Der erfolgreichste Israeli bei Fußballweltmeisterschaften ist ein Schiedsrichter

Pionier mit Pfeife

Der erfolgreichste Fußball-WM-Teilnehmer Israels ist kein Spieler, sondern ein Schiedsrichter. Während sich das Nationalteam bislang nur einmal für die Weltmeisterschaft qualifizieren konnte, kam Abraham Klein gleich bei drei Turnieren zum Einsatz. Zweimal war er sogar als Schiedsrichter für das Finale im Gespräch. Dass es dazu nicht kam und er zudem eine vierte Endrunde verpasste, hatte auch politische Gründe.

Jeder Israeli, der sich für Fußball interessiert, kennt Mordechai Spiegler. Wohl kein anderer Kicker hat im Land je eine solche Popularität erlangt wie der heute 73jährige, zumal er etwas Außergewöhnliches geschafft hat: Er ist der bislang einzige israelische Torschütze bei einer Fußballweltmeisterschaft. Beim Turnier 1970 ­in Mexiko gelang ihm dieser Coup, im Gruppenspiel gegen Schweden, das 1:1 endete. »Es waren 25 Meter, ein starker Rückenwind, und das Tor muss in Richtung Jerusalem gestanden haben«, kommentierte Spiegler später seinen historischen Treffer. In ihren anderen beiden Begegnungen – beim 0:2 gegen den späteren WM-Vierten Uruguay und beim 0:0 gegen die Italiener, die schließlich Vizeweltmeister wurden – war den ­Israelis kein weiteres Tor vergönnt, weshalb sie nach der Vorrunde die Heimreise antreten mussten. Seitdem haben sie sich nie wieder für eine Weltmeisterschaft qualifiziert.

Dennoch ist nicht Mordechai Spiegler der erfolgreichste israelische WM-Teilnehmer, sondern ein Schiedsrichter, nämlich Abraham Klein. Auch mit seinem Namen sind Fußballfans im jüdischen Staat noch immer bestens vertraut. Klein wurde bei den Turnieren in Mexiko 1970, in Argentinien 1978 sowie in Spanien 1982 eingesetzt – und das nicht in unproblematisch erscheinenden Vorrundenspielen, sondern durchweg in Partien mit einiger Brisanz. Denn der Israeli gehörte seinerzeit unbestritten zu den Besten seiner Zunft. Dass er nicht bei der WM 1974 in Westdeutschland pfiff, hatte denn auch keine sportlichen Ursachen. Die Fifa nominierte ihn vielmehr deshalb nicht, weil sie »wegen des Anschlags auf das israelische Olympiateam in München zwei Jahre zuvor nicht für meine Sicherheit garantieren konnte und wohl auch nicht wollte«, sagte Klein vor acht Jahren der Jüdischen Allgemeinen. Es blieb nicht das einzige Mal, dass politische Aspekte seine Tätigkeit als Schiedsrichter beeinträchtigten.

Der mittlerweile 84jährige wurde 1934 im rumänischen Timișoara ­geboren, die Nationalsozialisten ermordeten während des Holocaust viele seiner Familienangehörigen. Sein Vater, der für die Reservemannschaft des ungarischen Spitzen­teams MTK Budapest spielte, konnte fliehen, bevor Rumänien an der Seite der Achsenmächte in den Krieg eintrat. Klein lebte mit seiner Mutter und ihren sechs Geschwistern in sehr beengten Verhältnissen. Vor vier Jahren sagte er dem Fußballmagazin 11 Freunde in einem Interview: »Was ich während des Krieges erlebt habe, daran möchte ich mich gar nicht mehr erinnern.«

Nach dem Krieg kam er über die Niederlande nach Israel, und dass er dort Schiedsrichter wurde, beruht auf reinem Zufall: Als er mit 20 Jahren seine Hosen zu einem Schneider in Haifa brachte, musste dieser als Unparteiischer zu einem Amateurspiel – und nahm Klein kurzerhand mit. Im Laufe der Begegnung verletzte sich der Schneider am Knöchel und konnte das Spiel nicht mehr fortsetzen.

Also übergab er die Pfeife an Abraham Klein und sagte: »Du springst für mich ein.« Klein zögerte, weil er die Regeln eigentlich nicht gut genug beherrschte. Doch der Schneider sei, wie er 11 Freunde berichtete, hartnäckig geblieben und habe gesagt: »Du kennst doch das Spiel. Wenn es ein Foul gibt, dann pfeifst du. Es ist einfach, glaub mir.« Mehr als 20 Jahre später kam es zu einem Wiedersehen, als Klein ein Spiel in der nordamerikanischen Profiliga zu leiten hatte. Der Schneider aus Haifa war unter den Zuschauern und schaffte es nach dem Halb­zeitpfiff, seinen früheren Kunden, der auf dem Weg in die Kabine war, durch Winken und Rufen auf sich aufmerksam zu machen. »Abraham, ich habe doch gewusst, dass du ein super Schiedsrichter wirst«, sagte er Klein zufolge. Die Freude sei auf beiden Seiten groß gewesen – nur die in Auftrag gegebenen Hosen habe der Schneider immer noch nicht dabei gehabt.

»Ich hatte ein Spiel zu pfeifen, in dem gleich zwei Täterländer gegeneinander kickten. Aber ich war vom Fußballweltverband Fifa nominiert worden und musste meinen Job machen.« Abraham Klein

Klein erwarb sich schnell den Ruf, ein konsequenter und nervenstarker Schiedsrichter mit starker Persönlichkeit zu sein, der auch schwierigsten Aufgaben gewachsen sei. Als es beispielsweise 1969 erstmals zu zwei Spielen zwischen israelischen Mannschaften und einem deutschen Team kam, nämlich dem FC Bayern Hof, leitete Klein die erste Partie der Hofer in Nahariya gegen eine Regionalauswahl. Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen erinnerte er sich an das Pioniermatch: »Israels Fußballverband hatte mich gefragt, ob ich Probleme damit hätte, dieses Spiel zu pfeifen. Nach kurzer Bedenkzeit sagte ich: ›Nein, überhaupt nicht.‹« Es habe allerdings wütende Proteste gegeben, und für seine Entscheidung sei er offen angefeindet worden: »Ein Mann, der als Kind den gelben Stern tragen musste und einen Großteil seiner Familie in der Shoah verloren hat, darf doch nicht einem deutschen Fußballer vor dem Anpfiff die Hand schütteln, hieß es. Ich habe es trotzdem gemacht und erst viel später gemerkt: Das Spiel war der größte Tag in meinem Schiedsrichterleben.«

Ein Jahr zuvor hatte Klein beim Olympischen Fußballturnier in Mexiko-Stadt neben einem Gruppenspiel auch das Spiel um die Bronzemedaille zwischen dem Team des Gastgebers und der japanischen Mannschaft (0:2) gepfiffen – vor sage und schreibe 105 000 Zuschauern im Aztekenstadion. Zwei Jahre danach folgte, wiederum in Mexiko, sein Debüt bei einer Weltmeisterschaft. Dort leitete er im Stadion von Guadalajara die Begegnung zwischen dem Titelverteidiger aus England und der Auswahl aus Brasilien (0:1), die 1958 und 1962 Weltmeister geworden war und bei diesem Turnier schließlich ein drittes Mal den Cup gewann. Am Ende der Partie kam es zu einem Kuriosum: Weil die Spieler den Schlusspfiff überhörten, ließ Klein einfach noch einige Minuten weiterspielen – »weil es ein solch großar­tiges Match war«, wie er später sagte. Bei Olympia 1976 in Montreal wurde er erneut mit der Leitung des Spiels um Platz drei beauftragt, das die Sowjetunion gegen Brasilien mit 2:0 gewann.

Inzwischen gehörte Klein zur Elite der internationalen Schiedsrichter, und so wurde er bei der WM 1978 in Argentinien auch im dritten und letzten Vorrundenspiel des Gastgebers gegen die punktgleichen Ital­iener in Buenos Aires eingesetzt, in dem es um den Gruppensieg ging. Es war die einzige Begegnung in diesem Turnier, das die Argentinier verloren, mit 0:1 nämlich. Prompt machten sie den Referee für die Niederlage verantwortlich, denn dieser hatte ihnen kurz vor der Halbzeitpause einen Elfmeter verweigert. Eine Entscheidung, die Klein bis heute verteidigt: Er habe sich die vorherigen Spiele der Hausherren genau angesehen und dabei festgestellt, dass die argentinischen Stürmer im gegnerischen Strafraum gerne schnell und manchmal grundlos fielen. »Als Schiedsrichter«, so seine Überzeugung, »musst du nicht nur fair sein, sondern manchmal auch mutig.« Die argentinischen Fans pfiffen Klein aus, in vielen internationalen Medien dagegen wurde er für seinen Mut gefeiert und als bester Referee des Turniers gewürdigt.

 

Auch im Zwischenrundenspiel zwischen der Bundesrepublik Deut­schland und Österreich (2:3), das hierzulande als »Schmach von Cór­doba« und im Nachbarland als ­»Wunder von Córdoba« in die Annalen eingegangen ist, hieß der Schiedsrichter Abraham Klein. Alles andere als eine einfache Angelegenheit für ihn, wie er gegenüber der Jüdischen Allgemeinen bekannte: »Ich hatte ein Spiel zu pfeifen, in dem gleich zwei Täterländer gegen­einander kickten. Zudem fand es im argentinischen Córdoba statt. Ich bekam dort schnell zu spüren, dass die starke jüdische Gemeinde von Buenos Aires nicht wirklich glücklich damit war, dass gerade ich diese Auseinandersetzung zu leiten hatte, nach dem Motto: ›Wie kannst du nur?‹ Aber ich war vom Fußballweltverband Fifa nominiert worden und musste meinen Job machen.« Er tat es, wie er es neun Jahre zuvor beim ersten Spiel einer deutschen Mannschaft in Israel getan hatte: unbeeindruckt, nervenstark und konsequent. »Auf dem Platz«, stellte Klein lapidar klar, »behandle ich nun einmal alle gleich.«

Es blieb nicht Kleins letzte Partie in diesem Turnier. Als einziger Schiedsrichter bekam er einen dritten Einsatz. Eigentlich war er der Favorit für die Leitung des Finales zwischen Argentinien und den Niederlanden. Doch die Gastgeber übten heftigen Druck auf die Fifa aus, um diese Ansetzung zu verhindern, denn sie hatten sich im verlorenen Gruppenspiel gegen Italien bekanntlich von Klein benachteiligt gefühlt. Hinzu kam, dass die seit 1976 herrschende faschistische Militärjunta, die Juden, um es zurückhaltend zu formulieren, nicht gerade freundlich gesinnt war, Anstoß daran nahm, dass Klein vor dem argentinischen Spiel gegen Italien die jüdische Gemeinschaft des Landes besucht hatte. Ihm wurde von argentinischer Seite aber auch deshalb Voreingenommenheit unterstellt, weil der Endspielgegner Niederlande hieß. Als »Kriegswaise« hatte Klein ein Jahr lang im niederländischen Apeldoorn verbracht. Und mit Ruud Krol trug ein Mann die Kapitänsbinde der Oranjes, dessen Vater in den Jahren der deutschen Besatzung Juden das Leben gerettet hatte.

Die Fifa gab dem argentinischen Druck schließlich nach und übertrug die Leitung des Endspiels dem Italiener Sergio Gonella. Klein blieb ein weiteres Mal das Spiel um den dritten Platz vorbehalten, in dem Brasilien die Italiener mit 2:1 schlug. Wie bereits 1974 waren es politische Gründe, die sich negativ auf einen Einsatz bei einer Weltmeisterschaft ausgewirkt hatten. Vier Jahre später, Klein war inzwischen 48 Jahre alt, kam beim Weltturnier in Spanien seine letzte Chance. Dafür verzichtete er sogar auf viel Geld: Der Leiter der amerikanischen Schiedsrichter wollte ihn mit einem lukrativen Angebot für sein Team gewinnen, aber dann hätte Klein auf die Weltmeisterschaft verzichten müssen. Und das kam für ihn nicht in Frage. »Bei einer WM zu pfeifen – das ist mehr wert als eine Million Dollar«, begründete er seine Absage.

Doch erneut drohte die Politik seinen Einsatz zu behindern, denn Fernsehsender aus den für die WM qualifizierten arabischen Ländern, die Israel als Todfeind betrachteten, kündigten einen Boykott für den Fall an, dass Klein als Schiedsrichter nominiert würde.

Die Fifa blieb jedoch bei der Berufung und die Sender beließen es schließlich dabei, Kleins Namen bei der Übertragung der von ihm geleiteten Spiele nicht einzublenden. Noch belastender für Klein war, dass sein Sohn Amit – auch er amtierte viele Jahre auf internationaler Ebene als Fußballschieds­richter – kurz vor dem Beginn des Turniers in den Libanon-Krieg an die Front berufen worden war. Klein wartete zutiefst besorgt auf ein Lebenszeichen und ersuchte die Fifa, ihn vorerst nicht einzusetzen. Erst als Amit sich brieflich und telefonisch meldete und seinen Vater bat, nicht seinetwegen auf Spiele zu verzichten, begann auch für Abraham Klein die WM. Er pfiff die dramatische und hochklassige Begegnung zwischen Italien und Brasilien (3:2), in der Paolo Rossi alle drei italienischen Treffer erzielte. »Mir wurde nach 20 Minuten bewusst: Das hier ist WM-Geschichte«, sagte er der Zeitschrift 11 Freunde. »Und du bist dabei.«

Als das Endspiel zwischen Ita­lien und der Bundesrepublik Deutschland anstand, zog die Fifa sowohl Klein als auch Arnaldo Coelho als Schiedsrichter in die engere Wahl. Den Zuschlag erhielt schließlich der Brasilianer, Klein amtierte jedoch immerhin als sein Linienrichter und hätte im Falle eines Unentschiedens nach 90 Minuten plus Verlängerung den Auftrag bekommen, das dann fällige Wiederholungsspiel zu leiten. Dazu kam es nicht, denn die Italiener siegten mit 3:1. So ging der Traum des mutigen Mannes, selbst ein WM-Finale zu pfeifen, nicht in Erfüllung. Auf seine Karriere als Unparteiischer im großen Fußball, von dem er sich 1986 mit einem Freundschaftsspiel zwischen Maccabi Haifa und dem 1. FC Köln (2:1) endgültig verabschiedete, blickt Klein gleichwohl mit viel Stolz zurück, und von seinen großartigen Einsätzen erzählt er gerne. Mit Mordechai Spiegler hat er übrigens etwas gemein: Einen israelischen Nachfolger bei einer Weltmeisterschaft haben beide bislang nicht gefunden.