Mittwoch, 07.09.2022 / 10:21 Uhr

Türkei: Schon über 80% Inflation

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Gastbeitrag von Redaktion Mena Watch

Düstere Aussichten: Cafe in Istanbul, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Zum ersten Mal seit 1988 ist die Inflation in diese Höhe geschnellt. Die Preissteigerungen und der Wertverfall der Lira haben den Lebensstandard gesenkt und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Präsident Erdoğans Führung geschürt.

 

Präsident Recep Tayyip Erdogans Politik, das Wirtschaftswachstum durch niedrige Zinsen und billige Kreditvergabe anzukurbeln, führte nun dazu, dass die türkische Inflation zum ersten Mal seit September 1998 die Achtzig-Prozent-Marke überschritten hat. Laut der am Montag von der türkischen Statistikbehörde veröffentlichten Daten stieg die jährliche Inflationsrate im August den fünfzehnten Monat in Folge und erreichte einen Wert von 80,2 Prozent gegenüber 79,6 Prozent im Juli.

Da Erdogan entgegen der allgemeinen Ansicht in den Wirtschaftswissenschaften der Meinung ist, billigere Kreditkosten könnten die Inflation bremsen, anstatt sie in die Höhe zu treiben, hat er darauf bestanden, einen der niedrigsten Realzinssätze der Welt beizubehalten. Da der Leitzins der Zentralbank nach einer unerwarteten Zinssenkung im letzten Monat bei 13 Prozent liegt, betragen die realen Kosten für die Kreditaufnahme jetzt minus 67 Prozent.

Die türkische Lira wurde nach der Veröffentlichung der Daten zwar stabil gehandelt, hat in diesem Jahr aber bereits 27 Prozent gegenüber dem Dollar verloren und weist damit die schlechtesten Werte unter den Schwellenländern auf. Regierungsbeamte, die darauf verweisen, ein neues Wirtschaftsmodell zu verfolgen, prognostizieren zwar, die Inflation werde in den letzten Monaten des Jahres 2022 zu sinken beginnen, mussten ihre Prognose für das Preiswachstum aber dennoch von 9,8 Prozent auf 65 Prozent im Jahr 2022 anheben.

Wie aus einem neuen Dreijahresplan hervorgeht, der am Sonntag veröffentlicht wurde, rechnet die Regierung im nächsten Jahr mit einem Rückgang der Inflation auf etwa 25 Prozent; erst im Jahr 2025 soll sie unter zehn Prozent liegen. Experten warnen jedoch davor, dass die Inflation noch weiter ansteigen wird, bevor sie zu sinken beginnt, und sie schließlich auf einem viel höheren Niveau als der von der Regierung anstrebten einstelligen Rate von 9,9 Prozent liegen könnte.

Türkische Beamte hoffen nicht zuletzt durch die für Juni nächsten Jahres angesetzten Wahlen auf eine Verringerung der Inflation. Die Preissteigerungen und der Wertverfall der Lira haben den Lebensstandard gesenkt und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Führung von Präsident Erdoğan geschürt. Dementsprechend bezeichnet die Regierung die aktuellen Preissteigerungen als vorübergehend und macht Russlands Einmarsch in der Ukraine für den weltweiten Anstieg der Lebensmittel- und Rohstoffkosten verantwortlich.

Ein Großteil des Schadens sei allerdings selbstverschuldet, wie Analysten bemerken. Selbst wenn man volatile Posten wie Lebensmittel und Energie ausklammert, ist die türkische Inflation in die Höhe geschnellt, wobei der Kernindex im August auf über 66 Prozent anstieg – ein Rekordhoch in den bis ins Jahr 2004 zurückreichenden Daten. Zudem weichen die vom staatlichen türkischen Statistikamt veröffentlichten Inflationsdaten in den letzten Monaten stark von dem von der Istanbuler Handelskammer erstellten Lebenshaltungskostenindex ab, der im August im Jahresvergleich um fast hundert Prozent gestiegen war.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch