Unter Horst Seehofer ist die CSU im Begriff, den Kreis der bürgerlich-demokratischen Parteien zu verlassen

Das Staatsstreicherl geht weiter

Der Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer betreibt nicht einfach eine politische Lausbuberei, die der Auseinander­setzung mit der AfD in den kommenden bayerischen Landtagswahlen geschuldet ist. Die CSU droht vielmehr, den Kreis der bürgerlich-demokratischen Parteien zu verlassen.

Ein anhaltender Kampf gegen die »Schwesterpartei«, der berüchtigte »Masterplan«, ein Rücktrittsangebot, Späße über Abschiebungen als Geburtstagsgeschenk – muss man, was Horst Seehofer so sagt und tut, eigentlich noch verstehen? Oder kann man es als mehr oder weniger rechtspopulistisches Irrlichtern ansehen, als politischen Über­lebenskampf eines Politikers, der sich in das eine oder andere Dilemma ­manövriert hat? Ist es eine weitere Ursache oder nur ein Symptom einer ­Demokratie in einer schweren Krise? Soll man sich moralisch empören oder sarkastisch lachen?

 

Die Person und ihre Geschichte

Um das Vorgehen des Bundesministers des Innern, für Bau und Heimat zu verstehen, muss man es zunächst auf einige Grundnarrative zurückführen. Da wären zunächst die Person und ihre Geschichte: Seehofers Kandidatur für den Posten des Parteivorsitzenden nach dem Rücktritt Edmund Stoibers im Jahr 2007 geriet zu einem öffentlichen Drama. Da gab es einerseits die ­Geschichte von den Geheimabsprachen zwischen dem designierten Nach­folger Stoibers im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten, Günther Beckstein, und Seehofers Konkurrenten um den Parteivorsitz, Erwin Huber, und dann die Enthüllungen von Bild über eine langjährige außereheliche Beziehung Seehofers nebst Vaterschaft. Die Verschwörungsgeschichte und die ­Privatsache, die politisch instrumentalisiert wurde – Seehofer hatte zuvor sein »ordentliches Familienleben« bedenkenlos in die Imagepflege integriert –, verschränkten sich. Es waren die Parteioberen, die Seehofer aufforderten, sein »Privatleben zu ordnen«, bevor er mit einem hohen Amt betraut werden könne. Die Politisierung des Privatlebens wurde also nicht allein von Presse und Öffentlichkeit betrieben, sondern auch in den Machtzentren der CSU.

Seehofer hatte sein Thema gefunden: Flüchtlinge, Grenzen, Abschieben, »Ankerzentren«, »Härte zeigen«. Er hatte seinen Feind gefunden: die liberale und »weiche« Politik Merkels.

Von da an wurde fast alles, was Seehofer unternahm, zugleich Teil eines politischen und eines persönlichen Dramas. Man kann daher gar nicht vermeiden, in der Auseinandersetzung zwischen Seehofer und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) auch immer die Fortsetzung eines persönlichen Stücks zu ­sehen. Die Niederlage bei der Wahl zum Parteivorsitzenden 2007 ­gegen Erwin Huber, also der Sieg eines internen Strippenziehers, war eine wei­tere Schmach, nachdem 2004 Seehofers Ideen zur Gesundheitsprämie, die er als stellvertretender Bundestagsfraktionsvorsitzender der Unionsparteien eingebracht hatte, an einer rigiden Merkel gescheitert waren. Es folgten der Rückzug nach Bayern und schließlich die Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten im Jahr 2008. In all diesen Jahren galt Seehofer keineswegs als dezidiert rechter Ver­treter seiner Partei, man warf ihm parteiintern sogar vor, insbesondere in der Gesundheitspolitik sozialdemokratische Positionen zu vertreten; im Jahr 2005 hatte er sich etwa gegen das Hartz-IV-Gesetz ausgesprochen.

Er übernahm das Amt des Ministerpräsidenten einer Krise der CSU, die zum ersten Mal die absolute Mehrheit in Bayern verfehlt hatte. Seehofer war ein Erlöser von bajuwarischer Gestalt, der die glanzlose Herrschaft von Funk­tionären ebenso beendete wie die des sich ständig in den Labyrinthen von Logik und Sprache verirrenden Stoiber: Wo dieser an der Komplexität der Sprache scheiterte, vereinfachte Seehofer sie fundamental. Wo Stoiber ­wunderbare dadaistische Sprachgebilde hinterließ, da schuf Seehofer Begriffe, die als Waffe zwischen den Zähnen ­taugen.

Allmählich zeigte sich, dass Seehofer dem Drängen Markus Söders nicht ewig standhalten konnte. Für das Kabinett Merkel IV wurde Horst Seehofer am 14. März 2018 zum Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat ernannt, Söder löste ihn als Ministerpräsident Bayerns ab. Würde das Amt den Menschen oder würde der Mensch das Amt umformen? Ein Drittes geschah: Es schien, als würden sich beide gemeinsam einer unaufhaltsamen Verwandlung unterziehen. Das Unheil kündigte sich durch die Übernahme des Begriffs »Heimat« in die Stellenbeschreibung schon an.

Die erste rechtspopulistische Entgleisung hatte sich auf dem sogenannten politischen Aschermittwoch 2011 ereignet: Er sei bereit, hatte Seehofer da im Bierzeltmodus gewettert, sich »gegen die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme zu wehren – bis zur letzten Patrone«. »Wer betrügt, der fliegt«, sagte er 2013. Zu Neujahr 2016 bediente er sich des Worts »Obergrenze«, das seither regelmäßig in der rhetorischen Endlosschleife des angewandten Seehoferismus zu hören ist. Im Jahr 2015 stellte er sich zum ersten Mal direkt gegen die Bundeskanzlerin und bezeichnete den Entschluss, Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen, als »Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird«.

Seehofer hatte damit sein Thema gefunden: Flüchtlinge, Grenzen, Abschieben, »Ankerzentren«, »Härte zeigen«. Er hatte seinen Feind gefunden: die libe­rale und »weiche« Politik Merkels, die er seither unterlief, wo es ging, offen in Frage stellte und rhetorisch delegitimierte. Die wiederkehrende Forderung nach Härte, Abschottung und Grenzen, der Konflikt mit Merkel, der ständig zwischen politischer Lausbuberei und ­einem veritablen Staatsstreicherl changiert, und der praktische Populismus, die Übernahme der Rhetorik gegen »die Eliten« aus dem Zentrum der Macht heraus, brachten Seehofer immer weiter nach rechts.

Dass die Freude an Obergrenzen, am Abschieben und Ausschließen tiefer in die politische Psychologie Seehofers reicht, als es Macht, Opportunität und Taktik nahelegen, zeigt ein kleiner Rückblick auf seine Zeit als Bundestags­abgeordneter: 1987 forderte er, HIV-Infizierte in abgeschlossenen Heimen zu »konzentrieren«, ein Vorschlag, den er zusammen mit dem CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler erarbeitet hatte. Und selbst eine Schmunzelnummer wie die PKW-Maut hatte in Seehofers Rhetorik schon das Phantasma zum Inhalt, dass die anderen, die autofahrenden Ausländer, wie schließlich die Flüchtlinge, »auf unsere Kosten« etwas bekämen, das ihnen nicht zustehe. Der Neid ist ein ausgeprägter Impuls rechtspopulistischer Politik.

Seit seiner Ernennung zum Bundesinnenminister inszeniert Seehofer ein Stück mit dem Titel »Aufstand gegen Merkel, Spaltung der Basis und Natio­nalismus mit Bayern als Modell und Vorreiter«. So wie er in seinem Auf­treten die Grenzen des Umgangs in der Politik immer wieder überschreitet, so missachtet er immer wieder die Regeln der demokratischen Arbeitsteilung. In seinem berüchtigten Interview nach der jüngsten Einigung im Asylstreit stellte er beständig die verfassungsgemäße Richtlinienkompetenz der Kanzlerin in Frage, also ein Grundprinzip der ­sowohl realen als auch symbolischen Machtorganisation in der repräsen­tativen Demokratie Deutschlands. Hier treffen sich Psychologie und Politik so deutlich, dass es schwerfällt, nicht psychoanalytische Modelle zu bemühen, etwa einen Aufstand gegen die Mutter im Namen des verschwundenen ­Vaters, oder eine innere Rivalität zwischen Söder und Seehofer zu sehen, die sie zu gefährlichen Komplizen macht, die einander unentwegt übertreffen müssen.