Freitag, 05.04.2024 / 21:11 Uhr

Tod von Helfern in Gaza: Eine Tragödie mit schwerwiegenden Folgen

Von
Gastbeitrag von Oliver Vrankovic

Bildquelle: World Central Kitchen

Der Tod von sieben Mitarbeitern der Hilfsorganisation Word Central Kitchen war eine Tragödie, deren Folgen noch lange nicht absehbar sind.

 

Der israelische Drohnenangriff auf Fahrzeuge der Hilfsorganisation „World Central Kitchen“ (WCK) in Gaza resultierte im tragischen Tod von sieben unschuldigen Helfern, die wichtige humanitäre Hilfe geleistet haben ohne dabei, wie viele andere NGOs ihr Engagement in den Dienst der antiisraelischen Propaganda zu stellen. Ganz im Gegenteil musste sich WCK sogar immer wieder Vorwürfe anhören, es sei proisraelisch, da die Organisation sich eng mit der israelischen Armee koordinierte. Die Arbeit dieser professionellen Hilfsorganisation war damit auch in israelischem Interesse. Der Ansatz der WCK, die über Zypern Hilfe auf dem Seeweg leistete, auch um sich so nicht in Abhängigkeit von der Hamas zu begeben, hätte sogar das Tätigkeitsfeld der wegen ihrer Nähe zur Hamas kritisierten UNRWA auch langfristig beschränken können. Sowohl der israelische Präsident Herzog als auch Premierminister Netanyahu und Oberbefehlshaber Halevi gestanden den unverzeihlichen Fehler gegenüber WCK ein und versprachen eine gründliche Aufklärung. Inzwischen wurden nun zwei für den Einsatz zuständige Offiziere entlassen und außerdem versprach die israelische Regierung weitere Grenzübergänge zu öffnen und damit humanitäre Hilfe für die Bevölkerung des Gazastreifens zu erleichtern. Letzteres allerdings tat sie wohl, weil die US-Regierung nach dem Tod der Helfer von WCK enormen Druck auf sie ausübte.

 

wck

 

Ohne Hilfsorganisationen müsste die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung des Gazastreifens von Israel und der israelische Armee gewährleistet werden. Ein Alptraumszenario, dass nicht nur unermessliche materielle und menschliche Ressourcen binden, sondern auch unschöne Bilder von Verteilungschaos am laufenden Band liefern würde. Die Bevölkerung in Gaza, die in großen Teilen von der Propaganda der Hamas gehirngewaschen wurde, antisemitisch und gewalttätig ist, zu versorgen oder gar zu verwalten, würde Israel in einen Sumpf ziehen, in dem das Land nur weiteren Schaden nehmen kann. In der Westbank ist die PA mit der Verwaltung der Palästinenser beauftragt.

Kein Plan für Gaza nach der Hamas

Von den israelischen Rechten erträumt, wird die direkte Verwaltung bzw. Wiederbesetzung Gazas von Entscheidungsträgern mit Verstand, wie Verteidigungsminister Gallant und dem Mitglied des Kriegskabinett, Benny Gantz, abgelehnt. Und doch bewegt Netanyahu, der bisher nicht in der Lage war, irgendeinen tragfähigen Plan zu präsentieren, wem die Verwaltung des Gazastreifens übertragen werden solle, Israel in genau diese Richtung. Es ist geradezu charakteristisch für den Politikstil Netanyahus auch dann keine unpopulären Entscheidungen treffen zu wollen, wenn diese unerlässlich sind. Hinsichtlich Gaza gibt es keine gute Lösung, da die Akteure, die für die Verwaltung in Frage kämen entweder selbst ein Sicherheitsrisiko darstellen, oder unfähig wären, Sicherheit zu gewährleisten oder schlicht kein Interesse an dieser Aufgabe zeigen. Das Verweigern einer Antwort auf die Frage nach dem Tag danach ist aber nicht nur problematisch für die Armeeführung, die so seit Monaten nicht weiß, an wen sie einmal eingenommene Gebiete abgegeben werden soll.

Die Amerikaner, die in den Wochen und Monaten nach 7-10 eine beispiellose Solidarität an den Tag gelegt und unverzichtbare Unterstützung für den israelischen Überlebenskampf in seiner kritischsten Phase geleistet haben, verlieren inzwischen die Geduld mit der israelischen Führung. Die ausgeprägt pro-israelische Einstellung Bidens ist in seiner Partei ohnehin umstritten.

Der absehbare (und verständliche) Abzug von WCK aus dem Gaza wird die Situation weiter verschlimmern. Statt strategisch wichtige Entscheidungen zu treffen, redet Netanyahu aber von einem bevorstehenden „absoluten Sieg” über die Hamas. Angesichts der Verluste und nachhaltigen Schäden in Folge des 7. Oktobers und der bereits ein halbes Jahr dauernden Kämpfe, kaufen ihm viele Israelis den „absoluten Sieg” nicht ab. Hamas ist geschwächt aber intakt, ca. 100 lebende Israelis sind weiter in Geiselhaft.

Ist eine "vollständige Zerstörung der Hamas" erreichbar?.

Immer mehr Israelis fragen sich deshalb, ob das Ziel einer „vollständigen Zerstörung der Hamas“ und die Befreiung aller Geiseln durch militärischen Druck überhaupt erreicht werden kann. Sie zeigen sich auch irritiert über den offensichtlichen Widerspruch zwischen der als unerlässlich angesehenen Notwendigkeit militärischen Drucks und der drastischen Reduzierung der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen. Inzwischen operiert die Hamas wieder in zuvor eroberten Gebieten, aus denen die Armee nach Säuberung allerdings abgezogen ist.

Der Sturm auf Rafah, den letzten Ort den die Hamas noch kontrolliert und ohne den sie militärisch nicht besiegt werden kann, wird von den Amerikanern unter Hinweis auf die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung abgelehnt. Egal wie sehr sich israelische Entscheidungsträger gegenüber ihren amerikanischen Kollegen um Zerstreuung dieser Bedenken bemühen, mit demversehentlichen Angriff auf den WCK Konvoi sind deren Bedenken maximal bestärkt worden.

Derweil bröckelt der Zusammenhalt innerhalb der israelischen Gesellschaft. Netanyahu, in dessen Amtszeiten als Premier die Aufrüstung der Hamas fiel und in dessen Amtszeit als Premier der 7. Oktober fällt, weigert sich kategorisch, Verantwortung für das Desaster zu übernehmen und lehnt auch Forderungen nach Neuwahlen kategorisch ab. Sein politisches Überleben überlagert nach Ansicht einer Mehrheit der Israelis seine Entscheidungsfindungen.

Beispiel dafür ist sein Bemühungen um seine ultraorthodoxen Koalitionspartner, die auch inmitten des Krieges nicht von ihrem Privileg, nicht in der Armee dienen zu müssen, abrücken wollen. Auch hier besteht die Strategie von Netanyahu darin, keine Entscheidung zu treffen, um seine Koalitionspartner nicht zu verärgern bzw. nicht als Unterstützer von Wehrdienstverweigerung dazustehen.

Wunsch nach neuer Regierung

Die israelische Zivilgesellschaft und die Soldatinnen und Soldaten leisten in dieser Zeit Unglaubliches. Zivilgesellschaftliche Gruppen und vor allem auch solche, die während der Proteste im vergangenen Jahr von rechten Regierungsmitgliedern als Verräter tituliert wurden, bewahren bislang das Land vor dem Kollaps und die Soldaten, unter denen der Unmut gegen die Regierungspolitik merklich wächst, kämpfen den schwierigsten urbanen asymmetrischen Krieg gegen einen Feind, der sich einerseits hinter und unter einer Bevölkerung verschanzt, die Umfragen zufolge mehrheitlich den Terror vom 7. 10 unterstützt, sich andererseits als unschuldige Opfer dieses Krieges darstellt.

Inzwischen wünscht die Mehrheit aller Israelis eine neue Regierung, sie wünscht sich eine Führung, die einen Plan hat und die in der Lage wäre, Entscheidungen zu treffen, die richtig für Israel sind und nicht nur sektorialen Forderungen entgegenkommen. Doch in der Frage, ob es noch während des Krieges Neuwahlen geben soll, sind die Israelis geteilter Meinung. Hinsichtlich der Geiselbefreiung fordern viele Israelis schmerzliche Konzessionen, während der Teil der Gesellschaft, der den „absoluten Sieg fordert” Konzessionen ablehnt. Entlang der Uneinigkeit über die Ansetzung von Neuwahlen, Zugeständnisse an die Hamas, um die Geiseln zu befreien und der Frage nach Rekrutierung von Ultraorthodoxen drohen alle jene innerisraelischen Konflikte wieder aufzuflammen, die den desolaten Zustand des Landes bis zum 7. 10 mit begünstigt haben.

Der tragische Angriff auf den WCK Konvoi verkompliziert die Lage für Israel nun noch zusätzlich. Die ohnehin kaum vorhandene weltweite Unterstützung des jüdischen Staates in diesem Krieg dürfte weiter einbrechen und die Palästinenser werden es sich nicht nehmen lassen, diesen tödlichen Fehler propagandistisch auszuschlachten und einzureihen in einen Narrativ, dass Israel gezielt die Bevölkerung des Gazastreifens aushungere auch indem es gezielt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen angreife und töte.