Mittwoch, 12.01.2022 / 17:54 Uhr

Kasachstan: Aus dem Despoten-Drehbuch

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Gestürzte Statue von Nursultan Äbischuly Nasarbajew, Bildquelle: LeftEast

Warum sollte das Rezept, das schon bei Präsident Assad in Syrien geklappt hat, nicht auch bei Präsident Toqajew in Kasachstan klappen?

Auch für Menschen, die von sich kaum behaupten können, sich in Kasachstan oder mit den politischen Verhältnissen dort irgendwie auszukennen, fällt auf, wie bekannt das ganze Drehbuch doch ist.

Gehen nämlich in einem Land, das von Freedom House als »nicht frei« eingestuft wird und dessen Regierung enge Kontakte zum Kreml in Moskau unterhält, aus welchen Gründen auch immer Menschen auf die Straße, um gegen ihre eigene Regierung zu protestieren, so ist es in der Regel eine Frage von Stunden, bis die Herrscher, gegen die der Unmut sich richtet, einen Plot von Terroristen, ausländischen Mächten, Gangstern und freien Medien enttarnen

So trat auch der kasachische Präsident Qassym-Schomart Toqajew vor die Öffentlichkeit und erklärte, während Sicherheitskräfte über 10.000 Menschen inhaftiert hatten:

»Wir hatten es mit bewaffneten und gut vorbereiteten Banditen zu tun, sowohl mit einheimischen als auch mit ausländischen. Banditen und Terroristen, die vernichtet werden sollten. Das wird in nächster Zeit geschehen.«

Wäre das wirklich so, müsste sich doch jeder mit einem Rest an Common Sense fragen, wieso gerade Staaten, die doch einen Gutteil ihres Budgets in Geheimdienste und Überwachung investieren, nicht in der Lage sind, solche Verschwörungen zeitnah aufzudecken?

k
Terroristen und Banditen? Bildquelle: LeftEast

 

Wie kommt es, dass Sie ihre Bürgerinnen und Bürger nicht in den Tagen und Wochen zuvor mindestens vor einer Gefahr gewarnt haben, sondern immer erst, nachdem die Massen auf den Straßen erschienen sind?

Was für Pfuscher müssen da in Zeiten von Pegasus- und anderer Überwachungssoftware als Schlapphüte in Lohn und Brot gesetzt worden sein, müsste man sich zu Recht fragen. Wofür all der Aufwand und mit so genannten Dissidenten gefüllte Gefängnisse, in denen es furchtbar zugeht, wenn derartige Verschwörungen quasi unbemerkt vonstatten gehen können.

Nur: Niemand tut das, sondern man kauft ihnen am Ende diese Erzählung, die von russischen Staatsmedien noch entsprechend genährt wird, auch noch irgendwie ab. Vielleicht ist doch etwas Wahres dran an den Vorwürfen und es handelt sich wirklich um sinistre Umsturzpläne?

Ewig gleiches Drehbuch

Wenn allerdings, wie gesagt, an den Aussagen etwas dran wäre, dann säßen in den Diensten dieser Länder fürchterliche Pfuscher und man sollte sich ernsthaft um die viel beschworene Stabilität dieser Länder große Sorgen machen. Einmal mag es den Verschwörern ja sogar gelingen, ihren Coup durchzuziehen, aber so oft und an so verschiedenen Orten? Und die Erklärungen gleichen sich dann auch jedes Mal bis in den Wortlaut hinein.

Der syrische Geheimdienst kennt den Inhalt wohl jeder versendeten E-Mail, hörte jedes Telefonat ab.

Vor zehn Jahren etwa folgte der syrische Diktator dem exakt gleichen Drehbuch und warf ausländischen Mächten vor, die Proteste gegen ihn orchestriert zu haben. Die Opposition bestünde in Wahrheit aus Terroristen.

Dabei kannte in seinem Land der Geheimdienst den Inhalt wohl jeder versendeten E-Mail, hörte jedes Telefonat ab, und diese Typen mit den dunklen Sonnenbrillen, von denen jeder Syrer genau wusste, wofür sie ihren Gehaltscheck bekommen, lungerten an so ungefähr jeder Straßenecke herum.

Wie viele Geheimdienste es gab und bis heute gibt, die die Bürgerinnen und Bürger überwachen und terrorisieren, dürfte dagegen lediglich einer engen Clique um den Präsidenten bekannt sein. Und sie alle sollen 2011 nicht mitbekommen haben, wie sich Islamisten, Zionisten und Imperialisten gemeinsam verschworen haben, um Massendemonstrationen anzuzetteln, um einen der ganz großen Führer der »Achse des Widerstandes« zu stürzen?

Noch im Februar 2011 will der Präsident nicht gewusst haben, was da unter seiner Nase für perfide Pläne geschmiedet wurden, als er in einem Interview stolz erklärte, in seinem Land werde es keinen »arabischen Frühling« geben?

f
Demonstration im syrischen Homs gegen Assad im April 2011, Bildquelle: Wikimedia Commons

 

Aber natürlich gibt es für solche Herrscher auch immer die Möglichkeit, ein wenig nachzuhelfen: Längst ist klar, dass etwa das Assad Regime, als es merkte, die Proteste nicht kontrollieren zu können, die Gefängnistüren für allerlei inhaftierte Islamisten öffnete, um später behaupten zu können, bei den Demonstranten handele es sich um »islamische Terroristen«.

Je stärker die – auch mit tätiger Mithilfe syrischer Geheimdienste – wurden, desto besser konnte sich Assad in den Folgejahren als »kleineres Übel« und Bollwerk gegen den Islamismus verkaufen.

Etwas ähnliches könnte sich auch in Kasachstan abgespielt haben. So meint der exilierte Menschenrechtsaktivist Yevgeniy Zhovtis etwa, dass dort, wo Proteste gewalttätig geworden seien, Islamisten ihre Hand im Spiel gehabt hätten und es sich dabei um Gruppen handele, die sich guter Beziehungen zu Teilen der herrschenden Elite erfreuten:

»Die letzte Gruppe, die keineswegs als einheitlich oder organisiert angesehen werden sollte, ist der gewalttätige Teil, der sich aus Islamisten und kriminellen Elementen zusammensetzt, die von Loyalisten der lokalen Eliten unterwandert werden.

Es ist wahrscheinlich, dass islamistische Gruppen hinter dem Brand von Regierungsgebäuden in der nördlichen Stadt Aktobe stecken, wo es traditionell islamistische Zellen gibt.

Die Beteiligung dieser Personen, die das Ziel verfolgten, die Polizei anzugreifen und Waffen zu stehlen, war auch im Süden, in den Städten Taraz, Shymkent und Almaty zu beobachten, wo mehrere kriminelle und gewalttätige Gruppen, die möglicherweise mit den Eliten in Verbindung stehen, operierten.«

Schließlich wissen alle mit dem Kreml verbündete Despoten, wie leicht es ist, sich – gerät man in die Krise – dem Westen als Garant von Stabilität angesichts einer islamistischen Bedrohung zu verkaufen.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch