Sonntag, 08.05.2022 / 22:10 Uhr

Der russische Frühling: Von Aleppo nach Kiew – The Saints go marching in

Von
Gastbeitrag von Philip Thiée

Z-War, Bildquelle: Twitter

"Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat." (Berthold Brecht)

In Russland will heute die intellektuelle und kulturelle Elite den Endkampf in der Ukraine. Von ihr und einer eklektischen Ideologie getrieben führt die Regierung um Putin den Z-Krieg in der Ukraine. Ein Interesse an einem Frieden gibt es in Russland nicht.

Dies wird dort offen ausgesprochen – ja geradezu auf allen Kanälen herausposaunt. Der Z-Krieg ist von langer Hand ideologisch und Strategisch geplant. Die Spur führt vom Kampf gegen den „arabischen Frühling“ zur imperialistischen Bewegung des „russischen Frühlings“. Der Z-Krieg fügt sich in ein Sammelsurium ideengeschichtlicher Gedanken ein, die Russland als den christlichen Retter der Welt gegen korrupten Westen sehen, den man vor sich selbst schützen muss. Seltsamer Weise wird in Deutschland die herausgeschriene ideologische Grundlage des Z-Krieges von denjenigen Ignoriert, die inzwischen offen die Ukraine als Kriegstreiber bezeichnen. Was will man in Russland eigentlich? Hören wir den Ideologen einfach selber zu:

Im November 2015 nannte Obama bei einer Konferenz in Manila Putin einen „constructive Partner“ im Kampf gegen den IS. Russland müsse einfach nur den Focus von einer Stützung des Assad Regimes zu einer stärkeren Bekämpfung des IS verschieben. Offensichtlich sind es nicht alleine Trump oder die SPD, die Fehleinschätzungen im Verhältnis zur russischen Politik unterliegen. Berichtet wurde, dass orthodoxe Priester in Syrien bomben gesegnet haben und die Intervention in Syrien als heiliger Krieg bezeichnet wurde. Der arabische Frühling ging in der Folge auch an russischen Bomben zu Grunde.

Ungefähr zeitgleich wurde in der Ukraine ein Begriff in den Umlauf gebracht: der russische Frühling. Gemeint waren damit, die Aufstände in den an Russland angrenzenden Gebieten und auf der Krim. Da dort aber nicht genügend Aufständische zu finden waren, sprang das russische Militär ein. Auf der Krim waren es nicht Volksmilizen, sondern russische Einheiten, die den Anschluss an das Vaterland erwirkten. In den Volksrepubliken Donezk und Luhansk stellte der russische Geheimdient GRU wesentlich das Führungspersonal. Der russische Ex-Agent Igor Strelkov, Kampfname Girkin, war hier ein prominenter Führer, bevor er sich enttäuscht zurück zog.

Russischer Frühling

Unter dem Topos des Russischen Frühling sammelten sich nationalistische Kräfte in der Russischen Föderation, die davon ausgingen Russland sei nicht bloß die Föderation, sondern die Russische Welt. Professoren wie Alexander Dugin, in der russischen Presse als anerkannter Ideologe des Russischen Frühlings bezeichnet, und Agent Strelkov zeigten sich nach 2014 enttäuscht, dass die russische Regierung von der Krim aus nicht weiter marschierte nach Kiew. Die russische Bevölkerung geriet in ein Dilemma in der ausgegebenen Ideologie: In Georgien war man für Aufständische, in Syrien, Weißrussland und Tschetschenien dagegen und in der Ukraine musste man diese mangels Stärke selber stellen.

Die wahrhaft Gläubigen der reinen Lehre zogen sich zurück. 2015 zog Dugin ein bitteres Fazit:

Über Themen dieser Art konnte ich mich lange Zeit überhaupt nicht äußern, hielt mich mit Kommentaren zurück und wich Einschätzungen aus, aufgrund des tiefen Traumas, das ich als einer der ersten Enthusiasten des Prozesses der Wiederbelebung Großrusslands ausgehend von der Krim erlebte, durch Novorossia und darüber hinaus. (…) Russland ist nicht die Russische Föderation. Russland ist die russische Welt, Zivilisation, einer der Pole der multipolaren Welt, die wir hätten sein sollen und einfach werden müssen.

Die erhoffte Rückkehr war gescheitert, als Putin nach der Krim die Truppen stoppte. Aber Dugin fährt fort:

Und vor allem war diese Rückkehr mit der Integration des postsowjetischen Raums verbunden. Der Begriff "Eurasianismus" ist die gleiche Diastole. Eurasismus bedeutet, dass Russland den gesamten postsowjetischen und tatsächlich russischen, imperialen, zivilisatorischen Raum vereint und der kulturellen Kategorie der russischen Welt eine geopolitische und militärstrategische Dimension verleiht. (…) Außerdem folgte Novorossia logischerweise der Krim, und ich sehe keinen Unterschied zwischen ihnen. Ich bin mir absolut sicher, dass wir, wenn wir den Donbass verlieren, die Krim und dann ganz Russland verlieren werden, denn wenn wir die Diastole unterbrechen, wird es zu einem Herzversagen kommen, einem Bruch in unserer historischen Existenz, unserem historischen Rhythmus. Deshalb habe ich verzweifelt für den Russischen Frühling und gegen den Verrat von Noworossija gekämpft. Ich wiederhole noch einmal: Der Russische Frühling ist eine Voraussetzung unserer russischen historischen Existenz. Russland wird entweder großartig sein oder nicht.

Carl Schmitt als Vorbild

Mit dem Begriff Eurasianismus knüpft Dugin direkt an Carl Schmitt an, der 1947 kurzzeitig in Nürnberg vor Gericht saß und als Kronjurist des Dritten Reiches bezeichnet wird, weil er beschuldigt wurde, die Ideologie für den Angriffskrieges Deutschlands 1938 geliefert zu haben. (Dazu Friedhelm Kröll, Das Verhör Carl Schmitt in Nürnberg 1947) Schmitt hatte in seinem Aufsatz „Völkerrechtliche Großraumordnung“ letztlich die für das Dritte Reich grundlegende Theorie seiner Expansionskriege erarbeitet.

Ähnlich äußerte sich noch heute der Ex-Agent Strelkov, der auch – mit Untertitel lesbar - eine dauernde Frustration über den Verlauf und die Chancen des Z-Krieges verbreitet, da er der Russischen Führung in Neurussland Korruption vorwirft.

Kein Recht auf Eigenständigkeit der Ukraine

Für Dugin ist heute klar, dass zu Ende geführt werden muss, was nun endlich begonnen wurde. Putin begründete in seine Rede zum Begin des Z-Krieges, dass die Ukraine eigentlich keine Eigenständigkeit hat, sondern ein Kommunistisches Konstrukt von Lenin sei. Auf dieses habe der Westen mit seinen geschlechtlichen Freiheiten aufgesattelt. Dugin führt im März 2022 aus, was damit gemeint ist:

At the same time Western ideas and norms such as gender policy, LGBT+, more or less free drug circulation, post-modernist culture (understood by Ukrainians as total nihilism and cynicism), cancelling, feminism, wokeism and so on actively penetrated the Ukrainian society. As a result, by 2022 Ukraine had become a full-fledged anti-Russia. (...) For the Russian geopolitical interests to be realized, anti-Russia must not exist on the territory of Ukraine. And seen from the point of view of the West, it's the quite opposite, because the West created this anti-Russia precisely to not let it happen. So, we have a fundamental conflict of interests, which Russia tried to resolve peacefully, but it didn't work out. Hence the new tough phase.

Atlantism vs. Eurasianism is the final battle in the territory of Ukraine. This is a classic position of geopolitical theory from Mackinder to Putin.

Mit dem Z-Krieg setzt sich in Russland dass durch, was Dugin im April 2022 den Apokalyptischen Realismus nennt:

Ideas are returning to our world.

And the main battle from now on unfolds between them. Between the Russian Idea, the Catechon, the Orthodox Civilization, and the world of the Western Antichrist, coming at us. It is not us Russians who need Ukraine. It is Christ who needs it. And that is why we are there. And that is why we are not leaving it.

Dugin legt nach mit dem Artikel „Russland ist nur zum Sieg bereit“. Hinterlegt mit einer sich im neuen Russland durchsetzenden Arno-Brekerhaften Ästhetik, in dem die historischen Referenzpunkte sichtbar werden: der Edle Ritter, Der heilige Georg, der den Drachen Töten um die Jungfräulichkeit zu bewahren und der brave Offizier, der den Vaterländischen Krieg gewonnen hat.

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Verhandlungslösung wäre Niederlage

Alexander Dugin mag man als Spinner abtun, den auch westliche Medien gern auf Youtube-Videos vorführen können. Er steht aber nicht allein. In Russland hat sich eine neue Ideologie formiert nach der es kein Interesse daran gibt, im Ukraine Krieg irgendeine Verhandlungslösung zu akzeptieren. Im Gegenteil. Jede Verhandlungslösung ist eine Niederlage. So führt Andrey Ilyich Fursov von der Moskauer Staatsuniversität aus:

Die Situation hat sich geändert. Aber es ist immer noch klar, dass Russland trotz aller Hilfe des Post-Westens für die Ukraine gewinnen wird, wenn auch der Kampf hart wird. Außerdem sehen wir, dass die Hoffnungen der Postwestler (in Russland) auf die sogenannte Friedenspartei in Moskau nicht berechtigt sind. (…) Da klar ist, dass die Russische Föderation die Ukraine sowieso zerschlagen wird, wird der Frieden eine Folge von Putins Sieg sein, und dies bedeutet automatisch ein strategisches Scheitern für die Vereinigten Staaten. (…) Nun, alles ist klar - sowohl Ziele als auch Mittel. Ein baldiger Friedensvertrag ist ein Mittel, um das politische Regime der Russischen Föderation zu schwächen, zu verändern und im Ergebnis die Bipolarität zu beseitigen, die China und die Russische Föderation erreichen können - drei in einem. Aus dieser Sicht ist es ganz klar, dass alle, die insbesondere in Russland eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine und einen baldigen Friedensschluss zu „Kompromiss“-Bedingungen fordern, im Interesse der Vereinigten Staaten arbeiten Post-West und sind daher Feinde Russlands. Der amerikanische Analyst hat sowohl das US-Interesse als auch die Mittel zu seiner Umsetzung deutlich hervorgehoben, und wir haben einen Marker erhalten, der es uns ermöglicht, den Feind eindeutig zu identifizieren. Die „Partei des Friedens“ ist die Partei für die friedliche Zerstörung Russlands.

'Globalistische Eliten' der Feind

Der Hintergrund dass aus russischer Sicht nur ein Sieg in der Ukraine denkbar ist, ist die Sicht auf die Realität, die hinter dem Z-Krieg steht. Russland kämpft gegen eine Globalistische Elite, welche die Welt ausbeutet und versklaven will. Letztlich muss man den Westen vor sich selbst retten. Im Grunde ist dies die Klassische NS-Ideologie vom raffenden und vom schaffenden Kapital. Ultraglobalisten, die weder Ethnie noch Identität kennen versuchen die Mittelschichten der Welt zu zerstören. Diese wird von Prof. Fursov offen als wissenschaftliche Analyse propagiert:

Zweitens hat die EU keine politische Subjektivität, die atlantischen Eliten werden den Willen der Ultraglobalisten gehorsam ausführen, zum Schaden, zum Schaden ihrer eigenen Bevölkerung, die in Wirklichkeit nicht geschützt ist. Und wenn überhaupt, dann kann man sie mit "ethnischen Waffen" unter Druck setzen - Migranten, die einen ethnisch-rassischen Konflikt provozieren. Der Konflikt in der Ukraine hat den atlantischen Eliten und dem postwestlichen Mann auf der Straße jedoch ein neues und externes, im Gegensatz zu Migranten, Objekt des Hasses beschert. Die wiederkehrende „mexikanische Welle der russophoben Hysterie“ (B. Chukov), die sich im Post-Westen bereits zu einer induzierten psychischen Epidemie entwickelt, ermöglichte es, die durch die „Pandemie“ und die wachsende soziale Krise verursachte Unzufriedenheit gegen Russen zu kanalisieren. (…) Tatsächlich gibt es für Ultraglobalisten weder ethnische noch rassische Identität.

Doch Gott sei Dank gibt es Russland, die diese rassische Identität gegen die Ultraglobalisten verteidigt.

Ukraine voller Nazis

Es sind nicht nur militärische Abenteurer wie Strelkov oder Professoren wie Dugin und Fursov, die nur einen Sieg Russlands gegen die Globalisten in der Ukraine als vorstellbar erachten. Im russischen Staatsfernsehen wird so viel debattiert, wie im deutschen. Man redet sehr offen. Auszüge davon kann man regelmäßig auf Twitter verfolgen, wo Kamil Galeev sie zusammenstellt und einordnet.

Voller Schrecken wird der Widerstand in der Ukraine wahrgenommen. Warum nur leistet die Ukraine Widerstand? Nicht nur die Eliten dort sind antirussische Nazis, nein es ist die gesamte Bevölkerung, die nun entnazifiziert werden muss.

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Es wird auch offen darüber diskutiert, was mit Kriegsgegnern in Russland zu machen ist. So schlägt Karen Shakhnazarov  vor Kriegsgegner zu internieren und zu sterilisieren. Er ist ein in Russland bekannter Regisseur und Direktor der Mosfilm Studios.

Umbau des Staates

Die offensichtlichen Niederlagen in der Ukraine führen in Russland nun dazu, dass der Umbau des Staates, der ja nun eh an Repression nicht arm ist, in Angriff genommen wird. Der militärische Analyst Konstantin Sivkov hat eine tolle Idee. Er nennt sie: militärischen Sozialismus. Er betont man könne dem Ding auch jeden anderen Namen geben. Ziel sei es alleine die gesamte Gesellschaft auf das Militär auszurichten und im Staat zu zentralisieren.

Die russische Ideologie des Z-Krieges klaut ihre Motive von überall zusammen: Liberale Nazis versuchen durch eine feministische Verschwulung der Gesellschaft die ethnisch rassische Ordnung der reinen russischen Welt im Auftrag der Ultraglobalisten zu zerstören. Dagegen hilft es nur, wenn man in Butcha Zivilisten erschießt oder dann und wann ein russischer Soldat eine Ukrainerin vergewaltigt.

Umberto Eco sieht in dem Ideologischen Eklektizismus gerade das Wesensmerkmal des Faschismus. Auch Mussolini konnte sich zugleich gegen die Kirche als Rebell erheben und zugleich ihr Fleisch gewordener Heiland sein. In Umberto Ecos Rede vom "Urfaschismus" von 1995 versucht er den Kern des Faschismus in seinen Strukturähnlichkeiten herauszuarbeiten. 14 Punkte hat er gefunden. Der Eklektizismus ist einer. So ist der Faschismus für alle anschlussfähig.

Der Urfaschismus entstand aus individueller oder sozialer Frustration. Deshalb gehört zu den typischen Merkmalen der Appell an eine frustrierte Mittelklasse, die unter einer ökonomischen Krise oder der Empfindung politischer Demütigung litt.

Klaviatur des Antifaschismus

Victor Klemperer voll Erschrecken fest, dass auch Nazis gute Aufsätze über Nietzsche schreiben können. So können auch russische Faschisten heute auf der Klaviatur des Rassismus und der des antirassistischen Antiimperialismus spielen. Einzelne Melodien hören sich sogar klug an. Doch ihre Lösung ist nur die Verherrlichung des Krieges. Die Ruinen Aleppos, Mariupols und Tschetscheniens zeugen davon.

Vor dieser Entwicklung und diesen Zielen warnen auch sich selbst als links wahrnehmende Aktivisten in Russland und der Ukraine. So erläutert Greg Yudin in der Zeitschrift ak von der Moskauer Schule für soziale und ökonomische Wissenschaften zu den Zielen Russlands:

Putin’s goal is neither a war with Ukraine nor with Poland. For him, these countries are either non-existent or just puppets of the United States. In the eyes of the Russian military command, the war is a defensive war against the US/NATO/West, these terms being used interchangeably. The Ukrainian territory is only the first step in this major war. Russian troops in Transnistria (separatist region in Moldovia; note ak) are already mobilised and waiting to establish a connection with the Russian army if it takes Odessa, which would mean that an invasion of Moldova would become possible. The Baltic states and Poland are certainly medium-term targets. It is no coincidence that Putin has demanded complete withdrawal of NATO troops from the countries of the former Warsaw Pact. His military strategy is simple: threaten with nuclear weapons and seize territory. 

Auch in einem Interview mit der Rosa Luxemburg Stiftung, die mit Beginn des Z-Krieges in Russland verboten wurde, wird von Taras Bilous aus Kiew eine klare Botschaft gegen den Faschismus formuliert:

Ich finde, die Logik, wonach wir, wenn wir gegen die Stärkung der NATO sind, dann auch westliche Waffenlieferungen nicht unterstützen dürfen, falsch. Viel wichtiger wäre doch, die potentiellen Folgen dieses Krieges und die Varianten seiner Beendigung abzuwägen. Wenn Russland siegen sollte, so wird der imperialistische Zweikampf nochmals verschärft und das Wettrüsten vorangetrieben. Angesichts der realen Gefahren, die von Russland ausgehen, wird es sehr kompliziert sein, der Militarisierung etwas entgegenzusetzen. Das sehen wir am Beispiel der Ukraine in den letzten acht Jahren. Sollte aber unser Land gewinnen, wird dies die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Militarisierung gestoppt wird und eine globale Atomwaffenabrüstungspolitik möglich wird.

Diejenigen, die aus wahrscheinlich berechtigter Furcht vor Atomwaffen Russlands, denken Waffenlieferungen würden irgendetwas eskalieren, sollten sich mit der neuen russischen Ideologie und den Debatten in Russland befassen, bevor sie sich äußern. Die Eskalation ist nämlich längst da. Und sollten russische Regierung und die gesellschaftlichen Kreise, welchen den Z-Krieg tragen, nicht verlieren, wird sie ungebremst weiter gehen.