Der vermeintliche Skandal um Berliner »Partypolizisten« in Hamburg

Lieber Sex als Prügelorgien

Berliner Polizisten haben sich in Hamburg wie Touristen am Ballermann verhalten. Empören sollte man sich lieber über Gewaltexzesse.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erntete viel Kritik, als er die Ausrichtung des G20-Gipfels mit dem alljährlichen Trubel beim Hafengeburtstag verglich. Angehörige einer zum Gipfel­einsatz beorderten Polizeieinheit aus Berlin allerdings verstanden das offenbar als Aufforderung und benahmen sich exakt so, wie es die Hamburger von ihren Partymeilen kennen: Bei einer Geburtstagsfeier in der Unterkunft soffen sie kräftig, pinkelten in die Gegend und betrugen sich allgemein ungehörig. Unter anderem wird von Sex in der Öffentlichkeit und einer Schlägerei mit Kollegen einer anderen Einheit berichtet.

Die vorherigen Bewohner des Containerdorfs – Flüchtlinge – hätten vermutlich nicht mit so viel öffentlicher Belustigung und augenzwinkerndem Verständnis rechnen können, hätten sie sich ähnlich ausgelebt wie die »Party-Polizisten«. Berliner Clubs boten den Beamten gar Plätze auf ihrer Gästeliste an, und überhaupt klingt die ganze Geschichte fast wie eine PR-Aktion unter dem Motto »Polizisten sind auch nur Menschen«.

Was es an einem Auftritt im Stil eines Junggesellenabschieds am Ballermann zu bejubeln gibt, sei dahingestellt. Tatsächlich aber gibt es eine Menge skandalösere Dinge, die man der Polizei vorwerfen könnte. Zum Beispiel besagter Berliner Einheit: Die wurde gleich nach ihrer Abberufung in die Heimat zur Strafarbeit, pardon: zur Räumung des linken Veranstaltungszentrums »Friedel 54« ­geschickt, und die Beamten ließen die Demonstranten ihre schlechte Laune deutlich spüren.

Medien berichten, wer will es ihnen verdenken, meist lieber über Sex- als über Prügelorgien, und dass Gesetzeshüter sich jemals falsch oder gar selbst gesetzwidrig verhalten könnten, scheint für viele Redakteure nicht vorstellbar. Daher sind etwa die Verdächtigungen gegen Angehörige der NSU-Opfer »Ermittlungspannen« und nicht etwa ein Polizeiskandal. Dass immer wieder Beamte mit Sympathien für rechtes Gedankengut auffällig werden, löst auch keine größere Aufregung aus. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Recherchen der Taz zufolge seit 1990 in Deutschland mindestens 269 Menschen – oft psychisch Kranke, die mit Küchenmessern oder ähnlichem herumfuchtelten – durch Polizeikugeln starben. Und noch weniger kritische Berichterstattung wurde der kürzlich beschlossenen Strafverschärfung für Angriffe auf Einsatzkräfte zuteil, die in erster Linie den erfolgreiche Abschluss einer langjährigen Kampagne der Polizeigewerkschaften darstellt und den Spielraum für willkürliches Verhalten ihrer Mitglieder noch einmal erheblich ausweitet.

Der G20-Gipfel ist das erste Großereignis nach dem Inkrafttreten dieser Lex Polizei. Da passt es nur zu gut, dass dafür mit Hartmut Dudde ein Einsatzleiter gefunden wurde, der in Hamburg als Eskalationsexperte bekannt ist. Ganz auf dieser Linie räumte die Polizei bereits in der Nacht zum Montag ein Protestcamp und setzte sich damit über einen Gerichtsbeschluss hinweg, ehe die Richter in ­einer zweiten Entscheidung auf die Auffassung der Polizei einschwenkten. Die hat mit der Aktion deutlich gemacht, dass öffentliches Urinieren wohl nicht als das Skandalöseste in Erinnerung bleiben wird, das sich die Staatsmacht zum Gipfel leistet. Für die Gegendemonstranten dürfte es alles andere als ein Hafengeburtstag werden.