Unter Horst Seehofer ist die CSU im Begriff, den Kreis der bürgerlich-demokratischen Parteien zu verlassen

Das Staatsstreicherl geht weiter

Seite 2 – Das Strauß-Dogma und seine Folgen

Ein wesentlicher Bestandteil der Politik Seehofers ist ein lange Zeit für unfehlbar gehaltenes Mittel des Machterhalts der CSU in Bayern. Es geht auf Franz ­Josef Strauß zurück, der kategorisch erklärte, rechts von der CSU dürfe es »keine demokratisch legitimierte Partei geben«. Um dieses Ziel zu erreichen, setzte die CSU auf Ausgrenzung und Abwerbung und übernahm Themen vom rechten Rand. So entwickelte sich die CSU gleichsam automatisch mit jeder Abwehr einer neuen rechten Partei in ihrem Land selbst weiter nach rechts. Rechte Parteien wie die NPD oder die Republikaner wurden nach ­anfänglichen Erfolgen von der CSU teils geschluckt, teils verdrängt. Damit hat Bayern das vollkommen falsche Image erworben, über ein zwar rechtes, aber nicht über ein rechtsextremes Potential zu verfügen. Der Aufstieg der AfD ­indes verlangt danach, das Strauß-Dogma, um Seehofers Worte zu bemühen, »bis zur letzten Patrone« zu verteidigen, um den Preis, dass die CSU selbst aus dem Kreis der klassisch-demokratischen Parteien herauszutreten droht.

Wie die CSU in Bayern immer wieder die Energien vom rechten Rand absorbierte und dabei selbst immer weiter nach rechts rückte, so verhielt sich die bundesrepublikanische Demokratie zur bayerischen CSU. Um deren Macht zu begrenzen, musste man sich ihrer rechten Energien bemächtigen, und so trieb die CSU immer wieder auch die »Schwesterpartei« CDU nach rechts.

Bayern als politischer Zustand

Von Beginn an trug die CSU in Bayern populistische Elemente in sich, und nicht wenige davon in bewusster Opposition gegen die Bonner und dann die Berliner Republik. Die Folklorisierung der Politik und die Politisierung der Folklore waren nur ein sichtbares Kennzeichen einer viel tiefer gehenden Durchdringung von Politik, Kultur und Alltagsleben. Nicht allein wegen der ­Alleinherrschaft der CSU war der Verdacht begründet: Bayern stand nur mit einem Bein in der Praxis der parlamentarischen Demokratie, mit dem anderen aber in einer Nachfolge der Wittelsbacher-Monarchie, die sich ­spätestens seit dem 19. Jahrhundert mit einem populistischen Element ab­sicherte. Die Ideologie dazu war die Gleichsetzung von Heimat und Staat, mitsamt einer münchnerisch-altbayrischen Hegemonie, die es mit sich brachte, dass nach staatlichen Verordnungen auch in Schwaben und Franken »Heimatvereine« gegründet wurden, in denen absurde Phantasiebayernkleidungen und -riten gepflegt wurden.
Die Gleichsetzung von Heimat und Staat brachte eine künstliche Über­lieferung, einen Bayern-Mythos hervor, dessen Kehrseite zwangsläufig eine tiefe Feindschaft gegen das Fremde, das Außenseiterische und das Kritische bildete. Das Wesen der Überlieferung, so beschreibt es der US-amerikanische Historiker David Lowenthal, bestehe darin zu belegen, dass »wir die Ersten oder die Besten waren, um uns selbst zu bejubeln und andere auszuschließen«. Diese Überlieferung garantierte zwar die Macht der CSU in Bayern, begrenzte sie jedoch in Deutschland. Zweimal scheiterte der bayerische Griff nach der Kanzlerschaft, bei Strauß an intensiver Gegenwehr, bei Stoiber durch einen schlichten Lauf ins Leere, zweimal folgte auf die Niederlage ein trotziger Rückzug: Mia san mia!

Wie die CSU in Bayern immer wieder die Energien vom rechten Rand absorbierte und dabei selbst immer weiter nach rechts rückte, so verhielt sich die bundesrepublikanische Demokratie zur bayerischen CSU. Um deren Macht zu begrenzen, musste man sich ihrer rechten Energien bemächtigen, und so trieb die CSU immer wieder auch die »Schwesterpartei« CDU nach rechts, oder versuchte es wenigstens. Die Drohung, die Fraktionsgemeinschaft auf­zukündigen, war die praktische Ableitung einer imaginären Abspaltung Bayerns. Der taktische Trick dabei ist, die Drohung so weit zu forcieren, dass man damit Zugeständnisse erzwingen kann, aber nicht so weit, dass es tatsächlich zur Spaltung mit dem absehbaren Effekt des Verlustes der stabilen Herrschaft der CSU in Bayern kommt.

Zurzeit ist diese Herrschaft aber doppelt gefährdet. Bei der AfD scheint das Strauß-Dogma nicht zu funktionieren, erneut ist die absolute Mehrheit in Gefahr. Eine Ausbreitung der CDU nach Bayern, die auf die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft folgen würde, wäre das endgültige Ende der stabilen Herrschaft der CSU in Bayern. Daraus entsteht eine typisch bayerische Situation: »Wie man’s macht, macht man’s falsch.« Weitaus gefährlicher noch für alle Beteiligten sind die Folgen des bayerischen Sonderwegs in der Bundesrepublik. Um die durch Populismus, Folklore und Spezlwirtschaft gestützte stabile Alleinherrschaft einer Partei zu erhalten, wird das Gesamtsystem der föderalen Republik in seiner eigenen Stabilität angegriffen. Man kann diesen Angriff durchaus als institutionalisierten Staatsstreich ansehen, denn auf jede Einigung folgt umgehend eine neue Attacke.