Nationalitisches Ressentiment lässt sich nicht domestizieren

Volksherrschaft versus Rechtsstaat

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Die explosive Stimmung, die diese Gesellschaft in den Abgrund zu reißen droht, wurde im Miniaturformat in der Debatte um die Essener Tafel sichtbar, die Nichtdeutschen den ­Zutritt verweigerte. Drei brandgefährliche Entwicklungen vermengen sich miteinander.

Erstens spuckt das Kapital immer mehr Arme und Entwürdigte aus. Zweitens tun Staat und Politik kaum etwas dagegen. Drittens begehren die Betroffenen nicht etwa gegen die Zustände auf, sondern treten mit Füßen gegen die, die nicht »zu uns« gehören. Der teils noch uneingestandene, zu­sehends aber schamlos offen artikulierte Hass gegen »die anderen« ist stärker als der Wunsch, die Ursachen von Armut und Entwürdigung zu beseitigen. Zwei Drittel der Deutschen bekundeten »Verständnis« für die nationalistische ­Entscheidung der Essener Tafel und auch in den politischen und intellektuellen Eliten häufen sich seitdem die menschenfeindlichen Töne. Anders als Yascha Mounk meint, lässt sich das ­Ressentiment eben nicht domestizieren. Was ­gestern noch »Patriotismus« war, heißt heute schon Vorrecht der »angestammt Berechtigten« (Alexander Dobrindt) und entpuppt sich morgen als glühender Fremdenhass.

Zum Glück bringt die bürgerliche Gesellschaft auch anderes hervor. Ihr »frei und gleich« steht eben nicht nur für den Krieg aller gegen alle. Noch jede Emanzipationsbewegung hat sich ­darauf berufen und bewies damit, dass darin auch der Anspruch angelegt ist, kein Mensch möge über einem anderen stehen oder Angst davor haben, verschieden zu sein. Forderungen, die letztendlich über diese Gesellschaft selbst hinausweisen. »Rechtspopulisten«, Halb- und Ganzfaschisten wissen jedenfalls genau, warum sie gegen diesen ­Anspruch Sturm laufen. Die alte BRD erlebte zumindest zwei Zivilisierungsschübe, deren Ausbleiben in der DDR sich heute besonders schmerzlich ­bemerkbar macht: Reeducation und Achtundsechziger-Bewegung – nicht ­zufällig Feindbild von AfD, Pegida & Co. Und wenn jede Menge Tafeln keinen rassistischen Ausschluss betreiben, so verweist auch das auf ein nach wie vor großes Potential gegen die faschistische Gefahr.

Doch diejenigen, die an menschlicher Emanzipation festhalten, bieten derzeit kein ermutigendes Bild. Die einen ignorieren die Diktatur der Ökonomie und verlieren sich und ihr Ziel im realpolitischem Gestrüpp. Andere ergehen sich in hohlem Revolutionsgeschwätz. Nicht wenige zeigen sich anfällig für allerlei Querfrontlerisches. Manchem verbaut ein obsessiver Tunnelblick auf den Islam die Sicht auf den anschwellenden Faschismus, der aus der Mehrheitsgesellschaft erwächst. Gut meinende Antifaschisten wiederum verwechseln Kritik an religiösem Fanatismus und Mackertum mit Rassismus. Antisemitismus und regressiven Antikapitalismus haben die wenigsten verstanden. Wer dagegen eine einigermaßen treffende Analyse hat, zuckt in Sachen realisierbare Alternativen hilflos die Schultern und kommt bestenfalls über den Verweis auf rudimentäre Abwehrkämpfe nicht hinaus.

Die wichtigste praktische Interventionsmöglichkeit bleibt die Verbreitung von Kritik. Denn ob sich das emanzipatorische oder das faschistische Potential durchsetzt, hängt wesentlich davon ab, dass diejenigen, die eine humane Welt wollen, ihr großes Defizit überwinden: Sie müssen lernen, über den ­Horizont der warenproduzierenden Gesellschaft hinauszuschauen. Ohne ­Verständnis für die Ursachen der Krise kommt man nicht aus ihr heraus. Für die Kritikerinnen empfiehlt sich im Gegenzug weniger Arroganz gegenüber Leuten, die nach praktischen Auswegen suchen. Lohnender wäre allemal ­gegenseitiges Interesse. Der Ausgang ist offen.