Die Rehabilitierung faschistischen Denkens

Altes Denken, neue Rechte

Die politische Rechtsentwicklung in den westlichen Demokratien kann als Faschisierung neuen Stils bezeichnet werden – demokratisch in der Form, illiberal im Gehalt. Die Figur des Rechtsintellektuellen spielt bei der Rehabilitierung faschistischen Denkens eine wichtige Rolle.

Auf den allerersten Blick spricht wenig dafür, die europaweit zu beobachtende politische Rechtsentwicklung als Faschisierung zu bezeichnen, scheint sie doch den klassischen Definitionen von Faschismus nicht zu entsprechen: ­Weder sind charismatische Führergestalten und Massenaufmärsche zu ­beobachten, wie sie etwa 1922 Sigmund Freud in »Massenpsychologie und Ich-Analyse« untersucht hat, noch ist zu beobachten, dass die reaktionärsten Kräfte des Finanzkapitals – so die marxistisch-leninistische Faschismus­theorie – antidemokratische Bewegungen offen oder verdeckt unterstützen. Wenn das global agierende, neoliberal operierende Kapital etwas nicht be­nötigt, so geschlossene Grenzen vermeintlicher Vaterländer. Tatsächlich lässt sich dem Begriff der Faschisierung jedoch etwas abgewinnen, sobald die Blickrichtung geändert wird.

Worum es geht, das ist eine Faschisierung des Denkens unter Beibehaltung der formalen Kriterien liberaler Demokratien.

Der neue Faschismus tritt heutzutage oft als demokratischer Verteidiger des »christlichen Abendlandes« auf.

Zweifel sind kaum noch möglich: Die extreme Rechte ist politisch im Aufwind und ja – sie pflegt die geistigen Verbindungen zum historischen ­Faschismus. Sie ist zudem dabei, im Bereich der Europäischen Union zu ­einem wesentlichen Einfluss-, wenn nicht Machtfaktor zu werden. Davon zeugen nicht nur die neuen parlamentarischen Mehrheiten in Ungarn und Polen, sondern auch der Zuspruch für die Partei Marine Le Pens, die mittlerweile Rassemblement National heißt und die noch immer in Frankreich ­besteht.

In Deutschland ist es der AfD gelungen, in den Bundestag gewählt zu ­werden, für die Wahlen in Sachsen werden ihr weitere Erfolge prognostiziert – Erfolge, die ihr in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sogar sehr wahrscheinlich sind.

Das ist soziologisch allemal erklärbar. Als Indikator all dessen kann aber vor allem die Wiederkehr einer Gestalt gelten, die die alte Bundesrepublik nicht kannte, die jedoch in der Weimarer Republik gängig war: der Typus des Rechtsintellektuellen. Dabei geht es nicht um die dumpfen Ressentiments von Dresdner Pegida-Demonstranten, denen zum Begriff »christlich« kaum mehr einfallen dürfte als die erste ­Strophe von »O Tannenbaum«, sondern um jene Personen und Medien, die – angefangen bei der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit über die Bücher des Antaios-Verlags, die Publikationen des »Instituts für Staatspolitik«, die ­Jugendzeitschrift Blaue Narzisse bis hin zur Sezession – darum bemüht sind, faschistisches Denken zu rehabilitieren.

Autorinnen und Autoren dieser Publikationsorgane sehen sich dem ­verpflichtet, was sie als »Metapolitik« bezeichnen, also einer sich philosophisch gebenden Theorie der Politik, die jedoch so kommuniziert werden soll, dass sie kulturelle Kommunikationsmuster bereits im vorpolitischen Raum verändert – als eine Art Gramsci­anismus von rechts, um so die Bereitschaft zu fördern nationale Schließung, autoritäre Unterordnung und ethnische Homogenität hinzunehmen.

 

Dabei sind die Grenzen zum historischen Faschismus schnell überschritten: Zeitgeistige Kommunikationsforen wie etwa ein Blog der identitären ­Bewegung, »Metapolitika«, propagieren beispielsweise den unzweifelhaft ­faschistischen Philosophen Julius Evola. Diese hierzulande bisher eher unbekannte Gestalt wurde auch von einem der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, von Martin Heidegger, zustimmend rezipiert. Mehr noch: Die italienischen Rechtsextremen beziehen sich bewusst auf den historischen Faschismus. Die mittlerweile zur Partei gewordene neofaschistische Bewegung Casa Pound benennt sich nach dem modernen US-amerikanischen Dichter Ezra Pound (1885–1972), der, bei aller Progressivität seiner Dichtung im Formalen, zum ­Faschisten wurde. Er hielt die Juden für die Urheber des Zweiten Weltkriegs.

In der Nachfolge vor allem Oswald Spenglers legte Evola, der den Faschismus Benito Mussolinis von »rechts« kritisierte, eine seit mehr als 2 000 ­Jahre währende Verfallsgeschichte vor, die durch die ständige Aufhebung und Destruktion aller Transzendenz­bezüge seit der griechischen Sophistik gekennzeichnet sei.

 

Evola, der Nationalismus und Imperialismus als Formen der modernen Massengesellschaft kritisierte und der auch die katholische Kirche nicht mehr als Bollwerk gegen die Moderne gelten lassen wollte, setzte am Ende auf widerständige Einzelne, die sich illusionslos und geradezu stoisch dem ­Gedanken eines höheren geistigen Lebens verpflichten, um dadurch zu ­erproben, »inwieweit, dank einer inneren Unerschütterlichkeit und einer Ausrichtung nach dem Transzendenten hin, das Nicht-Menschliche der modernen realistischen und handlungsbesessenen Welt, statt ins Untermenschliche zu führen, wie es zum Großteil in der Letztzeit geschieht, Erfahrungen eines höheren Lebens und einer größeren Freiheit begünstigen kann«.

Evola, der sich am hinduistischen Kastensystem orientiert und einen Hauptgegensatz im Kampf des »männlich-­solaren« gegen ein »weiblich-lunares« Denken sieht, lässt seine Verfallsgeschichte mit dem Niedergang sakraler Herrschaft beginnen. Er hätte in der ungarischen Verfassung von 2011 wahrscheinlich die Anfänge einer »Kehre« gesehen, wird dort doch der »Heilige König Stephan« an herausragender Stelle beschworen und damit der ­Gedanke einer »heiligen«, also an eine »Transzendenz« geknüpften Vergemeinschaftung das Wort geredet.

Freilich scheint bei der Übernahme faschistischen Denkens zumal in Deutschland Vorsicht angebracht – hat doch hierzulande jedes rechtsradikale Denken erstmal damit zu kämpfen, sich der Nähe zum Nationalsozialismus zu erwehren, was sich etwa im Verhältnis zu Judentum und Anti­semitismus zeigt.

Während eine sich antiimperialistisch gebärdende Linke die Politik Israels nicht nur, teils auch zu Recht, kritisiert, sondern sie geradezu ­dämonisiert, wendet sich ein Teil der Neuen Rechten dem Judentum zu. Doch gibt es auch hier andere Stimmen: Karlheinz Weißmann vom »Institut für Staatspolitik« etwa verteidigt den evangelischen Theologen ­Notger Slenczka – der diskutiert, ob das jüdische Alte Testament in den christlichen Kanon gehört. Björn Höcke gab zu Protokoll, mit dem Begriff des »christlich-jüdisch geprägten Abendlands« nichts anfangen zu können.

Der Distanz zum Judentum wegen wird oftmals sogar die für die Abwehr des Islam gebrauchte Formel vom »christlich-jüdischen Abendland« geopfert und ein christlicher Staat propagiert. Tatsächlich tritt der neue Faschismus heutzutage oft als demokratischer Verteidiger des »christlichen Abendlandes« auf. Womit man bei ­Ungarn wäre, das bei der Entwicklung einer sozusagen moderaten Faschisierung eine Vorreiterrolle gespielt hat und weiterhin spielt. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban selbst propagiert die »illiberale Demokratie«. Tatsächlich beschwört die in Budapest im April 2011 beschlossene neue Verfassung in ihrer Präambel die christ­liche Nation und die Stefanskrone noch vor der Würde des Menschen und enthält Punkt für Punkt jenes Programm, dem sich die Neue Rechte in Europa verschrieben hat. Es handelt sich um eine Faschisierung neuen Stils – ­demokratisch in der Form, illiberal im Gehalt.
Das war das Programm des Staatsrechtlers Carl Schmitt, bevor er zum ­Propagandisten der Nazis wurde.