Dienstag, 17.10.2023 / 21:28 Uhr

Bayern und Iran: Eine ökonomische Liebesbeziehung

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Gastbeitrag von Linkes Bündnis gegen Antisemitismus München

Bildquelle: Crossed-flag-pins.com

Zwischen Bayern und dem Iran besteht eine besondere Verbindung.

 

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober wurden in Deutschland und Europa Maßnahmen ergriffen, die der Terrororganisation schaden dürften: So haben die EU und Deutschland ihre Hilfsgelder für palästinensische Autoritäten ausgesetzt, die zu einem bemerkenswerten Teil in die Infrastruktur der Hamas flossen. Zudem kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz das längst überfällige Verbot für Hamas-Gliederungen an, sich in Deutschland weiterhin zu betätigen. 

Aber was ist mit dem Iran? Das Regime erklärt regelmäßig die Vernichtung Israels zu seinem obersten Ziel. Monatlich fließen etwa 30 Millionen Dollar vom iranischen Regime in die Taschen der Hamas. Folgerichtig sieht der israelische Präsident Jitzchak Herzog den Iran in der Mitverantwortung für die genannten Massaker in Israel.[1] 

Deshalb kritisieren wir die anhaltenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Iran und dem Freistaat Bayern – und die Bemühungen der bayerischen Politik, die US-Sanktionen gegen die iranische Regierung zu unterlaufen. 

Der Atomdeal zwischen dem Iran und sechs globalen Mächten war 2015 kaum beschlossen und noch gar nicht in Kraft getreten, als die CSU-Alleinregierung es nicht abwarten konnte, ihre ökonomischen Beziehungen zum Mullah-Regime auszubauen und zu vertiefen. 

Gekommen, um zu bleiben

Die damalige Landeswirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) reiste im November 2015 an der Spitze einer offiziellen Delegation mit einem Tross von etwa 100 bayerischen Unternehmer*innen und Banker*innen nach Teheran. Damals gab sie zu Protokoll: „Wir sind gekommen, um zu bleiben.“[2] 

 

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Gekommen, um zu bleiben: Ilse Aigner, Bildquelle: Facebook

 

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) eröffneten bereits im September desselben Jahres eine gemeinsame Vertretung in der iranischen Hauptstadt und planten vor allem Investitionen in den Bereichen Maschinenbau und Infrastruktur.[3] Zudem unterstützten sie die Eröffnung einer Filiale der iranischen Middle East Bank 2018 in München und die Eröffnung eines Büros der Bonyad Mostazafan im Haus der bayerischen Wirtschaft – eine iranische Stiftung, die direkt dem Obersten Führer des Irans untersteht und zu den größten Wirtschaftsunternehmen des Landes zählt[4]. 

Die bayerische Staatsregierung sah es als ihre zentrale Aufgabe an, den bayerischen Unternehmen bei anstehenden Schwierigkeiten unter die Arme zu greifen. Aigner erklärte in einer Pressemitteilung vom 2. September 2016, dass „[b]eim Zahlungsverkehr oder den Handelsfinanzierungen […] bayerische Unternehmen oft noch vor Problemen“ stünden, die gelöst werden müssten.[5] Welche Probleme diese genau waren, geht aus einer Anfrage der SPD im bayerischen Landtag an Aigners Ministerium von 2017 hervor: „Die in den USA bestehenden Sanktionen können sich auf ein mögliches Iran-Engagement deutscher Kreditinstitute einschränkend auswirken. […] Die Staatsregierung war bzw. ist auf unterschiedlichen Ebenen bestrebt, an der Lösung bestehender Problemstellungen mitzuwirken.“[6] Konkret: Es ging darum, noch herrschende US-Sanktionen zu umgehen.

Eine Middle East Bank in München

Aus diesem Grund wurde die Filiale der Middle East Bank in München gegründet. Ursprünglich waren zwei Banken geplant[7], doch eine Filiale der Sina Bank wurde nie realisiert. vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt erklärte in einer Rede vom 14. März 2018: „Um den Zahlungsverkehr für bayerische und iranische Unternehmen zu erleichtern, bemühen wir uns gemeinsam mit unserem Wirtschaftsministerium in Bayern, iranische Bankfilialen in München anzusiedeln.“[8][12] Die Bank war also das Kernstück der bayerischen Bemühungen, ihrer Wirtschaft dabei zu helfen, im Iran trotz noch bestehender Sanktionen Fuß zu fassen. Zur Bewältigung eines weiteren Problems, die Unsicherheit der Geschäfte, hat dann die staatliche Förderbank Bayern für Exportkreditversicherungen in den Iran gesorgt.[9] Flankierend dazu begann der Ausbau der Infrastruktur wie die Einrichtung von Büros, Vertretungen und Fluglinien.

 

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Filiale der Middle East Bank, Bildquelle: Farsnews

 

In einer Rede des vbw-Hauptgeschäftsführers Bertram Brossardt vor einer Delegation der Bonyad Mostazafan in München am 14. Juli 2017 begrüßte er die dauerhafte Eröffnung einer Fluglinie der Lufthansa zwischen der Landeshauptstadt und Teheran; umgekehrt steigerte auch die iranische Fluggesellschaft Mahan Air die Frequenz ihrer bereits 2014 eingerichteten Münchenlinie, die aktuell der Homepage nach zu urteilen täglich fliegt[10]. Brossardt lobte außerdem die Investitionen von Airbus, Siemens und mittelständischer Unternehmen in den Iran und das Wachstum der Exporte im Jahr 2016 um 35% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und um weitere 60% zwischen Januar und April 2017. Im Zentrum standen vor allem die Logistik-, Elektronik-, Energie-, Maschinenbau- und Dienstleistungsbranchen.[7] Im Jahr 2017 wurden von Bayern aus Waren in Höhe von 353 Millionen Euro in den Iran exportiert.[11] Zu einem Drittel wurden Maschinen exportiert[12] – durchaus kriegswichtiges Material also. Beklagte die vbw 2015 noch die iranischen Einfuhren in Höhe von knapp 15 Millionen Euro[3][13], so wurden 2017 bereits Waren in Höhe von 119 Millionen Euro aus dem Iran nach Bayern importiert – zu 90% Erdöl und Gas[12]. Das bedeutete mehr Geld für das iranische Regime – und auch mehr Geld für die Hamas. Der Handel zwischen München und Teheran boomte. 

Rückschläge

Doch 2018 stiegen die USA aus dem Atomdeal einseitig aus und verhängten neue Sanktionen über den Iran. Diese Entwicklung hatte auch Auswirkungen auf den bayerisch-iranischen Handel. Die Exportzahlen sanken dramatisch: Im Jahr 2022 wurden nur noch Waren in Höhe von 104 Millionen Euro exportiert.[14] Im Jahresabschlussbericht der Middle East Bank von 2019 wird der Einbruch in aller Deutlichkeit auf die Aufkündigung des Atomdeals durch die USA zurückgeführt.[15] Dennoch blieb Deutschland mit 3,6% der europaweite Hauptexporteur für den Iran und weltweit der viertgrößte nach den Vereinigten Arabischen Emiraten, China und der Türkei. Die wichtigsten Exportgüter waren chemische Erzeugnisse zu 29,7%, Maschinen zu 21,3% und Nahrungsmittel zu 19%. Der bayerische Anteil an den deutschen Exporten betrug im Jahre 2022 schätzungsweise noch 6,5%.[16] 

Der Ausstieg der USA aus dem Atomdeal bedeutete insgesamt ein Zäsur für die bayerisch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen. Die Münchner Filiale Middle East Bank ist zukünftig möglicherweise insolvent, nachdem ihre Anleihen 2019 von der Wertpapierverwahrstelle eingefroren worden sind[17]; Belege für die Repräsentanz der vbw in Teheran nach 2018 existieren nicht[18]; und Stand 2020 wurde das iranische Büro im Haus der bayerischen Wirtschaft nicht mehr benutzt.[19] Das heißt aber nicht, dass die Beziehungen wieder gekappt worden wären. Die zwischen 2015 und 2018 politisch etablierten Strukturen existieren noch. Sie sind nach wie vor dazu geeignet, das bayerische Kapital zur Freude des iranischen Regimes und damit zugunsten der Hamas in Bewegung zu setzen. Die bayerischen Unternehmen dürften weiterhin bereitstehen. Sobald Sanktionen wegfallen, wird wieder investiert. 

"Wandel durch Handel"

Das Motto der Iran-Beziehungen der vbw war der Slogan „Wandel durch Handel“.[21] Suggeriert wird damit, dass hinter dem ureigenen Profitinteresse kapitalistischer Unternehmen moralische Erwägungen steckten, ja geradezu der eigentliche wahrhaftige Wunsch, durch das Knüpfen geschäftlicher Beziehungen mit gefährlichen und fanatischen Regimen ihnen Gefährlichkeit und Fanatismus austreiben zu können. Als ob eine Regierung weniger antisemitisch würde, je mehr man sie finanziell und ökonomisch unterstützt. 

Immerhin war sich die bayerische Regierung in der materialistischen Fragestellung klar. Auf eine Anfrage Katharina Schulzes (Bündnis 90/Die Grünen) im bayerischen Landtag 2016, ob Aigner bei ihrem Besuch auch die iranischen Drohungen gegen Israel thematisiert hätte, lautete die Antwort des damaligen Ministers für Bundesangelegenheiten, Marcel Huber (CSU): „Eine Diskussion des Themas ‚Existenz und Sicherheit Israels‘ gegenüber politischen Repräsentanten ausländischer Regierungen (hier speziell des Irans) wird von der Staatsregierung vorrangig als Gegenstand der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und damit als Aufgabe der Bundesregierung gesehen. […] In den Gesprächen ging es ausschließlich um die Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen, die Schaffung von Voraussetzungen für einen funktionierenden Zahlungsverkehr und die Unterstützung der Anliegen der mitgereisten Unternehmen gegenüber den fachlich zuständigen iranischen Stellen.“[22] 

Schulze kontrastierte in ihrer Anfrage die Delegation Aigners mit israelsolidarischen Bekundungen des damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer; Huber ist darauf mit keinem Wort eingegangen. Solange diese Beziehungen bestehen und solange die bayerische Staatsregierung nur darauf wartet, dass die Sanktionen gegen den Iran gelockert oder gekippt werden, sind derartige Bekundungen nichts wert. Wenn nun Markus Söder betont, Bayern stehe fest an der Seite jüdischen Lebens und Israels[23], so ist das nichts als ein Lippenbekenntnis eines Kapitalvertreters, dessen Interesse an jüdischem Leben und dem Schutz Israels da aufhört, wo bayerische Wirtschaftsinteressen berührt werden.

 

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[1] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-hamas-unterstuetzung-100.html, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[2] https://www.idowa.de/panorama/ilse-aigner-im-iran-ein-land-mit-1001-moeglichkeiten-514215.htmlhttps://www.bayern.de/pdf/data/bayernde_37472.pdf, der Atomdeal wurde 14. Juli 2015 beschlossen und trat erst am 16. Januar 2016 in Kraft, am s. https://de.wikipedia.org/wiki/Iranisches_Atomprogramm#Einigung,_Abschluss_des_Abkommens, jeweils zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[3] https://www.bayern.de/vereinigung-der-bayerischen-wirtschaft-vbw-und-das-bildungswerk-der-bayerischen-wirtschaft-bbw-eroeffnen-gemeinsame-repraesentanz-in-teheran/, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Mostazafan_Foundationhttps://www.iranwatch.org/iranian-entities/bonyad-mostazafan, jeweils zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[5] https://www.bayern.de/pdf/data/bayernde_37285.pdf, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[6] https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/17_0017995.pdf, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[7] https://docplayer.org/59033855-Dialog-international-bayern-iran-eine-verbindung-mit-zukunft.html; dazu dass die Middle East Bank 2018 eröffnet wurde, s. https://www.middleeastbank.de/, jeweils zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[8] vgl. auch https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nahost-riskante-geschaefte-mit-iran-1.3957923?fbclid=IwAR2pKMw_nUo7ahNrBrPHNl5pw5W02Em9DIfUxlB6k_DM_8xFu6x_GP42cDk, und Bundesanzeiger, Middle East Bank, Munich Branch München, Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018, Lagebericht 2018, S. 1.

[9] https://international.bihk.de/fileadmin/eigene_dateien/auwi_bayern/eigene_dateien/Exportberichte/Exportbericht_Iran_2020.pdf?fbclid=IwAR3GqA_tgNKQ7VefUkAJxscYCrs-WxzUfMN2z1CWeSKPZs9q4pbJfInZORI, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[10] Vgl. https://www.facebook.com/Schlamassel/posts/pfbid02BSuuZV8MoR4ESePoCtzgS6Y2C5EgmRvAfHQJkVqFTYApJ7LENXS8wrVTB2NjMNAclhttp://www.flymahanair.com/shop_content.php?coID=35, jeweils zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[11] https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g3000c_201712_20497.pdf, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[12] https://docplayer.org/105946148-Dialog-international-die-aktuelle-lage-in-iran-auswirkungen-auf-die-wirtschaft.html, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[13] Zu den Importzahlen des Iran im Jahr 2014 s. https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g3000c_201412_7144.pdf, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[14] https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g3000c_202212.pdf; der genaue Zeitraum des Einbruchs geht aus einem Vergleich der Exportstatistiken ziemlich genau hervor: Im Oktober 2018 wurde noch eine Rekordhöhe von 42 Millionen Euro exportiert, im Monat darauf waren es nur noch schlappe 19 Millionen: Ein Rückgang um mehr als 50%, s. https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g3000c_201810_6014.pdfhttps://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g3000c_201811_62549.pdf; die Trumpschen Sanktionen waren am 6. August in Kraft getreten, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Iranisches_Atomprogramm#Einigung,_Abschluss_des_Abkommens, jeweils zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[15] Bundesanzeiger, Middle East Bank, Munich Branch München, Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2019, Lagebericht 2019, Seite 1-2.

[16] https://www.gtai.de/resource/blob/14906/6f03c64b581abb4f778db91d48700c1e/GTAI-Wirtschaftsdaten_November_2022_Iran.pdf, den bayerischen Anteil haben wir errechnet aus den folgenden Angaben: https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g3000c_202212.pdf, jweils zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[17] Vgl. Bundesanzeiger, Middle East Bank, Munich Branch München, Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2021, Lagebericht 2021.

[18] https://www.bauindustrie-bayern.de/fileadmin/Webdata/Themen/20180517_Wirtschaftszeitung_Mai/20180420_WIRTSCHAFTS_ZEITUNG_WZOB.pdf, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[19] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aussenhandel-muenchen-irans-anteil-an-bayerns-exporten-im-promillebereich-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200108-99-395942?fbclid=IwAR3YGBx8C8VHVZCLV1tAvo3GghV6ZkBPBbOfoBm1I4kDZq7N5c_70nefp3E, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[20] Vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/usa-iran-atomabkommen-107.html, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[21] https://docplayer.org/105946148-Dialog-international-die-aktuelle-lage-in-iran-auswirkungen-auf-die-wirtschaft.html, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[22] https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/17_0013965.pdf, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

[23] https://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/politik/detailansicht-politik/artikel/bayern-fest-an-der-seite-israels.html#topPosition, zuletzt aufgerufen am 13.10.2023.

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