Dienstag, 28.12.2021 / 11:27 Uhr

Jesidinnen nach dem Völkermord

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Ehemalige in die Sklaverei entführte Jesidinnen betreiben ein Gewächshaus in Dohuk, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

So zynisch es auf den ersten Blick klingen mag, es gibt Fälle, in denen Katastrophen und Kriege zu positiven Veränderungen führen, Für die Deutsche Welle berichtet Cathrin Schaer, welche Auswirkungen der Völkermord durch den Islamischen Staat auf jesidische Frauen hat:

Der brutale Angriff des IS auf die jesidische Minderheit hat diese für immer verändert. Als die Extremisten 2017 aus dem Nordirak weitgehend zurückgedrängt wurden, hatten sie bereits Tausende Jesiden getötet oder entführt. Mehrere internationale Gremien stufen die Ereignisse inzwischen als Völkermord ein. Heute leben noch rund 240.000 Jesiden in Lagern für Vertriebene, viele von ihnen in bitterer Armut.

"Die jesidische Gemeinschaft hat sich seitdem geöffnet ", sagt Murad Ismael, Leiter der Sinjar Academy, eines Instituts, das sich für stärkere Bildung der im Nordirak lebenden Menschen einsetzt. "Die jesidische Gemeinschaft hat zwar nichts zu verbergen. Doch mir scheint, in der Vergangenheit hielten es viele für besser, nicht über ihre Identität oder ihren Glauben zu sprechen", sagt Ismael. "Ich glaube auch, dass die Weltgemeinschaft die Jesiden heute stärker unterstützt. Das ermutigt sie, offener zu sein."

Durch die internationale Aufmerksamkeit infolge des IS-Terrors hätten sich innerhalb der Gemeinschaft vor allem die Frauenrechte verbessert, sagt Suleiman. "Bevor der IS hierher kam, konnte eine Frau ihr Dorf nicht ohne einen männlichen Vormund verlassen. Doch heute dürfen Frauen ihr Dorf verlassen und auch ein Flugzeug nach Europa nehmen, wenn ihnen danach ist."

"Früher hätte die Gemeinschaft derartige Freiheiten für Frauen nicht akzeptiert", sagt auch Naven Symoqi, eine jesidische Aktivistin und Journalistin aus Sinjar, einem Bezirk, in dem viele irakische Jesiden leben. "Aber im Kontext der Vertreibung landeten die Jesiden in unterschiedlichen Regionen des Irak. Dort nahmen sie dann ganz andere Lebensweisen zur Kenntnis."

Diese Erfahrung, so ein um Anonymität bittender Einheimischer aus dem Nordirak, der mit Jeziden in einem Vertriebenenlager gearbeitet hat, habe deutliche Auswirkungen auf die Gemeinschaft gehabt. "Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus einer isolierten landwirtschaftlichen Gemeinde ohne viele Ressourcen, in der viele Menschen nicht über die Grundschulbildung hinausgekommen sind. Und dann werden Sie vertrieben und landen in einem Flüchtlingslager, in dem viele NGOs auch Programme zu Bildung und Frauenrechten durchführen", so unser Gesprächspartner. Eine solche Erfahrung bleibe nicht ohne Folgen.