Ein Rapper mit islamisch-fundamentalistischen Tendenzen soll im Pariser Bataclan auftreten

Jihad im Bataclan

Seite 2

Unterdessen versuchen die Opferverbände von Angehörigen und Überlebenden des 13. November 2015, sich weitestgehend herauszuhalten. Die Vereinigung Life for Paris, die rund 700 Überlebende und Hinterbliebene vertritt, teilte mit, man verwahre sich gegen jegliche politische Instrumentalisierung der Opfer. Ansonsten sei der Konzertsaal völlig frei in seiner Programmgestaltung, bei eventuellen Rechtsverstößen solle die Polizei reagieren. Emmanuel Domenech, ein Überlebender, der bis vor kurzem der Vereinigung 13 onze 15 vorstand, äußerte sich auf Twitter so: »Man spricht in un­serem Namen. Ich habe keine Meinung zum Thema, ich habe diesen Rapper nie gehört. Aber diese Poli­tiker haben 99 Prozent des Jahres über keinerlei Interesse für die Opfer übrig, und nun bauschen sie diese Affäre in den Medien auf. Man soll die Opfer in Ruhe lassen!«

Was sind die problematisierten Botschaften des Rappers? Seinen Texten ist eine durchaus unterhaltsame Doppeldeutigkeit zu eigen, die es dem Interpreten nicht leicht macht, den Musiker auf eine Aus­sage festzulegen. Andererseits trägt eines seiner frühen Alben den vielsagenden Titel »Jihad«; auf dem Cover zeigt sich der Sänger mit Krummsäbel auf dem T-Shirt. Im Online-Magazin Slate schreibt der Musikkritiker Genono, Médine sei »ein Rapper, der stets mit der doppelten Bedeutung spiele«. Das führe dazu, »dass diejenigen ihn richtig verstehen, die ihn verstehen wollen, und bei den anderen (sei er) verrufen«. Weiter heißt es: »Wenn du ein Rapalbum Jihad nennst, dann musst du wissen, dass ein rechtsextremer Wähler nur auf die Gelegenheit wartet, dich als Islamisten einzustufen.« Slate bezeichnet die derzeitige Auseinandersetzung daher als »Polemik von Denkfaulen (die wenig Ahnung vom Rap haben)«. Über den Jihad rappte Médine in seinem Song von 2005 so: »Der größte Kampf richtet sich gegen dich selbst.« Damit ist die spirituelle Dimension des Jihad angesprochen, auf die sich der Rapper beruft.

Anfang 2014 verteidigte Médine Dieudonné M’bala M’bala und Kémi Séba, die wegen antisemitischer Aussagen kritisiert wurden.

Einerseits versucht Médine also Aufmerksamkeit durch symbolische Provokationen zu erregen, andererseits bedient er aber durchaus reaktionäre Affekte. Wiederholt vertrat er die Auffassung, die französische Republik behandele Leute wie ihn schlecht, weil sie Muslime sind. Deshalb gelte es, eine eigene politische und religiöse Identität zu bewahren und zu verteidigen. Entsprechende Botschaften veröffentlichte er zeitweilig auch bei der in seiner Herkunftsstadt ansässigen Vereinigung Havre de Savoir, die den Muslimbrüdern nahesteht, und trat gemeinsam mit dem der Vereinigung ebenfalls nahestehenden Islamwissenschaftler Tariq Ramadan auf.

Auf die Solidaritätsbekundungen mit der Redaktion von Charlie Hebdo, die am 7. Januar 2015 Opfer eines ­islamistischen Terroranschlags wurde, reagierte der Rapper mit dem Song »Don’t laïc«. Er spielt darin nicht nur auf das »Liken« in den sozialen Medien an, sondern auch auf den Begriff laïc (sinngemäß für säkular). Darin reimte er an einer Stelle: »Die laïcards, man muss sie kreuzigen wie auf Golgotha.« Der Begriff laïcards wird in der politischen Debatte oft abwertend benutzt; in der Regel für die Vertreter eines autoritären staatsoffiziellen Laizismus, der nicht nur Religionen und Staat trennen, sondern von Staats wegen religiöse Äußerungen aus – bestimmten oder allen – gesellschaftlichen Sphären zu verbannen versucht. Bei einer Debatte über Rapmusik an der Hochschule Ecole normale supérieure (ENS) räumte Médine 2017 ein, er habe überzogen. Er habe eine Debatte auslösen wollen, es seien stattdessen aber »eiserne Vorgänge herunter­gegangen«, weshalb er sein Ziel verfehlt habe. Er habe eigentlich nur spiegeln wollen, wie aggressiv die Karikaturen von Charlie Hebdo auf gläubige Muslime wirkten.

Anfang 2014 verteidigte Médine Dieudonné M’bala M’bala und Kémi Séba, die wegen antisemitischer Aussagen kritisiert wurden. Dieudonné hatte bereits seit 2003 eine Opferkonkurrenz zwischen Schwarzen als Opfer von Sklaverei und Kolonialismus und Juden als vermeintlich überprivilegierten Opfer behauptet und sich später weiter radikalisiert. Einige Monate später bedauerte Médine seine Solidaritätserklärung und sagte, er schätze Dieudonné als Satiriker, werfe ihm jedoch vor, »Doppeldeutigkeit« zu pflegen und Hassdiskurse zu schüren. Dies geht aus einem Video von Ende 2014 hervor, das die konservative Tageszeitung Le Figaro am 12. Juni auf ihre Website stellte. In demselben Video ermahnt er junge französische Muslime, sie dürften sich nicht in einer »Opferhaltung« einrichten, auch nicht unter Berufung darauf, dass die Mehrheitsgesellschaft eben »islamphob« sei.

An anderer Stelle äußerte sich Médine dann weniger aufgeklärt. In einem Video, das eine LGTB-Verei­nigung kürzlich veröffentlichte, schimpfte er: »Assimilation, was ist das? Das bedeutet, seine ethnische, soziale und religiöse Herkunft abzulegen. Dass du ein Light-Muslim wirst oder ein Afrikaner, der sich die krausen Haare glättet, der ein bisschen den Schwuli gibt.«