Die iranisch-saudischen Beziehungen und die Machtpolitik im Nahen Osten

Imperium im Ölkrieg

Um die iranisch-saudischen Beziehungen steht es gewohnt schlecht. Besonders was das Ölgeschäft betrifft.

Es ist wie ein Ritual: Keine Woche vergeht, ohne dass irgendein höherrangiger Funktionär der Islamischen Republik Iran sich bei einer Ansprache ausgiebig dem großen regionalen Rivalen Saudi-Arabien widmet. So warnte Amir Ali Hajizadeh, Kommandeur der Luftwaffe der Revolutionsgarden, am Pfingstmontag vor den Versuchen der Saudis und »bestimmter anderer arabischer Staaten«, die Sicherheitslage im Iran zu destabilisieren. Solche Bemerkungen zielen auf die Aktivitäten arabischer und belutschischer Aufständischer im Iran.
Zu den verschlungenen Wendungen nahöstlicher Machtpolitik gehört es, dass der Iran als jahrzehntelange erfolgreicher Terrorexporteur längst sein eigenes Terrorproblem mit sunnitischen Islamisten hat, die von interessierter Seite unterstützt werden. Ende April war es an Mohammad Pakpour, Befehlshaber der Landstreitkräfte der Revolutionsgarden, darauf hinzuweisen, dass Saudi-Arabien und andere Golfstaaten Terrorgruppen für den Angriff auf den Iran ausbildeten. Mitte April führte Generalmajor Yahya Rahim Safavi, Chefmilitärberater des Revolutionsführers Ali Khamenei, aus, dass die Saudis, angeleitet von Amerikanern und Zionisten, gegen den Iran vorgingen, um dessen positives Wirken in der Region zu stören. Der konkrete Anlass der Tirade des Iraners war ein Treffen der Organisation für islamische Zusammenarbeit in Istanbul, bei dem Saudi-Arabien dafür gesorgt hatte, dass im Abschlusskommunique der Hisbollah Unterstützung von Terrorismus und Destabilisierung der Region vorgeworfen und der Iran gemahnt wurde, die Souveränität seiner Nachbarstaaten zu respektieren. Mit Hilfe dieses Schachzuges versucht Saudi-Arabien nun, den Gegner im islamischen Lager diplomatisch zu isolieren; gerade haben so die unter wahhabitischen Einfluss gekommenen Malediven ihre diplomatischen Kontakte mit dem Iran abgebrochen.
Ein weiterer Tiefpunkt der iranisch-saudischen Beziehungen war das jüngste Opec-Treffen, bei dem die Saudis eine gemeinsame Förderbeschränkung zur Hebung des Ölpreises verhinderten. Saudi-Arabien beharrte auf einer Beteiligung der Iraner, die sich wiederum weigerten, ihre Förderung auf dem derzeitigen Stand einzufrieren, da sie ihre durch die langjährigen Sanktionen gedrosselten früheren Förderquoten noch nicht wieder erreicht hätten. Der regionale Dissens zwischen den beiden Anwärtern auf die Hegemonie im Nahen Osten gewann spätestens mit diesem Scheitern der Opec und dem historischen Tief des Ölpreises eine globale Bedeutung. Was das Ölgeschäft angeht, befinden sich beide Länder bereits im Krieg.
Überhaupt begann das Jahr 2016 in Hinblick auf die saudisch-iranischen Beziehungen denkbar schlecht. Der demonstrativen Hinrichtung eines prominenten schiitischen Klerikers in Saudi-Arabien folgte die geduldete Inbrandsetzung der saudischen Botschaft durch Demonstranten in Teheran und der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Saudis. Es war ein deutlicher Hinweis, dass nun von saudischer Seite im Zweifel keinerlei Mäßigung mehr zu erwarten ist, sollte der Iran nach dem Empfinden am Golf noch einmal einen Schritt zu weit gehen.
Das ist für den Iran eine mehr als ungemütliche Position, schließlich war es immer die außenpolitische Paraderolle der Islamischen Republik, als potentiell unberechenbarer Akteur aufzutreten, den alle anderen bittend und demütig zu beruhigen hatten. Doch der Iran ist nun selbst, auf dem Höhepunkt seiner imperialen Expansion, in die Defensive geraten. Das rhetorische Dauerfeuer von iranischen Rednertribünen gegen die Saudis ist ein Zeichen von Schwäche. Der in Syrien militärisch gebundene Iran muss aufpassen, den Saudis keinen weiteren Vorwand zu liefern, den Konflikt weiter zu eskalieren.
Abgesehen von der verfahrenen Lage in Syrien, stehen die Iraner auch im Irak und im Libanon unter Druck. Im Libanon haben die Golfländer unter Führung der Saudis begonnen, ihre Bankeinlagen und Stützungsgelder zurückzuziehen. Wenn Saudi-Arabien es will, ist der Libanon über Nacht bankrott. Der Iran wird es sich nicht leisten können, seinem Schützling Hisbollah auch noch den Libanon zu finanzieren. Im Irak wiederum regt sich unter der Führung des ehemaligen iranischen Günstlings Muqtada al-Sadr eine populäre Protestwelle gegen den Einfluss aus dem Nachbarland. Die Abertausenden schiitischen Demonstranten, die bei der Besetzung des Bagdader Regierungsviertels, der »Green Zone«, Ende April/Anfang Mai plötzlich antiiranische Sprechchöre skandierten, waren auch ein Gradmesser dafür, wie erfolgreich der Iran in den vergangenen Jahren war.
Mit der Herrschaft über den Irak, Syrien und den Libanon hat die Islamische Republik mehr erreicht, als sich ihre Gründer vermutlich jemals erträumt haben: die Kontrolle über das zentrale Gebiet des Nahen Osten bis hin zum Mittelmeer. Aber nun hängt alles das, mithin der gesamte Profit von über 30 Jahren expansiver Außenpolitik, am seidenen Faden der Herrschaft des so brutalen wie militärisch schwachen und uncharismatischen Diktators Bashar al-Assad. Das ist die für die syrische Bevölkerung besonders bittere Logik hinter der in der Region praktizierten Machtpolitik: Mit dem Verlust von Damaskus fiele der Traum vom iranischen Großreich in sich zusammen, und zwar von Bagdad bis Beirut, weil das Bindeglied plötzlich fehlte. Weswegen der Iran, seinem eingeübten Machtkalkül folgend, Assad bis zur letzten Patrone verteidigen muss.
Die Hybris dieses imperialen Unternehmens der Islamischen Republik hat sich bereits in markanten, quasi im präventiven Siegesrausch gefallenen Bemerkungen manifestiert, die dazu beigetragen haben, die Gegenkräfte propagandistisch zu mobilisieren. Da war etwa der Lapsus eines Beraters des iranischen Präsidenten Hassan Rohani, der im März 2015 den Irak zum Bestandteil der großen iranischen Zivilisation erklärte – und damit deutlichen Widerspruch von irakisch-schiitischer und damit zugleich arabischer Seite hervorrief. Es gibt schließlich unter den zahlreichen Konfliktfeldern der Region auch das eines nationalistischen, historisch aufgeladenen persisch-arabischen Antagonismus.
Auch die vielfach weitergetragene Äußerung eines iranischen Parlamentariers über das jemenitische Saana als vierte arabische Hauptstadt, die sich der iranischen Revolution anschlösse, klang für sunnitische Golfaraber wie eine Kriegserklärung. Im Jemen, am östlichen Ende der arabischen Halbinsel, wütet längst ein weiterer desaströser Krieg, bei dem Soldaten der Golfstaaten auf vom Iran unterstützte schiitische Kämpfer stoßen. Aus saudischer Sicht habe man, so erklärte der neue saudische Außenminister Adel al-Jubeir auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, auf das machtpolitische Vakuum in der Region einfach reagieren müssen.
Dass sich Saudi-Arabien und andere Staaten des Nahen Ostens mit dem amerikanischen Rückzug aus der Region nicht einfach dem iranischen Hegemonialanspruch ergeben würden, war allerdings voraussehbar. Das folgende Desaster auch. Wie ein friedlicher Ausgleich der einander ausschließenden Machtansprüche der verfeindeten Möchtegernhegemone aussehen könnte, ist unklar.