffentlich rechtlich gesicherten jüdischen Heimstätte an die Briten. Diese machten diese ihm den Vorschlag, die Heimstätte in Uganda zu errichten. Als er beim sechsten Zionistischen Weltkongress 1903 eine Prüfung dieser Option verlangte, brachte er die russischen Delegierten um deren Anführer Menachem Ussishkin gegen sich auf. Ohne auf politischem Weg irgend etwas erreicht zu haben starb Herzl 1904.
Er hinterließ der zionistischen Bewegung das Motto “Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen
Antisemitismus im Zarenreich
1903 bis 1906 kam es im Zarenreich zu blutigen Pogromen, die die antijüdischen Ausschreitungen von 1881 bis 1884 an Grausamkeit noch weit überboten und Tausenden Juden das Leben kosteten. Den Beginn markierte am Ostersonntag 1903 der Pogrom in Kishinev. Diesem folgte ein weiterer Auswanderungsschub der ersten Aliya. Haim Nachman Bialik verfasste unter dem Eindruck des Pogroms und nachdem er mit Überlebenden geredet hatte das Gedicht „auf der Schlachtbank“ in dem es heißt: „Verflucht sei der, der sagt „Rache!“ / Vergeltung für das Blut eines kleinen Kindes / Hat sich Satan noch nicht ausgedacht.“ 1904 schrieb er das Gedicht „In der Stadt des Schlachtens“, in dem er die laue Verurteilung des Massakers anprangert.
1904 erschienen erstmals die „Protokolle der Weisen von Zion“, die dem antisemitischen Wahn einer jüdischen Weltverschwörung Ausdruck verliehen. Das Pamphlet, das vom zaristischen Geheimdienst in Umlauf gebracht wurde und alle antijüdischen Mythen in einer Schrift zusammenfasst, wurde millionenfach verbreitet und von Antisemiten als ideologische Grundlage adoptiert. In der Schrift wird eine vermeintlich jüdische Verschwörung belegt, die den Untergang der Welt nach sich zieht. Der Antisemitismus wurde zu einer Massenbewegung. Aus dem Antijudaismus, der sich auf den jüdischen Glauben bezog, wurde der antisemitische Hass auf die jüdische „Rasse“.
1904 markiert den Beginn der legendären zweiten Aliya, die maßgeblich von Herzl inspiriert war. Die Pioniere setzten sich zum Ziel die traumgeborene Utopie einer nationalen Auferstehung zu verwirklichen. Sie verbanden das Streben nach nationaler Befreiung der Juden mit der Befreiung des Proletariats. Um die Jahrhndertwende gründeten sich überall im Zarenreich zionistische Zirkel aus denen sich schließlich die Partei Poalei Zion (Zionistische Arbeiter) formte. Ihr Initiator Ber Borochov verknüpfte das Streben nach einer sicheren jüdischen Heimstätte mit dem Klassenkampf. Viele junge Juden verabschiedeten sich von ihren Familien, um als Landwirte den Boden der Vorväter zu bestellen. Ihre Anliegen war einen jüdischen Arbeiter- und Bauernstaat zu errichten. Die Pioniere der zweiten Einwanderungswelle hatte zunächst mit Hunger und Malaria zu kämpfen und zogen als Lohnarbeiter durch das Land. Sie legten Sümpfe trocken und arbeiteten auf Plantagen und Farmen der inzwischen etablierten Einwanderer der ersten Aliya.
Frühe Zionisten
Um ihre sozialistischen Ansprüche leben zu können gründeten sie schließlich Kollektiv- und Genossenschaftssiedlungen. Ihr sozialistisch-zionistisches Anliegen bestimmte ihr asketisches Leben als hart arbeitende Landwirte.
Die Spannungen zwischen dem praktizierten Siedlungswerk und den politischen Bemühungen um die Gründung eines jüdischen Staates wurden 1907 aufgehoben, als Chaim Weizmann die beiden Ansätze in einer historischen Rede zum synthetischen Zionismus verschmolz. Er unterstrich die Bedeutung der Pionierarbeit in der Landwirtschaft und erkannte gleichzeitig, dass die politischen Bemühungen unerlässlich sind.
Nach Annahme der synthetischen Zionismus eröffnete die Zionistische Weltorganisation 1908 eine Vertretung in Palästina , mit deren Leitung der deutsche Jude Arthur Ruppin beauftragt wurde.
Die von Arthur Ruppin initiierte Kinneret Trainingsfarm wurde zu einem Laboratorium für soziale und ökonomische Experimente und zur Keimzelle für Strukturen und Organisationen des vorstaatlichen jüdischen Gemeinwesens. Spiritueller Mentor der Farm war Aaron David Gordon, der die körperliche Arbeit für das Aufbauwerk propagierte und die Partei HaPoel HaTzair (Der junge Arbeiter) gründete. Im Oktober 1909 kam es auf der Trainingsfarm zu einem Streik der Arbeiter, deren Anstifter Berl Katzenelson war. Auslöser war ein Streit zwischen dem Verwalter der Farm und den Arbeitern und die Folge des Streiks war, dass Ruppin den Verwalter nach zwei Wochen entliess. Es war die Geburtsstunde der kollektiven Selbstverwaltung, in der die Ideologie der Pioniere aufgehen sollte. Neben der Geschichte kollektiver Siedlungsformen sind auch die Geschichte der Frauenrechtsbewegung, der paramilitärische Organisation Haganah und des Arbeiterverbandes Histadruth ist mit der Trainingsfarm verwoben. Katzenelson gründete die Verbraucher Kooperative HaMashbir um preiswerte Lebensmittel zu vertreiben und später die Allgemeine Krankenkasse, womit der Arbeiterführer zum Pioneer der Sozialversicherung wurde.
Inspiriert von Ber Borochov und ermutigt von Arthur Ruppin gründeten Pioniere der Trainingsfarm nach dem Arbeiterstreik den ersten Kibbutz Degania Aleph.
Als Vertreter eines demokratischen Zionismus setzte sich Ruppin ferner auch für die Gewährung von Krediten aus den Mitteln des JNF für die Gründung der ersten hebräischen Stadt Tel Aviv ein.
Erster Weltkrieg
Mit dem ersten Weltkrieg fand die zweite Aliya ein plötzliches Ende. 1917 wurde unter der maßgeblichen Mithilfe des britischen Zionisten Chaim Weizmann die Balfour Erklärung erwirkt. Durch die Niederlage der Türkei im Weltkrieg wurde Palästina von einer osmanischen Provinz zum Mandatsgebiet unter britischer Verwaltung. Nach dem Krieg setzte die dritte Aliya ein, die in vielfacher Hinsicht an die zweite Aliya anknüpfte und viele Söhne der russischen Revolution ins Land brachte.
Das Siedlungswerk, das über den Aufkauf von Land vollzogen wurde, war immer eine finanzielle Herausforderung. Schon 1901 wurde auf dem fünften Zionistischen Weltkongress beschlossen, einen jüdischen Nationalfonds zu gründen. In Hunderttausenden von Spendenbüchsen sammelte sich der Beitrag der Juden noch aus den letzten Winkeln der Welt für das zionistische Projekt. Die blaue Sammelbüchse des JNF stand quasi in jedem jüdischen Haushalt der Erde. Die Verwendung der Gelder des JNF in Palästina koordinierte das Palästinafrage. Dunam fuer Dunam wurden mittels der Spenden der Juden aus der ganzen Welt erworben. Es gab keinen Landraub!
1923 wurde Menchem Ussishkin Vorsitzender des JNF. In den 1920er und 1930er Jahren füllten sich die blauen Sammelbüchsen des JNF und der Fonds errichtete viele Kibbutze, besiedelte die Wüste und erschloss das obere Galiläa.
David ben Gurion
1886 wurde David-Joseph Grien in Plonsk im russischen Polen geboren. Sein Vater war der Gründer der örtlichen Hibat Zion Gesellschaft. David-Joseph Grien, der 1904 in Warschau der Poalei Zion beigetreten war, kam 1906 nach Palästina, änderte seinen Namen in David Ben Gurion und gründete einen Ableger der Poalei Zion. Ben Gurion war zunächst enttäuscht vom Yishuv. Jüdische Landbesitzer, vom Baron Rothschild gefördert, hatten arabische Lohnarbeiter und wenig Verständnis euer den Idealismus der jungen Einwanderer. die macht die Erfahrung als Gelegenheitsarbeiter, der durch das Land zieht mit Hunger und Krankheit konfrontiert ist. Schließlich landete er in der jüdischen Farm Sedschera, einer Art Kibbutz Vorreiter, die ohne Leiharbeit auskam. Hier lernte er Landwirtschaft und Verteidigung. 1911 ging er Thessaloniki, wo die blühende jüdische Gemeinde und allen voran die jüdischen Arbeiter großen Eindruck auf ihn machten. 1913 ging er zum Studium nach Konstantinopel, wurde während des ersten Weltkrieges aus dem osmanischen Reich ausgewiesen.
Nach der Balfour Erklärung rekrutierte er sich für die jüdische Legion. Nach dem Krieg kehrte er nach Palästina zurück und gründete nach einer Spaltung von Poalei Zion Poalei Zion die Ahdut HaAvoda, die bei ihrer zweiten Versammlung in der Kinneret Farm die paramilitärische Haganah gründete. Ebenfalls 1920 gründete Ahdut HaAvoda zusammen mit HaPoel HaTzair den Arbeiterverband Histadruth, dessen erster Vorsitzender Ben Gurion wurde.
Die Histadruth wurde zur mächtigsten Institution des Yishuv. Sie war nicht nur Arbeitervertretung, sondern stand hinter der Gründung vieler wichtiger Firmen, wie der Baugenossenschaft Solel Boneh (1921), der Autobusgenossenschaft Egged (1933), der Reederei ZIM (1945) u.v.m. Die Histadruth war mit Abstand der größte Arbeitgeber und schaffte die Infrastruktur aus der später der Staat hervorgehen sollte. Es ist eine Einmaligkeit der Geschichte, dass ein Staat aus einer Arbeiterbewegung entsteht. Die Histadruth war Gründer und Besitzer der Arbeiterbank und der Krankenkasse und Herausgeber der ideologisch ausgerichteten Zeitung Davar, dessen erster Chefredakteur Berl Katzenelson wurde. Die Haganah wurde der Histadruth unterstellt.
Ben Gurion vertrat die jüdischen Siedler in Palästina bei den zionistischen Weltkongressen. Er war der bedeutendste Fürsprecher des praktischen Zionismus. Er mahnte gegen alles Vertrauen in die Diplomatie und Versprechen der Engländer stets den Ausbau des Siedlungswerkes an und vertrat nachdrücklich die Forderung mit einer jüdischen Mehrheit Tatsachen zu schaffen.
1930 hat Ben Gurion die Arbeiterpartei Mapai gegründet, deren Vorsitzender er wurde. Die sozialistisch-zionistische Ideologie sollte auch in der Zionistischen Weltorganisation bestimmend werden. Bei den Wahlen zum Zionistischen Weltkongress 1933 wurde die Arbeiterbewegung erstmals stärkste Fraktion und Ben Gurion erstmals in die Exekutive gewählt. Mapai war bis zur Staatsgründung 1948 und danach die dominierende politische Partei und blieb es bis 1977.
Das sozialistisch-zionistische Engagement der Pioniere der zweiten Aliya, die ab 1904 ins Land kamen fängt in zionistischen Debattierclubs in Russland, der Ukraine, Litauen und Weißrussland an und lässt sie im Laufe ihres eigenen Lebens ihre Utopien leben und jenseits ihrer kühnsten Träume verwirklichen.
Beitrag zuerst erschienen auf dem Kichererbsenblog