Nachrufe auf Berlusconi und auf Italien

Basta Berlusconi!

Sag zum Abschied leise Ciao. Einige Nachrufe auf Silvio Berlusconi und Bella Italia.

Federica Matteoni: Zuschauen und Aussitzen
Der Tyrann ist weg, die Bevölkerung jubelt, bewirft ihn mit Münzen und nennt ihn buffone (Clown). In der jubelnden Menge hält jemand ein Plakat hoch, auf dem steht: »12. November, Tag der nationalen Befreiung«. Die italienische Nationalhymne und »Bella Ciao« ertönen auf dem Platz des Quirinale in Rom, vor dem Wohnsitz des italienischen Staatspräsidenten. Es sind Szenen, die an die Bilder der tunesischen Straßen und des Tahrir-Platzes in Kairo erinnern. Die Geschichte hinter diesen Bildern ist allerdings keine Geschichte des Aufstands. Sie offenbart vielmehr das Scheitern einer immer wieder angekündigten Erhebung, die nie stattfand. Zuschauen, Aussitzen und sich befreien lassen, das hat Italien schon einmal erlebt. Vor 68 Jahren wäre die Befreiung ohne die Hilfe der mutigen jungen Frauen und Männern, die sich bewaffneten und in die Berge gingen, nicht gelungen. Auch jetzt war ein Kommunist und Partisan am Werk, ein ehemaliger, aber immerhin. Heute sitzt er im Präsidentenpalast und es ist vor allem ihm, dem Staatsoberhaupt Giorgio Napolitano, zu verdanken, dass der Abgang Silvio Ber­lusconis so schnell und überraschend unspektakulär über die Bühne ging. Die Bevölkerung bedankt sich herzlich. Und die Opposition erst recht, die im vergangenen Jahr verzweifelt nach jemandem gesucht hat, der den dirty job für sie übernimmt. Denn lange schon war die Hoffnung gestorben, Berlusconi werde wegen seines Interessenkonflikts, verschiedener Korruptionsaffären und seiner Verbindungen zur Mafia von der Justiz belangt. Weder die Sexpartys mit Minderjährigen noch Ruby Rubacuori konnten etwas ändern. Weiter echauffierte man sich in Zeitungen und Talkshows darüber, wie beschämend die privaten Angelegenheiten des Premierministers für das Land seien, bis irgendwann irgendjemandem in Brüssel auffiel, dass Italien am Rande des wirtschaftlichen Ruins steht und dass etwas unternommen werden muss. Dann ging alles sehr schnell. Vielleicht ein bisschen zu schnell für die linke Opposition, die sich nach dem Verlust ihres liebsten Feindes neu orientieren muss. Denn bis zu den nächsten Wahlen ist es nicht mehr lange hin. Und es muss noch einiges getan werden, wenn man sie wieder verlieren will.

Federica Matteoni ist Exil-Italienierin
Tanja Dückers: Null IQ
Seit Beginn der ersten Amtszeit von Berlusconi 1994 habe ich mit zahlreichen italienischen Intellektuellen Kontakt gehabt. In dieser Zeit ist mir niemals jemand begegnet, der ihn gewählt hat. Eine befreundete Komponistin hat ein Jahr in Rom verbracht. Auch dort ist ihr niemals ein Mensch begegnet, der auch nur ansatzweise Sympathien für die Regierung des 7,8fachen Milliardärs gehabt hätte. Diese Beispiele zeigen mir, welch geringe Bedeutung das sogenannte kritische Bürgertum in Italien noch hat. Eine Regierung kann jahrzehntelang ohne ihre Zustimmung das Land zugrunde richten, der Einfluss der sogenannten Intellektuellen tendiert gegen Null.

Tanja Dückers ist Schriftstellerin
Stefan Liebich: Dank den Rating-Agenturen!
Silvio Berlusconi bestimmt seit 1994 mit kleineren und größeren Pausen die italienische Politik. Er prägt das Bild Italiens seit vielen Jahren wie kaum ein anderer – zum Schaden des Landes. Er küsste Gaddafi die Hand, als wäre dieser der Papst. Er pries das »Wunder von Astana« des »geschätzten Präsidenten« Nasarbajew, als andere Staatschefs die Menschenrechtsverletzungen in Kasachstan kritisierten. Seine Macht in den öffentlichen und privaten Medien trug zu einer nie dagewesenen Trivialisierung der politischen Debatte in Parlament und Öffentlichkeit bei, was auch nach seinem Abgang nur langfristig wieder zu beheben sein dürfte. Er schuf ein Klima, in dem sich die Politik über das Recht stellte, mafiöse Strukturen, rechte, populistische und sezessionistische Parteien hoffähig wurden. Natürlich wirft es Fragen auf, dass nunmehr Rating-Agenturen das geschafft haben, woran die gesamte italienische Opposition jahrelang gescheitert ist. Trotzdem, Italiens Linke, die demokratische Öffentlichkeit, Intellektuelle und Künstler dürfen aufatmen: Endlich!

Stefan Liebich, MdB für »Die Linke«, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss
Ivo Bozic: Wenn Ruinen verfallen
Einst kam alles Gute und Schöne aus Italien. Dort lebten die schönsten Menschen inmitten der schönsten Landschaft, sie tranken und aßen nur das Feinste und kleideten sich besser als alle anderen Erdenbürger, während über ihnen an einem sehr, sehr blauen Himmel immerzu die Sonne schien. Nach einem gefühlt tausendjährigen Berlusconi-Reich ist davon nichts übrig. Es regnet seit Wochen, die Strände sind längst alle verkauft. Die Spaghetti kleben, der Espresso ist kalt und auch der Chianti schmeckt nicht mehr, jedenfalls keine der Flaschen unter zehn Euro. Der italiensche Fußball? Die Wettmafia gewann 10:0. Die italienische Oper? Sang ja nur noch »Zum Glück gibt’s Silvio«. Statt Renaissance gibt’s Regression. Der italienische Film? Statt Neorealismus nur noch realer Neoschrottismus. Statt grande Famiglia grande Geburtenschwund. Ja, selbst die Ruinen verfallen, Pompeji geht ein zweites Mal unter. Die italienische Linke war mal Avantgarde, hatte charismatische Denker und Querdenker, den Operaismus und den Postoperaismus. Jetzt gibt es da nur noch eine wilde Antiimp-Meute, die auf die nächste Intifada lauert. Früher gab’s Kommunisten und Faschisten. Jetzt gibt Widerlinge, Verbrecher und Arschlöcher auf der einen Seite und auf der anderen Katholiken, Empörte und Technokraten. Amore und pikanter italienischer Sex? Niente! Stattdessen abgeschmackte Bunga-Bunga-Arrangements! Fiat? Lebt nur noch dank Chrysler. Mailänder Mode? Selbst ugly Berlin ist inzwischen angesagter. Die Taschen von Dolce & Gabbana gibt’s beim Kik in Marzahn für sieben Euro. Kurz: Italien ist am Ende. Completamento. Nur Umberto Eco ist uns Italien-Liebhabern der alten Schule geblieben, er ist unser ganzer Trost. Aber kann er das Land wieder aufbauen? Das politische Bewusstsein? Die Kultur? Die Apenninen? Das Colosseum? Es bleibt uns nichts übrig, als es zu hoffen.

Ivo Bozic gehört der Roten Toskana Fraktion an
Alan Posener: Der Unternehmer
Berlusconi sagte, er werde Italien wie ein Unternehmen regieren. Leider hat er sein Versprechen gehalten. Die Entpolitisierung Italiens ist das schlimmste Erbe des Cavaliere. Dass er nicht politisch gestürzt wurde, sondern durch den – viel zu späten – Vertrauensentzug der Märkte, mag zwar einerseits beweisen, dass auf Dauer das Kapital auf der Seite der Engel ist; ist aber andererseits ein Armutszeugnis für ein Land, das immer noch keinen postkommunistischen und postkatholischen – also modernen – Begriff von Civitas hat.

Alan Posener ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der »Welt« und »WamS«
Cem Özdemir: Teilweise frei
Dass Silvio Berlusconi endlich seinen Hut genommen hat, ist die beste Nachricht aus Italien seit langem und eine sehr gute für Europa. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Mann nicht wie ein Bumerang zurückkehrt. Zuzutrauen ist es ihm, der auf unerklärliche Weise als Regierungschef wie in Stein gemeißelt und unabwählbar schien – trotz aller politischen, privaten und unternehmerischen Eskapaden. Die Italiener haben sich durch das Zementieren dieser Macht als äußerst leidensfähig, aber auch als leidenswillig erwiesen. Jetzt müssen sie die Kräfte bündeln, um dringend notwendige Reformen umzusetzen. Dazu kann sicher auch eine freiere Presse beitragen. Denn laut Freedom House gilt die Presse in Westeuropa als »frei«, in Italien jedoch nur als »teilweise frei«. Der Abgang von Berlusconi ist also eine Chance in vielerlei Hinsicht.

Cem Özdemir ist Bundesvorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen