Die WM nervt

Prügel für die Zirkuspferde

Wer die WM gewinnen wird, wissen sie auch nicht. Aber was nervt, wissen die Autoren der Jungle World ganz genau.

Nationaler Miro

Das Schlimmste an der deutschen Nationalelf ist nicht die deutsche Nationalelf, sondern Miroslav Klose. Das Schlimmste an Miroslav Klose ist nicht Miroslav Klose, sondern der Kult um ihn. Warum ist »der Miro«, wie er von Journalisten genannt wird, als wollten sie damit ihr nüchternes Urteil unter Beweis stellen, so beliebt? Am Fußballspiel kanns ja nicht liegen. Von den 70 Länderspieltoren hat er ganze sieben gegen erstklassige Mannschaften erzielt und lediglich fünf davon bei großen Turnieren. Von den 15 WM-Toren (für die er ganze vier WM benötigt hat) sind elf in der Vorrunde gefallen, ausnahmslos gegen schwache Gegner. Klose ist einer, der spielen kann, wenn keiner versucht, ihn daran zu hindern. Es wurde oft gefragt, was in seinen Vereinen falsch gelaufen sei. In einer Clubsaison aber spielt man im Schnitt gegen deutlich stärkere Gegner als bei Länderspielen. Klose ist ein immer wieder nominierter Spieler, für den so gut wie nie seine Leistung in den Clubs sprach, sondern sein gutes Verhältnis zum jeweiligen Nationaltrainer. Früh hatte er begriffen, dass es nicht darauf ankommt zu trainieren, sondern dem Nationaltrainer die Kaffeetasse aufs Spielfeld zu bringen. Genau in dieser Konstellation aber liegt der Schlüssel für den Klose-Kult. Die Deutschen lieben gute Nationalspieler, doch Klose ist der Nationalspieler an sich. Einer, der kein guter Fußballer ist und im Clubfußball immer versagt hat; einer, der sein bisschen Können ganz für die heilige Nation aufgespart hat.
Felix Bartels

Schwarzgelb ohne Rot

Aufgezogen von zwei phanatischen Fußballfans, meiner Oma und meiner Mutter, beschloss ich schon mit sechs Jahren, mich nie für Fußball zu interessieren, und das habe ich bislang gut durchgehalten. Und 2014 scheint mein Jahr zu werden: Selbst im Ruhrgebiet ist die Zahl der Deutschlandfahnen an Häusern und Autos bis jetzt eher überschaubar. Wir hatten Pfingsten einen ziemlich beeindruckenden Sturm, überall in den Städten liegen jetzt Bäume und kaputte Autos herum und das ist natürlich für alle sehr spannend. In Dortmund sieht man immer noch mehr Schwarz-Gelb als Schwarz-Rot-Gelb – alles wie immer. Die zahllosen Fußballexperten in meinem Freundeskreis rechnen in ihrer Mehrheit mit einem Vorrunden-aus der Deutschen.
Nur Thanassis, der auf seine ganz eigene Art und Weise schon Antideutscher war, lange bevor es das Wort gab, geht auf einmal davon aus, dass Löw und seine Mannschaft das Halbfinale erreichen. Aber seit Thanassis nach Köln gezogen ist, hat er Laktoseintoleranz, die deutsche Staatsangehörigkeit und ist ein wenig wunderlich.
Stefan Laurin

Sozialstudie

In linken Kreisen ist es ja gerade wieder ziemlich en vogue, seine Abscheu gegen die WM-Patriotensause kundzutun. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwer auf Facebook, Twitter oder sonstwo alle Welt wissen lässt, dass er oder sie Fußball total scheiße findet. Das Flaggen­abreißen erreicht olympische Ausmaße, in diversen AZ und linken Zentren kann man die (schwarz-rot-goldene) Beute gegen ein kühles Blondes eintauschen. Fast zwanghaft nimmt man sich am Spielabend etwas ganz anderes vor. Reden andere vom Fußball, rollt man demonstrativ mit den Augen. Ich gestehe einfach mal als erstes: Ich habe bei dieser WM noch nicht eine einzige Flagge abgerissen. Nicht, weil mich plötzlich das Fußballfieber respektive der Nationalstolz gepackt hätten. Aber der Sinn des antideutschen Bekenntnisses wider den (deutschen) Fußball wird mir immer unklarer. Als ob der gemeine Deutschländer seinen Nationalismus hauptsächlich mit einem Autofähnchen zum Ausdruck bringen würde. In meinem Kopf erstelle ich lieber meine ganz persönliche Sozialstudie über diese Leute, die nach der WM ja auch nicht einfach weg sind. Und so eine Studie ist natürlich viel einfacher, wenn man weiß, wen genau man beobachten muss. Das Spiel Deutschland – USA werde ich mir ausnahmsweise ansehen. Zu Studienzwecken, versteht sich.
Martin Niewendick

Verlust der Deutungshoheit

Dieses Jahr sind es genau 19 Kameraperspektiven, aus denen ich mir jede wichtige Szene der WM in der Mediathek anschauen kann. Man wird auch gefühlt 19 Mal in 90 Minuten aufgefordert, sich die App herunterzuladen. Also sitze ich da und schaue mir pflichtschuldigst auf Kamera Nummer 7 an, wie unter großem Jubel kleine Punkte am anderen Spielfeldende durch die Gegend wuseln, und wie der niederländische Torwart beginnt, sich zu freuen. Mehr noch: Aus 18 weiteren Perspektiven kann ich mir dann ansehen, wie Robben dasselbe Tor immer wieder schießt. Endlich ist mein Kindheitstraum wahr geworden: Ich bin in der Fernsehregie bei der WM.
Nein, das wird jetzt keine Abrechnung mit der neuen Technik, die den guten Fußball zerstört. Es ergibt einfach keinen Sinn, von Zeiten zu träumen, in denen Fußballspiele nur im Radio übertragen wurden. Ebenso wenig ergibt es aber Sinn, dass jeder Stammtischfußballer auf seinem Handy mehr sieht als die Schiedsrichter. Das ist der Verlust über die Deutungshoheit im Spiel. Ich will mir nach einem Spiel nicht eine »Analyse« der Fehlentscheidungen anschauen. Mich langweilen die wiederkehrenden Zeitlupen bei falsch oder nicht gegebenen Elfmetern.
Ich will einfach nur Fußball schauen, nicht die langweiligsten Szenen der WM aus 19 Perspektiven.
Thomas Honesz

Kein Platz für Weicheier und Zirkuspferde

Nein, die deutschen Fußballfans mögen Cristiano Ronaldo nicht. Vom virtuellen Stammtisch bis hin zum Spiegel, der schrieb, dass Ronaldo eine Tracht Prügel verdient hätte. Doch woher kommt der Hass? Sicherlich ist es nicht der Ärger über verlorene Fußballspiele der »eigenen« Nationalmannschaft, schließlich liegt der letzte Sieg Portugals gegen Deutschland 14 Jahre zurück – da spielte Ronaldo noch in der Juniorklasse.
Es liegt wohl eher daran, dass er die Erwartungen des deutschen Fußballfans an einen echten Fußballprofi nicht erfüllt: Sich die Haare zu stylen und Schmuck zu tragen sei eher die Aufgabe von einer »Spielerfrau«. Wer dann noch nach einem verlorenen Spiel vor laufenden Kameras weint, hat keine Chance auf Anerkennung bei den Krauts. Aber Ronaldo widerspricht nicht nur deren Geschlechtervorstellungen, sondern auch deren Ideal von Arbeitsmoral. Erfolge des portugiesischen Fußballspielers werden als unverdient angesehen, so schreibt der Spiegel, Ronaldo sei ein »Zirkuspferd«. Und wenn er auf dem Fußballfeld lächelt, dann wird das als Verhöhnung der hart ackernden »echten« Profis gesehen – echte Männer lächeln wohl nicht.
Ismail Küpeli

Abseits des Trottelauflaufs

Der Zauber ist ungebrochen. Immer wieder stellt er sich zuverlässig aufs Neue ein. Es herrscht betörende Stille. Keine in Deutschlandflaggen eingewickelten BWL-Studenten, die wie Oliver-Bierhoff- und Philipp-Lahm-Klone aussehen, kein Arschgeigenalarm, kein Trottelauflauf. Die Atmosphäre könnte entspannter nicht sein. Nur sehr wenige schöne und klug aussehende Menschen sitzen hier und sehen konzentriert auf das dramatische Geschehen, das sich vor unseren Augen auf der Leinwand abspielt: die gehetzten Blicke, die Schweißperlen auf der Stirn des einen, der Zoom auf den weit aufgerissenen Mund des anderen. Der Schreck, der einem in diesen ganz speziellen Momenten schlagartig in die Glieder fährt. Die Spannung, die Verwirrung, die Verblüffung hie und da, das Erstaunen über die irrwitzigen Wendungen im Verlauf des Ganzen. Und irgendwann am Ende liegt da plötzlich einer, blutüberströmt, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Angeblich läuft in diesem Moment das Fußballspiel Deutschland gegen Ghana. Ich aber bekomme davon gar nichts mit. Denn ich bin dort, wo das erfreulicherweise kein Schwein interessiert. Ich sitze im Kino.
Thomas Blum

Konto- statt Spielstand

Wahre Dramen spielen sich im Verborgenen ab. Fernab von Brasilien, im Aufmerksamkeitsschatten des medial aufgeblähten Fifa-Turniers, geht es um Sein oder Nichtsein – und nicht um Petitessen wie Vorrundenaus oder Finaleinzug. Die Frage, die die Bewohner eines schmucklosen baskischen Industriestädtchens zuallererst bewegt: Bringt die Sociedad Deportiva Eibar bis zum 6. August, wie von der Liga gefordert, 2 146 525,95 Euro an Eigenkapital auf das Konto und darf damit in die Primera Division aufsteigen – oder versinkt die Fußballmannschaft trotz erspielter Erstklassigkeit in der Bedeutungslosigkeit der dritten Liga? Im Vergleich dazu erscheint das Ende von Tiki-Taka-Spanien als geradezu belanglose Episode; eine nächste Spielergeneration steht schließlich schon bereit und die soll sogar ganz gut sein. Das Aufstiegsdrama um die SD Eibar vermag einen auch aus der Ferne zu fesseln. Die Facebook-Meldungen über die Entwicklung des Kontostands lesen sich spannender als jeder WM-Ticker. Man fiebert mit. Baskisches Sommermärchen schlägt brasilianisches Milliardenspektakel.
Nick Lüthi