Der KBW, die Bauern und der Kommunismus

Karpfen für die Revolution

Als deutsche Kommunisten einmal Bauern spielen wollten und dafür Kambodscha nach Schleswig-Holstein holten: der »Musterhof« des KBW.
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Die Bauern und der Kommunismus – das ist die Geschichte einer überaus zwiespältigen Beziehung. Die Bauern der nach ihnen benannten Kriege gegen den Adel leben in den sozialistischen Annalen als progressive Kraft fort und sind durch Thomas Müntzer fest in der Ahnengalerie verankert. Die Bauern der französischen Vendée hin­gegen, die ein gutes Vierteljahrtausend später den Aufstand gegen die Revolutionsregierung in Paris probten, gelten als Inbegriff des Reaktionären schlechthin. Bei dieser Einschätzung blieb es im 19. Jahrhundert: Die Bauern, die in ländlicher Enge dem Klerikalismus huldigten, schienen eine untergehende Klasse darzustellen, während das Proletariat die Bourgeoisie als fortschrittliche Klasse abzulösen trachtete.
Als zutreffend hat sich diese Prognose zumindest in zahlenmäßiger Hinsicht erwiesen: Obwohl das EU-Subventionswesen hauptsächlich dazu dient, die Bauern als soziale Schicht zu konservieren, beträgt der Anteil der Landwirte an der ar­beits­fähigen Bevölkerung Deutschlands nur noch gut zwei Prozent. In ideologischer Hinsicht aber sah sich der Sozialismus im 20. Jahrhundert enger mit dem Bauerntum verschränkt, als er es sich je hätte träumen lassen. Die Revolution fand nämlich ausgerechnet in Russland statt, dem seinerzeit vielleicht am stärksten agrarisch geprägten Land der nördlichen Hemi­sphäre; letztlich sollten dann alle folgenden, nur dem Namen nach proletarischen Revolutionen nach dem Schema ablaufen, das später Mao konstatierte: »Sich auf die Bauern verlassen, Stützpunkte auf dem Lande errichten, die Städte durch die Dörfer einkreisen und schließlich die Städte erobern.«

Bauern streben unter feudalen Bedingungen aber nicht nach dem großen Plan, sondern nach Privatbesitz. Stalin wollte dieses Problem dadurch lösen, dass er die Landbevölkerung einfach in sich bekämpfende »Klassen« aufteilte: die »Dorfarmut«, die durch die Kollektivierung zum Ersatzproletariat umgeschult werden sollte, und einen nicht eben kleinen Rest, den das Regime ökonomisch ruinierte und physisch liquidierte. Kontrastiert wurde dieses Programm durch die anschließende Terror-Kampagne gegen Intellektuelle und »Kosmopoliten«, die den Staatsapparat »säuberte« für die unter dem Despoten aufgestiegenen Bauernsöhne.
Die Verländlichung des Sozialismus sollte jedoch erst Pol Pot auf die Spitze treiben. Seine Roten Khmer entvölkerten die Städte, versklavten deren ehemalige Bewohner auf den Reisfeldern und liquidierten alle, die sie für intellektuell hielten (dazu genügte es schon, Brillenträger zu sein). Die agrarkommunistische Schreckensherrschaft zeitigte so vor allem zwei Resultate: Kambodscha konnte bald nicht einmal mehr genug Reis zum Eigenbedarf herstellen. Und als 1979 die vietnamesische Armee dem Wahnsinn ein Ende bereitete, waren im ganzen Land gerade noch 50 Ärzte am Leben.
Weil Pol Pot nach Maos Tod selbst in China nur noch wenige Freunde besaß, erhob der Nachzügler unter den bundesdeutschen ML-Parteien, der 1973 aus der Taufe gehobene Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW), Kambodscha umso lieber zu seinem exklusiven Vaterland der Werktätigen. Nicht nur im Januar 1979 war die Theoriepostille der Organisation den »großartigen Siegen der kampucheanischen Revolution unter der richtigen und klaren Führung der kommunistischen Partei Kampucheas« gewidmet. Überhaupt spielten Agrarfragen eine große Rolle, auch im Zentralorgan des Bundes, der Kommunistischen Volkszeitung. Die konnte zum Staunen mancher mit dem KBW-Universum nur oberflächlich vertrauter Leser seitenlang die globale Schweinefleischproduktion unter weltrevolutionären Aspekten analysieren.

Der Wunsch, das Abstrakte und Widersprüchliche ding- und damit auch handfest zu machen, regierte auch die sonstige Praxis des KBW. Die Organisation betätigte sich deshalb als eine Art verallgemeinerter Handwerker und nicht zuletzt als Landwirt der kommenden Revolution. 1979 errichtete der KBW einen »Musterhof« im holsteinischen Oster-Ohrstedt, wo Parteikader als »freiwillige Hilfskräfte« ackerten. Man experimentierte dort an »schnellwachsenden Eiweißkulturen« (hauptsächlich Karpfen), mit deren Hilfe man den als Begleiterscheinung der kommenden Revolution erwarteten Hungersnöten begegnen wollte. Bis es soweit wäre, sollte der Hof als eine Art ML-Sowchose dienen, die die Bevölkerung mit den Ergebnissen der unter Gesichtspunkten der proletarischen Wissenschaft betriebenen Agrarproduktion überzeugen sollte. Den Bauern aber leuchtete der Kommunismus wieder einmal nicht ein: Der Hof wurde schließlich Mitte der achtziger Jahre im Zuge der Organisationsauflösung sang- und klanglos dem Vergessen und einer Abbruchfirma überlassen.
Bäuerlicher Protest entzündet sich so nach wie vor nur, wenn es um die subventionierte Aufrechterhaltung überholter Produktionsmethoden geht. Und wenn man dann den von Milch und Boden schwärmenden Kartellvorstehern wie Bauernverbandsboss Gerd Sonnleitner zuhört, beginnt man den KBW fast ein wenig zu vermissen: Der hätte nämlich nicht nur mit seinem berüchtigten Musikzug am Rande jeder Demonstration gelärmt, sondern zu Sonnleitners Entsetzen für die Bildung von Volkskommunen agitiert. Und für die Karpfenzucht: Milch besteht nämlich nur zu 3,5 Prozent aus Eiweißen.