Freitag, 11.10.2024 / 12:23 Uhr

Italiens Rückkehr nach Damaskus

Straßenszene in Quamishli, Bild: Thomas von der Osten-Sacken

Italiens Normalisierungspolitik im Kontext der EU und des Nahen Ostens

Italien hat kürzlich eine bedeutende Entscheidung getroffen: Nach zwölf Jahren diplomatischer Abwesenheit kehrte es nach Damaskus zurück und entsandte als erstes EU-Land wieder einen ständigen Vertreter zum Assad-Regime. Dieser Schritt ist mehr als nur ein symbolischer Akt; er markiert eine bewusste Abweichung von der gemeinsamen Haltung der Europäischen Union, die Bashar al-Assad und seine Regierung weiterhin wegen Menschenrechtsverletzungen und repressiver Innenpolitik sanktioniert. Italien rechtfertigt seine Annäherung mit pragmatischen Argumenten – Stabilität und sozioökonomische Verbesserung in Syrien sowie die Rückführung syrischer Flüchtlinge. Doch diese Begründungen werfen Fragen auf, vor allem angesichts der Erfahrungen der arabischen Staaten mit ähnlichen Normalisierungsversuchen.

Lektionen aus der arabischen Normalisierung: Ein „Step-for-Step“-Ansatz ohne Wirkung

In den letzten Jahren haben arabische Staaten versucht, durch eine schrittweise Annäherung an Assad Zugeständnisse zu erzwingen. Ziel dieser sogenannten „Step-for-Step“-Strategie war es, den iranischen Einfluss in Syrien zu reduzieren, den wachsenden Drogenhandel zu bekämpfen und bessere Bedingungen für die Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu schaffen. Doch die Bilanz dieser Bemühungen ist ernüchternd: Trotz diplomatischer Annäherung bleibt der iranische Einfluss ungebrochen, der Drogenhandel floriert, und die Rückkehrbedingungen für Flüchtlinge haben sich nicht verbessert.

Diese Erfahrungen zeigen, dass Assad kein Interesse daran hat, seine Machtposition zugunsten externer Forderungen zu schwächen. Im Gegenteil, er nutzt die diplomatische Anerkennung zur Festigung seines Regimes und zur Stabilisierung seiner Machtbasis. Dass Italien diesen Ansatz nun wieder aufgreift, ohne aus den offensichtlichen Fehlern der arabischen Staaten zu lernen, wirft Fragen über die Zielsetzung und den strategischen Weitblick der italienischen Außenpolitik auf. Es bleibt unklar, wie Rom hofft, durch eine ähnliche Taktik andere Ergebnisse zu erzielen.

Europäische Uneinigkeit: Der Preis der fragmentierten Syrien-Politik

Ein wesentlicher Schwachpunkt in der europäischen Haltung gegenüber Syrien ist die Uneinigkeit der EU-Staaten. Während einige Länder weiterhin an einer Politik der Isolation und Sanktionen gegenüber Assad festhalten, verfolgen andere, wie Italien, bilaterale Annäherungsversuche. Diese Fragmentierung schwächt die kollektive Verhandlungsposition der EU erheblich und spielt autoritären Regimen wie dem Assad-Regime in die Hände. Assad kann diese Uneinigkeit ausnutzen, indem er einzelne Länder für eigene geopolitische Interessen instrumentalisiert und seine Position durch bilaterale Deals stärkt.

Der syrische Konflikt ist ein geopolitischer Brennpunkt, in dem externe Akteure wie Iran und Russland eine bedeutende Rolle spielen. Die Uneinigkeit innerhalb der EU bietet diesen Mächten zusätzlichen Raum zur Einflussnahme und reduziert die Wirksamkeit des europäischen Engagements. Eine klare und einheitliche Haltung gegenüber Syrien würde nicht nur die Verhandlungsposition der EU stärken, sondern auch den Einfluss dieser externen Akteure begrenzen. Doch diese Einigkeit bleibt aufgrund der divergierenden Interessen der Mitgliedstaaten eine ferne Illusion.

Italiens pragmatischer Ansatz: Stabilität zu welchem Preis?

Italien begründet seine Entscheidung zur Wiederannäherung an Assad damit, dass nur durch Stabilität in Syrien ein neuer Flüchtlingsstrom nach Europa verhindert werden kann. Es geht davon aus, dass wirtschaftliche Unterstützung und diplomatische Anerkennung die Grundlage für sozioökonomische Verbesserungen in Syrien schaffen könnten. Doch diese Argumentation verkennt die Realität der Assad-Herrschaft, die von einem autoritären Machtapparat getragen wird, der wenig Interesse an politischen oder wirtschaftlichen Reformen zeigt.

Die direkte Verhandlung mit einem Regime, das seit Jahren für Menschenrechtsverletzungen und systematische Repression bekannt ist, wirft grundlegende Fragen zur moralischen Integrität der italienischen Außenpolitik auf. Bisher gibt es kaum Anzeichen dafür, dass Assad bereit wäre, die notwendigen Reformen durchzuführen, die eine sichere und freiwillige Rückkehr syrischer Flüchtlinge überhaupt ermöglichen würden. Stattdessen profitiert sein Regime von der internationalen Anerkennung, ohne echte Zugeständnisse machen zu müssen.

Die Rolle der Menschenrechte im geopolitischen Kalkül

Humanitäre Organisationen warnen, dass Syrien nach wie vor ein gefährlicher Ort ist und dass es keine Sicherheitsgarantien für Rückkehrer gibt. Die anhaltende Instabilität und das Risiko für syrische Zivilisten, die in ihre Heimat zurückkehren, stehen im Widerspruch zu den Plänen der italienischen Regierung, diese Menschen zurückzuschicken. Italiens Ansatz lässt die Frage offen, ob geopolitische Stabilität wirklich das Ziel ist, oder ob innenpolitische Überlegungen – insbesondere die Reduktion der Migrationszahlen – im Vordergrund stehen.

Indem Italien auf eine Normalisierung setzt, die primär wirtschaftliche Vorteile für das Assad-Regime bringt, gefährdet es nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit, sondern riskiert auch, die Grundwerte der EU zu unterminieren. Diese Politik könnte als Signal an andere autokratische Regime verstanden werden, dass Menschenrechtsverletzungen toleriert werden, solange sie im geopolitischen Interesse liegen.

Europas Realpolitik auf dem Prüfstand

Italiens Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen zu Syrien wiederherzustellen, ist nicht nur eine Herausforderung für die Einheit der EU, sondern auch ein Testfall für die Glaubwürdigkeit ihrer Werte. Die Normalisierungsversuche der arabischen Staaten haben gezeigt, dass ohne klare Bedingungen keine wirklichen Veränderungen erreicht werden können. Solange Assad keinerlei Bereitschaft zu politischen Reformen zeigt, bleibt die Hoffnung auf Stabilität durch Annäherung eine Illusion.

Europas fehlende Geschlossenheit in der Syrien-Politik stärkt die Position autoritärer Regime, die in dieser Uneinigkeit eine Gelegenheit zur Stabilisierung ihrer Macht sehen. Letztendlich zeigt Italiens Vorgehen, dass Pragmatismus in der Außenpolitik auf Kosten von Prinzipien und Werten geht. Eine Politik, die kurzfristige Stabilität anstrebt, ohne die strukturellen Probleme des Assad-Regimes anzugehen, könnte langfristig nicht nur Syrien, sondern auch der Glaubwürdigkeit Europas schaden.