Leiharbeitsregelungen im europäischen Vergleich

Leih mir mal ’ne Arbeitskraft!

In ganz Europa haben sich Zeitarbeits­firmen etabliert. Aber die Unterschiede zwischen den Ländern sind beträchtlich.

Fremder, kommst du in die französische Hauptstadt, sage, du habest sie gesehen: Paris, seine historischen Gebäude, seine Museen – seine Zeitarbeitsfirmen. Wer vom Pariser Ostbahnhof aus über den Boulevard Magenta in Richtung Place de la République spaziert, wird über mehrere hundert Meter hinweg an Dutzenden von Zeitarbeitsfirmen vorbeikommen.
So sieht es dort seit mindestens zwei Jahrzehnten aus. In den vergangenen Jahren, vor allem von 2009 bis 2011, bot sich bisweilen ein ungewohntes Bild. Kartons und mitunter Matratzen waren vor den Eingängen der Zeitarbeitsbüros ausgebreitet. Menschen schlürften dort Kaffee und diskutierten. Manchmal sah man auch in den Abendstunden im Inneren Menschen beim Beten, vor allem Westafrikaner, muslimische Senegalesen und Malier. Und zwar in den Räumen der Leiharbeitsfirmen, weil sie diese besetzt hatten.
Über Wochen und Monate, in manchen Fällen über anderthalb Jahre zog sich damals der Streik der Sans-Papiers, der illegalisierten Migranten. Der Arbeitskampf wurde für die Legalisierung des Aufenthalts der Einwanderer geführt, und dabei hatten die Betreffenden oft auch Erfolg, wenn diese Forderung infolge des ausgeübten Drucks von ihrem jeweiligen Arbeitgeber unterstützt wurde. Die Behörden legalisierten dann die Arbeitskräfte im Namen eines anerkannten Bedarfs der französischen Wirtschaft.
Anders sah es bei den Lohnabhängigen aus, die von Zeitarbeitsfirmen beschäftigt wurden. Da sie oft nur kurzfristige Arbeitsverträge hatten, sperrten sich die Ausländerbehörden dagegen, einjährige Aufenthaltserlaubnisse auszustellen. Erst ein zäher und langer Kampf konnte ab 2009 solche Blockaden in manchen Fällen aufbrechen.
Die Verknüpfung zwischen Zeitarbeitsverträgen und Ausländerrecht ist nicht die einzige Problematik, die in Frankreich im Zusammenhang mit der Leiharbeit umstritten ist. Im Vergleich mit den übrigen romanischsprachigen Ländern weist Frankreich einen relativ hohen Anteil an Leiharbeitern unter den abhängig Beschäftigten auf, mit einem nahezu konstanten Anteil von rund zwei Prozent der Beschäftigten insgesamt. Im Juli lag er etwa bei 2,1 Prozent.
Dieser Anteil lag fast überall in Südeuropa im gleichen Zeitraum erheblich niedriger, mit 0,6 Prozent in Spanien und 0,9 Prozent in Portugal sowie einem Prozent in Italien. Und vor den jüngsten Krisenentwicklungen war der Anteil dort noch niedriger. Deutschland lag im Sommer dieses Jahres ungefähr gleichauf mit Frankreich, mit 2,2 Prozent, wobei der Anteil der Leiharbeit östlich des Rheins in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist, insbesondere seit gesetzlichen Erleichterungen während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder. Den höchsten Anteil an Leiharbeitern unter den Lohnabhängigen fand und findet man in Großbritannien mit vier bis fünf Prozent, in den Niederlanden und in Dänemark.

Die vergleichsweise geringe Verbreitung von Leiharbeit in Südeuropa erklärt sich aus gesellschaft­lichen Faktoren. Zum einen existieren dort andere Arten der Prekarisierung abhängiger Arbeit. So sind dort insbesondere Formen von Scheinselbständigkeit vorherrschend. Andererseits überwiegen auch andere Mechanismen unter Arbeitssuchenden und Lohnabhängigen. Nach Angaben einer europaweiten Studie eines französischsprachigen Verbands der Zeitarbeitsbranche, Prisme, sind 80 Prozent der französischen und der niederländischen Lohnabhängigen der Auffassung, in Ermangelung eines dauerhaften Broterwerbs könne ein Leiharbeitsverhältnis ein geeignetes Mittel sein, um sich einem stabilen Beschäftigungsverhältnis anzunähern: Man steigere dadurch seine employabilité, also die »Anstellungswürdigkeit« in den Augen der Arbeitgeber.
Hingegen sei diese Auffassung in Südeuropa weniger verbreitet, wo man eher auf seine familiären Kontakte sowie sein soziales Netzwerk setze, um an Informationen über Beschäftigungsverhältnisse zu kommen. Vor allem in Südeuropa betrachtet man demnach Beschäftigungsverhältnisse, bei denen man von vorherein weiß, dass man von ihnen nicht auf Dauer leben kann, als relativ uninteressant. Eine große Unbekannte bildet im südeuropäischen Raum Griechenland. Dort gibt es keine offiziellen Statistiken zum Thema. Leiharbeitsfirmen können legal tätig sein, ihre Aktivität wird aber vom Gesetzgeber nicht näher reguliert.
In Frankreich war die Leiharbeit vor allem in den siebziger Jahren ein Gegenstand heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen. Sie wurde im Jahr 1972 gesetzlich zugelassen. Linksparteien und Gewerkschaften forderten daraufhin jahrelang das strikte Verbot von Leiharbeit. Als die Erstgenannten dann unter François Mitterrand ab 1981 an die Regierung kamen, verabschiedeten sie allerdings kein Verbotsgesetz, sondern versuchten, das Phänomen gesetzlich zu regulieren. Dabei ist es bis heute geblieben.

Ein wichtiges Instrument ist dabei die Durchsetzung des equal-pay-Prinzips: Leiharbeiter und andere abhängig Beschäftigte beim »Entleiher« – also in dem Betrieb, der ihre Arbeitskraft nutzt – müssen die gleiche Vergütung bekommen. Ein solches Prinzip der Lohngleichheit besteht in Deutschland zwar theoretisch auch, ist aber praktisch wirkungslos, da es ausdrücklich durch Tarifverträge umgangen werden kann. Im Vereinigten Königreich besteht die Verpflichtung zur Einhaltung des equal pay ohnehin erst nach zwölf Wochen Betriebszugehörigkeit der Leiharbeiterin beim Entleiher. Vergleichbar schwache Regeln gelten zwar auch in skandinavischen Ländern. Doch werden sie etwa in Dänemark de facto durch starke Gewerkschaften kompensiert, die meistens in Tarifverträgen soziale Garantien auch für Leiharbeiter aushandeln.
In Frankreich dagegen sind die gesetzlichen Garantien für die Einhaltung des equal pay relativ strikt. In der Praxis gibt es auch tatsächlich keine oder nur geringe Lohndifferenzen zwischen Leiharbeitern und Stammpersonal, jedenfalls was die Grundvergütung samt Prämien betrifft. Ausgenommen bleiben die Leiharbeiter lediglich vom Zugang zu längerfristigen Vorteilen wie Zuschlägen aufgrund der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder Betriebsrenten.
Die Vorzüge aus Sicht der Arbeitgeber liegen in Frankreich also nicht im Lohndumping, das das Gesetz nach wie vor verbietet, sondern darin, dass sie die Leiharbeiter im Unternehmen als personellen »Puffer« benutzen können: In der Krise, wie derzeit im Automobilsektor, brauchen die Firmen deswegen oft nicht zu entlassen und teure Sozialpläne zu beschließen, sondern können die Verträge mit Leiharbeitsfirmen nicht erneuern. Allein von Ende 2011 bis Ende dieses Jahres wurden im Land insgesamt 73 600 Leiharbeitsstellen abgebaut.
Ein weiterer Vorteil aus Sicht des Arbeitgebers liegt darin, dass Leiharbeitskräfte an Wahlen zu gewerkschaftlichen Vertretungen und Betriebsräten nicht teilnehmen können. Zum Teil versuchen Unternehmensführungen auch, Leiharbeiter zu benutzen, um streikendes Stammpersonal zu ersetzen. Dies ist vom französischen Gesetzgeber ausdrücklich verboten worden. Dennoch wird es immer wieder versucht. Öffentliche Arbeitgeber gehen dabei oft mit schlechtem Beispiel voran: In den neunziger Jahren wurde die französische Post aus diesem Grunde mehrfach gerichtlich verurteilt.