Die türkische Regierung streitet mit den USA

Diplomatie mit Handschellen

Der Streit zwischen der türkischen und der US-Regierung hat sich weiter zugespitzt. Wer dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht passt, wird weggesperrt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verkauft sich gerne als Antiimperialist mit Hand und Herz. Der mittlerweile beigelegte jahrelange Streit mit Israel und die derzeitigen Querelen mit Deutschland passen ins Bild. Eine ähnliche Fehde hat er mit der US-Regierung. Diese hat zu einem wechselseitigen Visastreit geführt, der in der Geschichte der Diplomatie wohl einzigartig sein dürfte.

Eine gute Woche vor einem Besuch Erdoğans in Teheran wurde Metin Topuz, ein türkischer Mitarbeiter des US-Konsulats in Istanbul, unter Terrorverdacht festgenommen. Regierungsnahe Medien präsentierten die Festnahme sofort als Beweis für die Verwicklung der USA in den Putschversuch vom 15. Juli 2016. Topuz arbeitet seit 30 Jahren als Dolmetscher, vorwiegend für das Auslandsbüro der Drug Enforcement Administration (DEA). Auch seine Frau und sein Sohn wurden festgenommen. Erstere soll ein Bankkonto bei der Asya Bank gehabt haben. Die Bank stand der Bewegung Fethullah Gülens nah. Außerdem hatte Topuz Verbindungen mit Staatsanwälten, die die türkischen Behörden mittlerweile ebenfalls der Gülen-Sekte zurechnen. Für einen Mitarbeiter der DEA dürften allerdings Kontakt zur türkischen Justiz nicht ungewöhnlich sein. Topuz wird unter anderem Umsturzversuch und Spionage vorgeworfen.

Im März wurde bereits ein anderer Mitarbeiter des Konsulats, Hamza Uluçay, inhaftiert. Zu dessen Aufgaben gehörte es, Treffen zwischen US-Diplomaten und kurdischen Politikern zu arrangieren. Türkischen Medienberichten zufolge hat die Staatsanwaltschaft noch einen dritten »Spion« im US-Konsulat »festgestellt«. Dieser nur mit den Initialen N. M. C. genannte Mitarbeiter soll sich weiter im Konsulat aufhalten, obwohl er mit Haftbefehl gesucht werde. Der US-Botschafter John R. Bass bestritt, dass jemand in den Räumen des Konsulats versteckt werde. Nach der Festnahme von Topuz wollte Bass beim türkischen Justizminister vorsprechen, der ihn aber nicht empfing. Außerdem erfuhr Bass weder die genauen Gründe der Festnahme, noch wurde seiner Bitte entsprochen, einen Anwalt zu Topuz zu lassen.

Die USA reagierten mit der Aussetzung aller Visaausstellungen mit Ausnahme von Einwanderungsvisa. Nur Stunden später folgte eine wortgleiche Erklärung aus Ankara. Damit wurden alle US-Bürger, abgesehen von Einwanderern, von der Türkei ausgesperrt.
Erdoğan beschuldigte Bass, auf eigene Faust die Visasperre angeordnet zu haben. Er behauptete, die beschuldigten Mitarbeiter des Konsulats seien Agenten der Gülen-Bewegung, und fragte rhetorisch: »Wie sind diese Agenten in das Generalkonsulat eingesickert? Wenn sie nicht eingesickert sind, wer hat sie dann dort platziert?« Außerdem stimme der Vorwurf der fehlenden anwaltlichen Betreuung nicht. Niemand habe Topuz sprechen wollen, weder jemand von seiner Familie noch ein Anwalt. In einer Erklärung der Anwaltschaft klang das Dementi etwas anders. Demnach sei sogar bei Topuz’ Verhör ein Anwalt dabeigewesen.

Erdoğan mag gehofft haben, den Visastreit mit dem planmäßigen Ende von Bass’ Amtszeit am vergangenen Wochenende beenden zu können. Die USA zeigten sich aber vorerst nicht bereit, auf den Vorschlag der Türkei einzugehen, eine gemeinsame Kommission zu berufen, die die Visafrage klären soll. Dabei ist der Visaboykott für die USA durchaus ein Problem. Das Pentagon teilte zwar rasch mit, sein Personal und seine Operationen in der Region seien nicht betroffen, doch das ist zweifelhaft. Der ehemalige US-Botschafter in Ankara, James Jeffrey, brachte auch die Befürchtung zum Ausdruck, der Konflikt könne sich weiter zuspitzen und die geostrategische Partnerschaft beider Länder beenden. Dank US-Präsident Donald Trumps chaotischer Konfrontation mit dem Iran brauchen die USA diese im Moment noch nötiger als zuvor.
Tatsächlich rückt Erdoğan politisch immer enger an den Iran und Russland. Mit dem Iran hat die Türkei das »Kurdenproblem« gemeinsam. Der russische Präsident Wladimir Putin braucht die Türkei als sunnitischen Partner, um Syrien zu befrieden. Erdoğan kann nur mit Hilfe Russlands und des Iran in Syrien effektiv Einfluss ausüben. Besonders glücklich dürfte Erdoğan über ein Bündnis, das ihn wieder an die Seite des syrischen Diktators Bashar al-Assad bringt, nicht sein, doch er sieht keine andere Möglichkeit, insbesondere wegen der Kurden.
Die Liste der ernsten Konflikte mit den USA ist lang: Da sind die Unterstützung der syrisch-kurdischen YPG, eine Schwesterorganisation der PKK, und die Nichtauslieferung des Sektenführers Gülen, den Erdoğan für den Putschversuch vor einem Jahr verantwortlich macht.

Zu Erdoğans Entsetzen hat der umtriebige US-Staatsanwalt Preet Bharara im März 2016 zudem den iranisch-türkischen Geschäftsmann Reza Zarrab verhaften lassen. Dieser wurde im Dezember 2013 in der Türkei zusammen mit den Söhnen von Erdoğans Innen- und Wirtschaftsminister wegen Bestechung und Schmuggel festgenommen. Zwei Monate später kam er nach politischer Einmischung frei, das Verfahren verlief im Sande. Unter anderem soll Zarrab einem von Erdoğans Ehefrau Emine geleiteten Wohltätigkeitsverein 4,5 Millionen US-Dollar gespendet haben. Bharara wirft dem Geschäftsmann den Bruch des Iran-Embargos und Bestechung vor. Das Verfahren rührt nun an die nie aufgeklärten Korruptionsvorwürfe vom Dezember 2013. Erdoğans Darstellung zufolge war die Affäre, in die auch er selbst und sein Sohn Bilal verwickelt waren, lediglich eine Inszenierung der Gülen-Leute in der Justiz. Ein weiterer Konfliktpunkt ist der in den USA geführte Prozess gegen Leibwächter Erdo­ğans, die bei dessen Besuch im Frühjahr auf kurdische Demonstrierende eingeschlagen haben sollen.
Es ist denkbar, dass sich die USA tatsächlich des Netzwerks der Gülen-Sekte bedient haben. Gülens Staatsanwälte brachten die Umgehung des Iran-Embargos via Türkei und die Waffenlieferungen für den »Islamischen Staat« (IS) ans Licht. Davor hatten sie für Erdoğan gearbeitet, indem sie eine Reihe von Komplotten gegen ihn erfanden, um potentielle Gegner hinter Gitter zu bringen. Es ist allerdings höchst unwahrscheinlich, dass sich die USA für Kontakte mit Gülen-Leuten der türkischen Mitarbeiter ihres Konsulats bedienten. Schließlich lebt Fethullah Gülen in den USA – da sollte es diskretere Möglichkeiten geben.

Erdoğan zeigt seinen innen­politischen Gegnern, dass sie nicht auf internationale Hilfe bauen können, wenn nicht einmal die USA ihre Leute freibekommen.


Trotz aller Konflikte bleibt Erdoğans Verhältnis zu den USA zwiespältig. Weder wurde der US-Stützpunkt İncirlik geschlossen, noch ein Austritt aus der Nato angedroht. Erdoğan reist weiter gerne zu Trump, ohne dessen Einreiseverbot für Personen aus anderen islamischen Länder je kritisiert zu haben. Eine Journalistin verlor ihre Anstellung beim staatlichen Fernsehen, weil sie erzählt hatte, Erdoğans erstes Treffen mit Trump habe lediglich 23 Minuten gedauert. Von einem wirklichen Bruch mit den USA ist der türkische Präsident weit entfernt.
Was will er dann? Wahrscheinlich ist seine Fehde mit den USA großenteils innenpolitisch motiviert. Sie kommt bei seinen Anhängerinnen und Anhängern gut an. Außerdem zeigt er seinen innenpolitischen Gegnern, dass sie nicht auf internationale Hilfe bauen können, wenn nicht einmal die USA ihre Leute frei bekommen. Erdoğan könnte auch auf einen Handel hoffen, etwa die Freilassung Zarrabs oder die Auslieferung Gülens.

Doch dazu bräuchte er stärkere Druckmittel. Derweil kann er weiterhin ruhig nach Washington reisen und im eigenen Land den Eindruck erwecken, die USA stünden hinter einem Putschversuch, bei dem er ermordet werden sollte. Vor zwei Jahren bestätigte Erdoğan indirekt Zeitungsmeldungen, wonach seine Tochter Sümeyye im Auftrag Israels und der USA ermordet werden sollte. Gegen zwei Staatsanwälte, die dies bezweifelten, wurde sofort eine Untersuchung eingeleitet. Auf die Beziehungen mit den beiden Ländern hatte die Affäre keinen Einfluss. Wenn man die Medien auf seiner Seite hat, kann man nicht nur mit Unwahrheiten, sondern auch mit zwei Wahrheiten gleichzeitig leben. Personen, die einen darauf vor laufender Kamera ansprechen könnten, sperrt man einfach weg.