Gegen den israelischen Ministerpräsidenten wird wegen Korruption ermittelt

Bibi sprengt die Party

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Die Lage für Netanyahu in all diesen Fällen ist vor allem deshalb brenzlig, weil sich einige frühere Vertraute des Ministerpräsidenten inzwischen als Zeugen der Anklage zur Verfügung gestellt haben. Dazu gehören der ehe­malige Stabschef des Ministerpräsidenten, Ari Harow, und der ehemalige ­Generaldirektor des Kommunikationsministeriums, Shlomo Filber, in den Fällen 1 000 und 2 000 sowie der ehemalige Medienberater Netanyahus, Nir Hefetz, im Fall 4 000. Michael Ganor hat im Fall 3 000 umfassende Aussagen gemacht. Die genauen Inhalte dieser Aussagen sind nicht bekannt, doch aufgrund der Nähe der Zeugen zu Netanyahu könnten sie äußerst heikel sein. Die Entscheidung, ob gegen Netanyahu tatsächlich Anklage erhoben wird, liegt nun bei Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit.

Im Netanyahu nicht wohlgesinnten Teil der israelischen Medien werden die Affären mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen kommentiert. Yossi Verter etwa konstatierte in der Tageszeitung Haaretz eine »Kombination aus Korruption, Herrschsucht und Erdoğan’scher Attitüde« beim Ministerpräsidenten. Die Amtsführung Netanyahus nehme inzwischen spätabsolutistische Züge an. Wichtige Positi­onen würden statt mit fähigen Politikern mit Lakaien besetzt, deren Hauptaufgabe es sei, jede Kritik an ihrem Chef abzuwenden. Netanyahu habe vor allem ein obsessives Bedürfnis entwickelt, die Medien zu kontrollieren. Es ist daher wohl auch kein Zufall, dass zwei der Korruptionsfälle genau damit zu tun haben.

Eine wichtige Rolle spielt bei alledem die Familie des Ministerpräsidenten. Seine Frau Sara ist selbst in Skandale verwickelt, bei denen es um Vorwürfe der Veruntreuung öffentlicher Gelder für private Zwecke und die miserable Behandlung des Personals in ihrer Residenz geht. Der älteste Sohn, Yair, wurde dabei erwischt, wie er sich mit Freunden in einem Regierungsfahrzeug zu verschiedenen Stripclubs fahren ließ. Inzwischen geht die Polizei auch dem Verdacht nach, dass einer Richterin der Posten der Generalstaatsanwältin angeboten wurde, wenn sie dafür die Untersuchungen gegen Sara Netanyahu einstellt.
Gleich zu Beginn seiner derzeitigen Amtszeit hatte Netanyahu in zwei wichtigen Ämtern, dem des Generalstaatsanwalts und dem des Leiters der israelischen Polizei, Personen seines Vertrauens platziert, wohl in der Hoffnung, sich und seine Familie vor Ermittlungen zu schützen. Doch mittlerweile hat sich Polizeichef Roni Alscheikh als ­unbestechlicher Ermittler erwiesen und Generalstaatsanwalt Mandelblit ist ebenfalls nicht bereit, die Vorwürfe einfach ad acta zu legen.

Aus diesem Grund greift der Ministerpräsident nun zu einer anderen Strategie: Es sind Neuwahlen im Gespräch. Während des Wahlkampfs, so das Kalkül, werde der Generalstaatsanwalt keine Entscheidung über eine ­Anklage gegen Netanyahu treffen, um sich nicht dem Vorwurf der Partei­lichkeit auszusetzen. Nach dem zu erwartenden Wahlsieg für Netanyahus Likud werde er es sich schon gar nicht trauen. Da jedoch die meisten anderen Koalitionsparteien an Neuwahlen ganz und gar nicht interessiert ist, braucht es einen Anlass, die Koalition zu sprengen.

Der erste Versuch, ein Gesetz, das Yeshiva-Studenten wieder vom Militärdienst ausnehmen würde und für die säkulare Partei Yisrael Beitenu (Unser Zuhause Israel) inakzeptabel gewesen wäre, wurde gerade noch rechtzeitig entschärft. Der zweite Versuch könnte gelingen: Ein Gesetz soll eingebracht werden, das dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, verfassungswidrige Gesetze zu kassieren. Hier hat sich die Partei Kulanu (Wir alle) festgelegt, dass sie dem nicht zustimmen kann. Wann immer Netanyahu es für günstig hält, kann er das Gesetz nun einbringen und damit den Bruch der Koalition provozieren.

Vor diesem Hintergrund kann dessen Coup bei den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag als Wahlkampf verstanden werden. Netanyahu möchte den Eindruck vermitteln, dass mit seiner persönlichen Zukunft auch die Zukunft des Landes auf dem Spiel stehe. Dazu passt, dass die Hamas mit ihren militanten Protestaktionen in Gaza und der Iran, der sich in Syrien festsetzt, das Thema der Sicherheit wieder in den Mittelpunkt gerückt haben. In einem etwaigen Wahlkampf könnte dieses Thema alle anderen an den Rand drängen.