Dienstag, 22.11.2022 / 18:11 Uhr

Tödliche Minen in Syrien

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Gastbeitrag von Redaktion Mena Watch

Bildquelle: Wikimedia Commons

Viele der Sprengfallen werden durch einen einfachen Mechanismus ausgelöst und in Alltagsgegenstände eingebaut, denen vielfach Kinder zum Opfer fallen.

 

Dem Jahresbericht des Landmine and Cluster Munition Monitor zufolge hat Syrien im zweiten Jahr in Folge die meisten Opfer von Landminenexplosionen zu beklagen. Laut dem Bericht der Gruppe, die als Forschungsarm der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen und Streumunition fungiert, wurden im Jahr 2021 in Syrien insgesamt 1.227 Menschen durch Minen verstümmelt oder getötet, während sich die Zahl weltweit auf 5.544 Opfer beläuft, von denen die Mehrzahl Zivilisten waren, die Hälfte davon Kinder.

Allerdings deutet die NGO an, dass die tatsächliche Zahl der syrischen Minenopfer im vergangenen Jahr viel höher gewesen sein könnte als die in ihrem Bericht genannte. Aufgrund der uneinheitlichen Verfügbarkeit von Daten und Quellen sowie des fehlenden Zugangs zu den betroffenen Gebieten sei die Gesamtzahl nur grob zu schätzen: »Die jährlichen Gesamtzahlen für Syrien sind wahrscheinlich erheblich zu niedrig. Die Opferzahlen werden angepasst, sobald neue Erhebungen und historische Daten verfügbar sind.«

Die düstere Statistik erfolgte angesichts der zehnjährigen Dauer des Bürgerkriegs, wobei Syrien im Jahr 2014 zu dem Land wurde, das nach Afghanistan die zweithöchste Zahl von Minenopfern zu verzeichnen hatte. Sechs Jahre später überholte das Land Afghanistan schließlich, dass seit 2008 jährlich die meisten Opfer zu beklagen hatte, mit Ausnahme von 2016, in dem der Jemen den Höchststand verzeichnete. Im vergangenen Jahr wurden 1.074 Afghanen durch Minen verletzt oder getötet.

Insgesamt 164 Länder sind an den vor fünfundzwanzig Jahren eingeführten Minenverbotsvertrag gebunden, während die Mehrheit der dreiunddreißig Nichtmitgliedstaaten sich an die wichtigsten Bestimmungen des Vertrags halten. Syrien gehört jedoch zu jenen vierzehn Staaten, die sich seit 1997 bei den Resolutionen zum Minenverbotsvertrag stets der Stimme enthalten haben. Israel, Ägypten, Pakistan, Russland, Vietnam und die USA gehören ebenfalls zu dieser Gruppe.

Loren Persi Vicentic, einer der Monitor-Forscher, sagte, die meisten in Syrien gefundenen Minen seien selbstgebaute improvisierte Sprengkörper, die man sich »nicht wie normale Landminen« vorstellen soll. So würden Haushaltsgegenstände wie Waschmaschinen oft mit Sprengsätzen versehen, die explodieren, wenn Flüchtlinge in ihre Häuser zurückkehren. »Als die Kräfte des Islamischen Staates Gebiete verließen, legten sie in Häusern Sprengfallen«, sagte der Forscher. Auch sei bekannt, dass Militante in Syrien Minen unter Fahrzeugen oder in Ölfässern in den Gärten platziert hätten.

Schwierig zu identifizieren

Diese Sprengfallen würden meist durch einen einfachen Mechanismus ausgelöst, so Vicentic gegenüber The National. »Manchmal sind es Stöcke und Öl, manchmal ist es eine Wäscheklammer, die an einen Draht befestigt ist. Sie werden an Straßen und auf Feldern platziert und sehen aus wie Alltagsgegenstände. Das ist ganz normal. Einige der Auslösemechanismen bestehen aus Crashdrähten, die wie Weihnachtslichter aussehen. Wird ein Teil davon unterbrochen, löst dies eine Explosion aus. Das macht es sehr schwierig, sie zu räumen und erfordert eine eigene Ausbildung.«

Es ist das sechste Jahr in Folge, in dem solcherart improvisierte Minen weltweit die meisten Opfer forderten, mehr als Antipersonen- und Antifahrzeugminen, Reste von Streumunition und explosive Kampfmittelrückstände. Die meisten Opfer, die auf nicht spezifizierte Minentypen zurückzuführen sind, wurden im vergangenen Jahr aus Syrien (925) und dem Jemen (384) gemeldet. Gemeinsam auf diese beiden Länder entfielen zweiundachtzig Prozent der Opfer, die auf nicht näher spezifizierbare Minentypen zurückzuführen waren.

Persi Vicentic erklärt, dass besonders Kinder häufig Verletzungen an Händen und Armen davontragen, da sie aus Neugierde gerne Dinge aufheben. »Die Amputation beschädigter Gliedmaßen ist keine Seltenheit, und viele Opfer verlieren durch die Explosion und die aufgewirbelten Trümmer auch ihr Gehör und Augenlicht.« Eine qualitativ hochwertige medizinische Sofortversorgung sei unerlässlich, um zu verhindern, dass die Verletzten im weiteren Verlauf ihrer Genesung Komplikationen erleiden. Viele Überlebende von Minenexplosionen, insbesondere Syrer, haben allerdings keinen Zugang zu solch einer Versorgung, weswegen sie oft Monate und Jahre später weitere Operationen benötigen, um schlecht durchgeführte Amputationen zu versorgen.

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch