Sonntag, 20.06.2021 / 08:33 Uhr

In der Zukunft darf jede* mal „Jude“ sein

Von
Deborah E. King

Bildquelle: Facebook

„Die radikale Wissenschaftsfeindlichkeit, die zynische Ausbeutung sozialer Unsicherheit, die populistische Mobilisierung und die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt werden bleiben. Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden. Und vermutlich werden es dann nicht die „Juden“ und „Kosmopoliten“, nicht die „Feministinnen“ und die „Virologinnen“ sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“ (Carolin Emcke)

Wenn also zukünftig die „Klimaforscherinnen“ diejenigen sind, vor denen durch Populisten und Ressentimentbehaftete gewarnt wird, dann werden laut Emcke

1) entweder die Juden als Hassobjekt irrelevant geworden sein, was allein angesichts des sich empirisch weiterhin offen artikulierenden Antisemitismus nicht nur unwahrscheinlich erscheint sondern einer groben Verharmlosung desselbigen nach dem Motto „das geht auch vorbei“ gleichkäme – dies dürfte Emcke aber wohl kaum gemeint haben -

2) oder aber „Klimaforscherinnen“ in rechten Weltbildern lediglich als gerade jüngster Code für Juden fungieren (ähnlich wie die „Globalisten“ bei Hans-Georg Maaßen“), was aber suggeriert, Klimaforscherinnen (ob eingebettet in Gänsefüßchen oder nicht d.h. von den Rechten lediglich als solche imaginierte oder echte) wären genauso (von potentieller Vernichtung) bedroht wie reale Juden (denn die Chiffre „Juden“ steht am Ende doch wieder vor allem für Juden), was ebenfalls einer Verharmlosung des Antisemitismus gleichkommt – Emcke hätte ja durchaus die Auswirkungen dieser Warnungen vor der Chiffre bzw. deren eigentliche Bedeutung (Juden) benennen können, was sie aber nicht tat.

3) Es besteht selbstredend noch die Möglichkeit, dass Emcke ganz einfach schlecht formuliert hat – ihre bei anderer Gelegenheit angedeutete Sympathie für die den Vernichtungsantisemitismus und den kolonialen Rassismus gegeneinander ausspielende, beide Phänomene damit einnivellierende sowie den israelbezogenen Antisemitismus postkolonialer Provenienz relativierende - „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ einmal außen vorgelassen, was eigentlich darauf hindeutet, dass die Intention ihrer Formulierung zu Möglichkeit 2) tendierte. Dann irren jedoch die ihr beigesprungenen Apologeten à la Max Czollek, die ja ihre Wortwahl keineswegs unglücklich fanden sondern in dieser eine „wichtige Lektion in Intersektionalität“ erkannten und mit ihrer Lesart der emckeschen Aussagen wahrscheinlich sogar richtig liegen. Zumal Emcke hierzu bislang keine Klarstellung oder gar Distanzierung (von sich selbst) veröffentlicht hat.

Bemerkenswert ist übrigens, dass auch die „Feministinnen“ und „Virologinnen“ laut Emcke zukünftig vermutlich keine Konjunktur mehr in rechten Bedrohungsnarrativen haben werden d.h. sie suggeriert damit, die eine Gruppe sei gegen die andere beliebig austauschbar. Welche gerade ‚angesagt‘ sei, hänge dann vom jeweiligen Zeitungeist bzw. den politischen Opportunitätserwägungen der rechten Warner ab. Damit wird jedoch alles in eins gesetzt, denn wenn man von der Existenz rechter Vernichtungsphantasien ausgeht, wozu es ausreichend Anlass gibt, wogegen, wenn nicht gegen das Objekt der Warnungen, sollen sich diese am Ende richten. Dieses bleibt in der Konsequenz bei Emcke jedoch unaufgelöste Chiffre.

In der Zukunft darf jede* mal „Jude“ sein.