Über das Verhältnis der Arabischen Liga zu Gaddafi

Wir waren’s nicht!

Dass seine Kollegen in der Arabischen Liga Kampfeinsätze gegen ihn unterstützen, hätte sich Gaddafi vor einem Jahr wohl kaum vorstellen können. Immerhin kommt für viele überraschend, dass die Liga überhaupt politische Verantwortung übernommen hat – offenbar sogar für sie selbst.

Vor genau einem Jahr fand im libyschen Küstenort Sirte, der Herkunftsstadt Muammar al-Gaddafis, das jährliche Gipfeltreffen der Arabischen Liga statt. Gaddafi wurde als Gastgeber für ein Jahr automatisch Vorsitzender eines Vereins, der 2010 auf ein 65jähriges Bestehen zurückblicken konnte. Ein Jahr später kämpfen libysche Rebellen in der Wüste vor Sirte gegen Gaddafis Regierungstruppen. Die Rebellen haben es bis hierher geschafft, weil sie von den Kampfbombern einer Koaliation unterstützt werden, die sich dabei auf eine UN-Resolution beruft, für die die Arabische Liga mitverantwortlich ist. Es war die erste wirklich mutige Entscheidung dieser Vereinigung, die eigentlich schon längst am Ende war. Dafür war das Jubiläumstreffen in Sirte ein eindrucksvoller Beweis. Die Mindestanforderung an solch ein Treffen würdiger Staatsoberhäupter ist, dass ein wenig gegenseitige Achtung und zwischenmenschliche Kommunikation inszeniert wird. Der Gastgeber darf sich geehrt fühlen und viel Brimborium veranstalten, und am Ende lächeln alle in die Kameras, während ein nichtssagendes Schlusskommunique verlesen wird. Mehr als dieses Ritual brachte die Organisation, die einst im Zuge der Entkolonialisierung und des beginnenden Kalten Kriegs gegründet wurde, schon lange nicht mehr zustande.
Doch 2010 gelang der Arabischen Liga nicht einmal das. In Sirte fehlten acht Staatschefs der 22 Mitgliedstaaten, ein Großteil der erschienenen hochrangigen Repräsentanten reiste noch vor dem offiziellen Ende wieder ab. Der saudische König etwa zeigte sich verstimmt, weil Gaddafi ihn auf dem vorherigen Gipfeltreffen der Liga als »Lügner« bezeichnet hatte. Die Libanesen trugen dem libyschen Führer immer noch nach, dass er 1978 einen prominenten schiitischen Geistlichen und Politiker in Libyen hatte verschwinden lassen. Es war also kein Zufall, dass der Libanon die Anti-Gaddafi-Resolution als Mitglied im UN-Sicherheitsrat so vehement unterstützt hat. Vielleicht hätte sich Gaddafi gegenüber seinen arabischen Kollegen nicht so oft daneben benehmen sollen. Dass die Liga bereits ein Jahr später eine für Gaddafi sowie den Rest der Welt bedeutsame Entscheidung treffen würde, war ihr damals allerdings noch kaum zuzutrauen.
Dem Generalsekretär der Arabischen Liga, dem Ägypter Amr Moussa, oblag es, nach der überraschend klaren Entscheidung der Liga für eine Intervention in Libyen klarzumachen, dass die entschiedene Ablehnung von Verantwortung nicht ganz aus dem Repertoire nahöstlicher Politiker verschwunden ist: Nach Beginn der Bombardements distanzierte er sich von der Umsetzung der UN-Resolution, die er zuvor noch wortreich unterstützt hatte, gleichsam auf Vorrat. Sonst hätte man ihn ja auf etwas festnageln, ihn für etwas verantwortlich machen können.
Ein kleines Satyrspiel zu dieser Tragikomödie der Arabischen Liga liefert Wolfgang Gehrcke, der außenpolitische Sprecher der »Linken«, der kürzlich meinte, zu den vielen, vielen Opfern des von der Nato in Libyen geführten Krieges gehöre auch »die Arabische Liga, die kaum mehr handlungsfähig ist«. Trifft man einmal eine Entscheidung, ist man prompt auch schon wieder Opfer. Die Arabische Liga wird hoffentlich daraus lernen.