Wer soll absteigen?

Steig! Jetzt! Ab!

Im Fußball geht es nicht nur darum, dem Lieblingsteam die Daumen zu drücken, sondern auch darum, dem Lieblingsgegner die Pest an den Hals zu wünschen. So richtig gelungen ist eine Bundesligasaison erst dann, wenn nicht nur der Wunschverein Meister wird, sondern auch alle Clubs, die man nicht leiden kann, absteigen. Eine Umfrage.

Mia und die anderen
von Ingo Herrmann
Zu welchem Verein halte ich? Okay, die Frage ist leicht. Es gibt ja nur einen Verein. Global gesehen mag es noch mehr geben. Und möglicherweise gibt es lokale Präferenzen, aber unter dem Strich gibt es nur den FC Bayern München. Punkt. Beweisaufnahme abgeschlossen. Keine Argumente nötig. Und seit der Klatschenkombination aus verkackter Meisterschaft, demütigendem Pokalfinale und Drama Dahoam bekomme ich nicht einmal mehr von Fans der blauen Plebs den »Erfolgsfan« zu hören. Schade eigentlich – ich mochte das irgendwie. Und arrogant bin ich ohnehin. Für die anderen. Weil Niveau sieht von unten immer aus wie Arroganz. Aber ich schweife ab.
Die schwierige Frage lautet: Welchem Verein wünsche ich den Abstieg? Hier muss ich wohl wirklich differenzieren. Drei Gruppen konnte ich auf die Schnelle identifizieren:
1. Vereine, die einfach egal sind. So egal, das es schon egal ist, wie egal sie sind. Hoffenheim, Hannover, Mainz. Austauschbar. Wenn mal ein Spiel gegen solche Clubs ansteht, interessiere ich mich meist bereits mehr für das kommende Pokalspiel gegen einen Viertligisten oder das nächste Spiel in der Champions League gegen Traktor Plovdiv. Jaja, ich weiß, arrogant. Mir wurscht.
2. Vereine, bei denen sich ein leichtes Unwohlsein in die Magengegend schleicht. Die sind unangenehm, aber nicht wichtig. So Zeug wie Frankfurt, Gladbach, Leverkusen, da sind eventuell mal vorübergehend sportliche Kaliber dabei, aber eigentlich immer noch zu vernachlässigen.
3. Vereine, die als Rivalen durchgehen. Denen gönnt man bereits Bezeichnungen jenseits des Städtenamens. Da tut sich was. Gemeinsame Vergangenheit. Rivalität. Sport. Da heißt es nicht Bremen, sondern Werder. HSV, nicht Hamburg. BVB statt Dortmund. Gegner. Akzeptierte Gegner. Nicht auf Augenhöhe, zumindest nicht dauerhaft. Auch wenn sie mal fünf Spiele in Folge gewinnen. Auch wenn Kevin Großkotz bei ihnen spielt.
Und wem wünsche ich nun den Abstieg? Keinem! Wenn man Bayern-Fan ist, sieht das so aus: Wir sind Nummer eins. Die Besten. Rekordmeister. Auch ohne Titel, auch mehrere Jahre ohne zählbaren Erfolg. Mia san mia. Ihr anderen seid mir wurscht. So schaut’s aus. Prost!

Zwangsauflösung oder Abstieg
von Jan Tölva
Wenn es einen Verein in der Bundesliga gibt, der unbedingt absteigen sollte, dann ist es der Hamburger SV. Nicht weil er grundlegend unsympathisch wäre, sondern weil das die einzig vernünftige Strafe dafür wäre, dass der Verein vor der Saison sein Team aus »finanziellen Gründen« aus der Frauenbundesliga zurückgezogen und in die Regionalliga geschickt hat. Dass der Verein Geldsorgen hat, ist ja bekannt, aber das ist ganz sicher nicht die Schuld der Frauenfußballabteilung. Geld im großen Stil verschwendet wurde doch wohl eher durch die fast schon groteske Transferpolitik bei den Männern. Seit Jahren werden da mittelmäßige Spieler für viel zu viel Geld geholt, während selbst der FC Bayern mittlerweile erfolgreich auf den eigenen Nachwuchs setzt. Bei den Hamburgern dagegen kommt nicht ein einziger Leistungsträger aus der eigenen Jugend, und dass obwohl der Verein bereits im Jahre 2000 ein eigenes Nachwuchsleistungszentrum errichtet hat und sowohl in der A- als auch in der B-Jugend Bundesliga spielt. Die Zeche für die verfehlte Personalpolitik, bei der jetzt ja auch der Milliardär Klaus-Michael Kühne fleißig mitmischen darf, was nebenbei zur weiteren Unterhöhlung der 50+1-Regel beiträgt, zahlt aber nicht etwa der inkompetente Haufen in der Männerabteilung, sondern es sind mal wieder die Frauen. Eine derart sexistische Kackscheiße sollte eigentlich mit der Zwangsauflösung der Männerfußballabteilung geahndet werden. Der sportliche Abstieg wäre in diesem Sinne immerhin ein guter erster Schritt.

Hoffenheim! Oder doch Bayern?
von André Anchuelo
Eigentlich mag niemand sie: Die Millionentruppe der TSG Hoffenheim. Hochgepäppelt mit Mitteln des SAP-Mitgründers Dietmar Hopp, ist der Club aus dem 3 000-Einwohner-Dorf Hoffenheim (formell ein Stadtteil des auch nicht viel größeren Sinsheim) spätestens seit dem Aufstieg in die Bundesliga 2008 als »Retortenclub« verschrien. So wird er zuweilen selbst von der Konkurrenz bezeichnet. Als Reaktion verlangte Hopp, solche Äußerungen genauso als diskriminierend zu betrachten und genauso zu ächten wie Rassismus. Als gegnerische Fans den Milliardär als »Hurensohn« schmähten, zeigte sich Hopp empört und beteuerte, seine Mutter sei eine »herzensgute Frau« gewesen. Daraufhin hieß es in den Fangesängen: »Du Sohn einer herzensguten Frau!« Später ließ man im Stadion des Clubs gegnerische Fans mit einer Lärmanlage beschallen, um weitere Gesänge zu unterbinden.
So weit, so unsympathisch. Eigentlich wäre Hoffenheim also der ideale Wunschabsteiger. Obwohl der Club sich im Sommer namhaft verstärkt hat, wäre ein Abstieg nicht mal völlig abwegig: In der ersten Runde des DFB-Pokals schied die TSG gegen viertklassige Amateure aus Berlin aus und präsentierte sich als nicht bundesligareif. Ex-Nationalspieler Tim Wiese, der von Werder Bremen zu Hoffenheim gewechselt war, um, wie er sagte, wieder in der Champions League zu spielen, darf sich jetzt schon die Gesänge anhören: »Tim Wiese spielt Champions League auf PS3, die ganze Nacht, von zwölf bis acht.«
Aber andererseits: Das reaktionäre Gewäsch über »Traditionsclubs« ist dann doch meist eher unappetitlich. Tradition ist ja kein Wert an sich, bei vielen Clubs changiert sie zwischen NS-Vergangenheit, Größenwahn und fußballerischer Inkompetenz. Und wenn es jemanden gibt, den keiner mag, kann man sich ziemlich sicher sein, dass die meisten keine guten Gründe dafür haben. Also sollte man sich vielleicht doch lieber den Abstieg des FC Bayern München wünschen. Den mögen auch ganz viele Leute nicht (zum größten Teil allerdings ebenfalls aus eher zweifelhaften Gründen). Aber der deutsche Rekordmeister ist wenigstens ein Gegner – er hat nämlich auch die meisten Fans aller deutschen Fußballclubs.

Kleinlaut in die 2. Liga
von Thomas Bohn
Ich wünsche natürlich regelmäßig Bayern München den Abstieg – so abwegig es ist, der Verein wird auch diesmal nicht absteigen. Und so hoffe ich, dass die Bayern wenigstens die internationalen Plätze nicht erreichen.
Dann eben der HSV, seit Anbeginn in der Bundesliga dabei. Ein Abstieg wäre eine Abwechslung, oft genug hat der Verein in den letzten Jahren gegen den Abstieg gespielt, und genauso oft konnte er ihn in letzter Minute vermeiden. Auch in dieser Saison stehen die Chancen gut, den HSV im Abstiegskampf bewundern zu können. Ob der Mittelstürmer Paolo Guerrero, der den Verein in Richtung Brasilien verließ, wirklich ersetzt werden kann, wird sich bald herausstellen. Aber eigentlich habe ich für den HSV zurzeit mehr Mitleid (und ein wenig Spott) übrig, als ihm den Abstieg in die zweite Liga zu wünschen.
Mein Wunschabstiegskandidat ist Hoffenheim, nicht nur, weil der Verein für die allgemein so verhasste Kommerzialisierung des Fußballs steht, sondern auch, weil der Verein sich Tim Wiese von Werder Bremen geholt hat und jetzt, wo er nicht mehr für Werder spielt, möchte ich einfach sehen, wie er kleinlaut am Ende der Saison in die 2. Liga verschwindet.

Das Salz der Herde – eine Entgleisung
von Felix Bartels
Es gibt gute Gründe, vor allem Schalke 04 den Abstieg zu wünschen. Die wenigsten davon haben mit Fußball zu tun. Schlechtes Ballspiel bieten andere Vereine auch. Worin Schalke führt, das ist jene Pest, die man Fankultur nennt. Heute weiß man doch, wie Fußball genießbar ist: mit ausgesuchten Teilnehmern vor einem Großbildschirm bei teurem Rotwein und Vivaldi. Wenn das Geld für den Rotwein nicht reicht, tut es auch eine VIP-Loge im Stadion. Es sind die Stehplätze, die den Fußball zerstören, und ganz Schalke ist nichts als ein riesenhaft ausgewachsener Stehplatz. Die Seelenlage des Schalkers ist mit »schlicht« noch zu kompliziert umschrieben. Aber es ist nicht einmal dieser unüberbietbare Grad an Volkstümlichkeit, der Schalke unverwechselbar macht. Es ist der Hochmut im Niederen; jener Glaube, besser zu sein, weil man schlechter ist. Wer seine Mängel für Tugenden hält, hängt sich selbst den Titel »Meister der Herzen« um, wenn es einmal mehr zur Meisterschaft nicht gereicht hat, der billigt mithin eine hasardierende Geschäftspolitik, die nur Dank schmieriger Lokalpolitiker und zwielichtiger Investoren bis heute nicht bestraft worden ist. Man kann das Elend auf die Formel bringen: Schalke, das ist Meppen plus Größenwahn.
Ein solcher Verein wird folglich auf andere Weise bestraft: durch Anhänger wie Johannes Paul, Manni Breuckmann und Stefan Engel, durch einen Präsidenten, der Schuldenberg (oder so ähnlich) heißt, und last and least einen Aufsicht führenden Fleischverkäufer, dessen größte kulturelle Leistung darin besteht, gemeinsam mit Matthäus, Guttenberg und der Bild-Redaktion das Aussterben der zurückgelegten Hartschleimfrisur verhindert zu haben.
Auf Schalke trifft sich armer Pöbel mit reichem Pöbel; ein bisschen Wayne, ein bisschen Cristiano, Gosse und Glamour reichen sich die Hand, und ich finde: Es reicht jetzt.