Mittwoch, 20.07.2022 / 22:13 Uhr

Licht und Schatten in Dohuk

Von
Gastbeitrag von Jan Vahlenkamp

Seit 2014 ein Leben in Camps, Jesidinnen im Nordirak, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Noch immer leben hunderttausende Jesidinnen und Jesiden in Flüchtlingslagern in der nordirakischen Provinz Dohuk, während ihre ehemalige Heimat, das Sindschar Gebirge weiter umkämpft ist. Sie haben wenig Hoffnung auf Rückkehr. 

 

Dohuk ist eine Stadt, die geradezu malerisch in die Ausläufer des Zagros-Gebirges in der Autonomen Region Kurdistans eingebettet ist. „Kleines Dorf“ bedeutet ihr Name in der kurdischen Sprache. Dabei ist das kleine Dorf heute eine lebendige Großstadt mit mindestens 350.000 Einwohnern. Traditionell ist Dohuk ein Ort, wo neben der kurdisch-sunnitischen Mehrheitsgesellschaft auch Minderheiten wie Araber, christliche Assyrer und Jesiden zuhause sind. Im Zusammenhang mit dem seit über 10 Jahren andauernden syrischen Bürgerkrieg und dem Terror des sog. Islamischen Staates ab 2014 ist das Gouvernement Dohuk, das die gleichnamige Stadt umgibt, zur neuen Heimat zahlreicher Flüchtlinge geworden. Auch unter diesen sind viele Jesiden, die dem Völkermord des IS entkommen sind, von dem sie als „Teufelsanbeter“ betrachtet wurden.

Mamou Othman ist selbst Jeside. Er lebte ab 1981 in Deutschland und studierte an der FU Berlin. Nach dem Sturz von Saddam Hussein ging er zurück in den Irak und ist heute Vize-Dekan am Institut für Psychotherapie und Psychotraumatologie der Universität Dohuk. Nachdem der IS tausende von Menschen misshandelt und gefoltert hatte, war das Ausmaß der psychischen Traumata offensichtlich geworden. Da die Gesundheitsversorgung in Kurdistan und im Irak nicht über ausreichend Psychotherapeuten verfügte, wurde das Institut gegründet. Seit 2021 betreut es auch eine „German Clinic for Psychotherapy“, die in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen gegründet wurde. Die Jesidinnen haben ein Tabu gebrochen, weil sie über erlittene Vergewaltigungen gesprochen haben, erzählt Othman. Doch er berichtet auch, dass die Minderheiten, die eigentlich die Ureinwohner des Landes sind, zunehmend in der Migration ihr Glück suchen. Eigentlich seien die Jesiden fest mit ihrer Heimat verbunden, aber von den rund 500.000 Jesiden, die vor dem Auftauchen des IS im Irak lebten, sind heute noch gut 350.000 im Inland. Von diesen wiederum sind zahlreiche Binnenvertriebene, allein im Gouvernement Dohuk leben rund 200.000 von ihnen. Die meisten von ihnen stammen aus Dohuks Nachbar-Distrikt Sindschar, der von den Jesiden Shingal genannt wird. Trotz des Sieges über den IS wollen oder können die meisten nicht in ihre Heimat zurück. Das Gebiet ist zerstört und es finden weiterhin Kämpfe statt.

 

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Khanke Camp für binnenvertriebene Jesiden, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

 

Sindschar steht nicht unter der Kontrolle der Autonomen Region Kurdistans, sondern gehört zu den „umstrittenen Gebieten“, die nach der Krise im Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 in den Einflussbereich des irakischen Zentralstaates gerieten. Ein 2020 geschlossenes Abkommen zwischen der kurdischen Autonomieverwaltung und dem Irak sollte eigentlich für eine Rückkehr zur Normalität sorgen. Doch es ist nicht etwa die reguläre irakische Armee, die in Sindschar das Sagen hat. Es sind die „Volksmobilmachungskräfte“ Hashd al-Shaabi. Diese teilen sich in Sindschar in rund 20 bewaffnete Milizen auf, die z.T. direkt von der Islamischen Republik Iran kontrolliert werden, z.T. mit dieser eine strategische Allianz pflegen. Die Milizen weigern sich bislang aus Sindschar abzuziehen, da das Gebiet für den Iran von strategischer Bedeutung ist. Es gibt Berichte wonach der Iran plant, durch das Gebiet eine Gaspipeline zum syrischen Hafen Baniyas zu verlegen, falls und sobald die Sanktionen aufgehoben werden.  Gleichzeitig bombardiert die türkische Armee in Sindschar regelmäßig Stellungen der PKK und ihrer Ableger. Hauptleidtragende sind, wie so oft, die Zivilisten, die einfach nur ein normales Leben führen wollen. Doch es gibt auch Fortschritte im Kleinen, die den Willen einer neuen Generation markieren, die in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben will. Ein Beispiel hierfür ist die Gruppe „Youth Speak“.

Youth Speak wurde 2016 in Dohuk als Nichtregierungsorganisation durch die US-Amerikanerin Megan Kelly gegründet, die zuvor an der örtlichen Universität tätig war. Gemeinsam mit Mohammed Shaker Ali Hussein, der einige Jahre zuvor aus Damaskus floh, und Kajeen Weisy, die in Dohuk aufgewachsen ist, entstand die Gruppe aus einem Projekt der Nachbarschaftshilfe. Kelly stellte fest, dass es viele smarte und motivierte junge Menschen in Dohuk gibt, von denen aber viele enttäuscht und unzufrieden sind. Die Gründer berichten, dass diese jungen Menschen oft darüber frustriert seien, dass Leute aus Familien mit größeren Ressourcen an den Unis besser behandelt würden. Der selbstgegebene Auftrag der NGO ist es, einen Safe Space für junge Menschen anzubieten und kulturelle Aktivitäten der jungen Generation fördern. Kultur wird hierbei nicht als etwas Statisches angesehen, sondern im Bewusstsein dass Veränderungen oft mit einer kleinen Gruppe engagierter junger Menschen beginnen, die bereit sind, auf eigenes Risiko gegen den Strom zu schwimmen. Hierfür sollen jungen Menschen Ressourcen und Unterstützung zur Verfügung gestellt werden.

 

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Als Flüchtlinge geboren: Kinder im Khanke Camp, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

 

Dabei entstehen Projekte, bei denen es um kulturelle, soziale oder sportliche Aktivitäten geht. Dies kann etwa die farbliche Verschönerung des örtlichen Kinderheimes, eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung oder ein Büchertausch sein. Oft kämen junge Menschen zu Youth Speak, die nicht in ihr Umfeld passen und deren psychische Gesundheit angekratzt ist, berichtet die Gründerin Kelly. Bei Youth Speak fassen sie dann als Volunteers neues Selbstbewusstsein und lernen, wie man gemeinschaftliche Projekte aufbaut. Rund 60 % von ihnen sind Frauen. Die NGO strebt eine aktivere, gleichberechtigtere und friedlichere Gemeinschaft an und sieht sich dabei der Gleichheit aller Menschen verpflichtet, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Sprache, Kultur, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Bildungshintergrund. Bei der Durchführung der Projekte ist die Organisation auf Spenden angewiesen.

Auf dem Programm der Initiative steht auch das Thema „Peacebuilding“. Hierbei geht es darum, das gegenseitige Verständnis unter den einzelnen Communitys in Dohuk zu fördern und Vorurteile zu sprengen. Einzelne Peergroups sollen zum Reden miteinander ermuntert werden und gleichzeitig sachliche Informationen über die einzelnen Religionen und kulturellen Hintergründe untereinander in Interviews ausgetauscht werden. Youth Speak macht außerdem Aktionen zum vernachlässigten Thema Umweltschutz. Bislang gibt es beispielsweise so gut wie Recycling in Kurdistan, obwohl es daran durchaus Interesse gäbe. Erste Initiativen, wie etwa die Green City Halabja-Kampagne zeigen wie wichtig solche Projekte sind. Denn bislang wandert jeglicher Abfall auf den Müllberg, darunter vor allem Plastikflaschen. Wie kommt es dazu? „Kurdistan hat zu wenig Erfahrung mit Selbstverwaltung“, mutmaßt einer der Sprecher von Youth Speak. Die Gruppe versucht hier mit Aktionen und Ausstellungen dazu beizutragen, ein neues Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen. In ihrem Garten befindet sich bereits eine kleine Biogas-Anlage. Natürlich finden auch hierzu Workshops statt.