Das europäische Leistungsschutzgesetz soll kommen und das ist keine gute Nachricht

Google sagt danke

Die EU-Kommission hat einen Richtlinienentwurf »für das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt« auf den Weg gebracht. Die in Deutschland bereits geltende, weithin unbeliebte Gesetzgebung zum Leistungsschutzrecht soll nun europaweit gelten, sogar in verschärfter Form.
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Das Urheberrecht ist ein sprödes Thema. Es gilt als trocken, langweilig und komplex – nichts worüber man sich beim Friseur unterhalten würde. Eigentlich sollte man das aber, schließlich sind wir alle davon betroffen: wenn wir einen Link auf Facebook teilen, ein Foto auf Instagram veröffentlichen oder Youtube uns mal wieder lapidar mitteilt, der gewünschte Inhalt sei in unserem Land nicht verfügbar. Günther Oettinger, der EU-Kommissar für digitale Wirtschaft, hat nun einen Entwurf für eine Urheberrechtsreform vorgestellt. Der dient allerdings weder den Interessen der Medienkonsumenten noch denen der Urheber und macht das ohnehin verschachtelte Urheberrecht noch komplizierter. Größter Teil dieser Reform ist die Einführung eines sogenannten Leistungsschutzrechts, ähnlich wie es bereits seit 2013 in Deutschland existiert. Das klingt zunächst mal gut – Leistung soll sich schließlich lohnen –, betrifft aber ausschließlich Presseverleger. Wenn Google einen Link zu einem Zeitungsartikel mit einem sogenannten Snippet, einem kurzen »Ankündigungsschnipsel«, anzeigt, dann möchten die Verleger dafür Geld sehen. Das ist eine fragwürdige Idee, schließlich spült ein solcher Link ja Leser auf die Websites der Zeitungsverlage, die dort mit Werbeanzeigen oder Bezahlschranken Geld verdienen können. Es sollte also eigentlich im Interesse der Verlage sein, dass sich Links zu ihren Texten möglichst weit verbreiten. So weit scheinen die Verlage nicht zu denken, sie schielen eher auf die Milliardeneinnahmen der Internetkonzerne. Mit einer besseren Vergütung der eigentlichen Leistungserbringer, der Autoren und Journalisten, hat diese Regelung nichts zu tun. Für die deutschen Verlage ist die Einführung des Leistungsschutzrechts das Gegenteil einer Erfolgsgeschichte. Google listete alle Verlage, die auf Lizenzgebühren bestehen, einfach aus. Innerhalb kürzester Zeit schlossen die Verlage daraufhin Verträge mit Google, die der Suchmaschine erlaubt, die kurzen Texte weiterhin entgeltfrei anzuzeigen. Immerhin konnten die Presseverlage in drei Jahren über die VG Media 714 540 Euro an Lizenzgbühren von anderen Anbietern einsammeln, bei Verfahrenskosten von 3,3 Millionen Euro. Für etwas, das Google gratis bekommt, müssen hierzulande kleine Start-ups also zahlen – oder ihre Angebote zurechtstutzen wie zum Beispiel Rivva. Der Dienst listet Texte und Artikel auf, die in sozialen Medien besonders häufig verlinkt werden, und erlaubt einen Überblick, worüber im Netz gerade diskutiert wird. Seit 2013 zeigt er dabei keine Snippets mehr an und in vielen Fällen rätseln Nutzer, was sich hinter einem Link verbirgt. Dieses Leistungsschutzrecht, gegen das sich auch jenseits der Internetwirtschaft zahlreiche Organisationen vom Bundesverband der deutschen Industrie bis zur Jungen Union aussprechen, soll nun europäisches Recht werden. Und zwar in verschärfter Form. Betroffen wären nicht mehr nur noch Nachrichtenaggregatoren wie Google News, sondern auch Facebook und Twitter. Die Vorschau auf Artikel, die sie automatisch einfügen, sobald dort ein Link geteilt wird, würde nach der neuen Regelung ebenfalls lizenzpflichtig, und das gleich für 20 Jahre. So würde heute sogar Geld fällig, wenn jemand einen Link auf einen alten Artikel von 1996 auf Face­book teilt. Nun kann man durchaus der Auffassung sein, dass es nicht weiter schade ist, wenn die Internetgiganten einen Teil ihrer Milliardeneinnahmen weitergeben müssten, doch leider wird ein europäisches Leistungsschutzrecht diese Konzerne eher stärken. Wie Google in Deutschland vorgeführt hat, haben sie entweder die Macht, die kostenlose Nutzung von Snippets zu erzwingen oder wenigstens das Geld, die Verlage zu bezahlen. Für kleine Internet-Start-ups in Europa gilt das nicht. Für sie wird es in Zukunft noch schwieriger, den Großen Konkurrenz zu machen. Und auch für private Endnutzer könnte die Reform teuer werden: Dem Entwurf fehlt eine Einschränkung auf kommerzielle Anbieter. Nach neuem Recht könnten also auch Privatleute für das Setzen von Links zur Kasse gebeten oder abgemahnt werden. Es ist zu erwarten, dass das Internet ärmer wird an Links, Vernetzung und Austausch von Inhalten und stärker dominiert von den großen Konzernen und Medienhäusern. Das geplante Leistungsschutzrecht erzeugt international derart heftige Proteste, dass leicht in Vergessenheit gerät, was die neue Richtlinie zum Urheberrecht sonst noch alles regeln soll. In den EU-Staaten funktioniert das Urheberrecht so, dass ein Autor, Fotograf, Filmemacher oder Musiker das alleinige Recht hat, über Veröffentlichungen seiner Werke zu entscheiden. Dieses Recht kennt zahlreiche Einschränkungen und Ausnahmen: So ist es unter anderem erlaubt, private Kopien zu erstellen, Passagen in wissenschaftlichen Arbeiten zu zitieren, Inhalte im Schulunterricht zu verwenden. Wie diese Ausnahmen genau aussehen, ist aber in jedem EU-Land unterschiedlich. In Slowenien ist etwa nicht gestattet, zu Zwecken der Kritik oder Besprechung eines Werkes Stücke daraus zu zitieren. In Italien dürfen Medien nicht für religiöse Feierlichkeiten verwendet werden. In Griechenland darf nichts zu Zwecken von Parodie und Karikatur kopiert werden. In Schweden ist es nicht möglich, urheberrechtlich geschützte Inhalte für Handbücher und Reparaturanleitungen zu nutzen. Und in Frankreich ist es nicht gestattet, Architekturfotos ohne Genehmigung des Architekten zu veröffentlichen. Letzteres ist Urlaubern selten bekannt. Die gewohnte Panoramafreiheit, die grundsätzlich erlaubt, alles zu fotografieren, was im öffentlichen Raum sichtbar ist, gilt nicht in allen EU-Staaten. Das war kein Problem, solange die Bilder in Fotoalben verschwanden. Wer jedoch ein selbstgemachtes Foto vom Brüsseler Atomium auf Instagram veröffentlicht, begeht eine Urheberrechtsverletzung. Ähnliches würde für den Pariser Eiffelturm gelten, wäre dessen Schutz nicht bereits 1993 abgelaufen. In die Falle tappen kann man da als Hobbyfotograf trotzdem: Wird der Eiffelturm gerade illuminiert, so ist die Lichtinstallation als Kunstwerk urheberrechtlich geschützt. Seit Jahren verlangen Experten deshalb, die Panoramafreiheit auf die ganze EU auszudehnen. Die Reform vergibt nicht nur diese Chance. Eine weitere wäre die Abschaffung des Geoblocking, besser bekannt durch den Satz: »Dieser Inhalt ist in Ihrem Land nicht verfügbar.« Wer in Deutschland die Netflix-Serie »House of Cards« sehen möchte, wartet ein Jahr länger als in anderen Ländern. Wer im Ausland Sendungen aus den Internet-Mediatheken des Heimatlandes sehen möchte, schaut meist auf einen schwarzen Bildschirm. Das liegt daran, dass die Rechteinhaber die Ausstrahlungsrechte immer nur für einzelne Länder gewähren, was so gar nicht zur eigentlich in der EU geltenden Freizügigkeit von Waren und Dienstleistungen passt. Hier geht die Reform einen winzigen Schritt: Privilegien für Fernsehsender beim Ausstrahlen via Kabel und Satellit sollen künftig auch fürs Senden übers Internet gelten. Klingt gut, betrifft aber nicht die vielen anderen Streaming-Anbieter. Von freiem Internet und einem digitalen Binnenmarkt kann weiterhin nicht die Rede sein. Tweets und seltsame Äußerungen von Günther Oettinger bei der Präsentation seines Entwurfs lassen etliche Beobachter vermuten, dass der Digital-Kommissar das Internet einfach nicht verstanden hat. Dabei waren ihm Forderungen wie Panoramafreiheit, Abschaffung des Geoblocking und Vereinheitlichung des Urheberrechts mit Sicherheit bekannt. Sie stehen nämlich in einem Bericht, den Julia Reda, Europaabgeordnete der Piratenpartei, im Auftrag des EU-Parlamentes angefertigt hat. Ihr Report stützt sich inhaltlich unter anderem auf eine Umfrage, in der eine halbe Million EU-Bürger ihre Wünsche geäußert haben, und fand die Zustimmung des zuständigen Fachausschusses. Dass die Kommission das Parlament ignoriert, ist für viele Parlamentarierer ein Affront. Ob deshalb neu verhandelt werden muss oder die Kommission sich mit ihrer Reform durchsetzten kann, hängt vom Europäischen Rat ab. Und da unterstützt unter anderem Deutschland Oettingers Entwurf. Der hat in einem Punkt vielleicht doch sein Gutes: Autoren und andere Urheber können in Zukunft nachträglich ein höheres Honorar verlangen, wenn ein Verlag viel Geld mit einem Werk verdient und ein Autor unterdurchschnittlich bezahlt wurde. Allerdings ist das eine Kann-Bestimmung. Das heißt: Die Mitgliedsstaaten können das rechtlich umsetzen, müssen es aber nicht.