Wer sind die Freien Wähler, die zur drittstärksten Kraft in der bayerischen Landtagswahl wurden?

Sich kümmern und am Boden bleiben

Die Freien Wähler sind bei den Wahlen in Bayern die drittstärkste Kraft geworden. Wofür steht die Partei, wer wählt sie und warum? Eine Spurensuche in der bayerischen Provinz.

Wahlsonntag in Bruckberg, einem der Dörfer und Städte, die zum Stimmkreis 204 (Landshut) gehören. Hier beginnt Niederbayern, wo Hubert Aiwanger herkommt, der Vorsitzende der Freien Wähler (FW). Und hier leben viele Menschen, die den in anderen Bundesländern unbedeutenden FW ihre Stimme geben.

Zur Wahl geht man »im Gwand« oder gleich in Cargohose und Polohemd der Berufsbekleidungsfirma Engelbert Strauss, deren Produkte hier zum gängigen Dresscode gehören. Weil sie praktisch sind bei der Arbeit im eigenen Garten. Oder weil man nachher »in die BMW« zur Arbeit muss, als Handwerker viel zu tun hat oder in einem der vielen mittelständischen Betriebe. Hierher zieht auch, wer in München arbeitet, aber am Feierabend »sei’ Ruh’« haben will.

Für die 5742 Einwohner ist gesorgt: Es gibt eine Brauerei, zwei Humanmediziner, drei Wirtshäuser, Solarzellen auf vielen Hausdächern, Glasfaserkabel, feinsten Mobilfunkempfang – und immer noch ausreichend Bauland. »Grias di’«, nickt man sich auf der Straße zu. Ein Ort also, an dem man sich umeinander kümmert. Politologen halten das für die vielleicht wichtigste Eigenschaft der FW. »Was die Freien Wähler eigentlich ausmacht: Sie sind nach wie vor eine Sich-Kümmerer-Partei«, sagt Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung und Professor für Politische Systeme und Europäische Einigung an der LMU München. Diesen Ruf haben sie sich vor allem in der Kommunalpolitik erworben. Diese Kümmerer sind »Fleisch vom Fleische der CSU. Oftmals repräsentieren sie die lokale Geschäftswelt, wollen ländliche Regionen fördern«, sagt Heinrich Oberreuter, emeritierter Politikprofessor der Universität Passau, in einem Telefonat mit der Jungle World.

Das programmatische Motto der Freien Wähler bringt Norbert Schäuble, Politologe und Gesellschafter des Sinus-Instituts, so auf den Punkt: »›Sachorientiert die schöne Heimat bewahren‹, so- wohl in Bezug auf Identität als auch den erreichten Wohlstand. In Abgrenzung zur CSU wäre ›sachorientiert‹ der zentrale Begriff, ›bewahren‹ in Abgrenzung zur FDP, der es deutlicher darum geht, die Zukunft aktiv zu gestalten.«
Das kommt an. Wie sieht er aus, der typische Wähler? Franz Kohout, Professor für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München, ist selbst gebürtig aus dem Niederbayerischen. Er skizziert ihn so: »Der typische Wähler der FW ist männlich, wohnt auf dem Land, ist zwischen 50 und 60 Jahre alt, ist Landwirt und selbst noch nicht groß aus der Region herausgekommen.« Also Leute wie der niederbayerische Bauer, der zu seiner Gattin sagt: »Geh’ weg, du bläd’s Viech« – und damit liebevoll meint: »Schatz, darf ich hier bitte vorbei«? Genau der.

Hinzu kommen aber weitere Wählergruppen. Der Freiburger Professor Ulrich Eith, Institutsdirektor am Studienhaus Wiesneck in Baden-Württemberg, hat sich für einen Sammelband zu Parteien in Bayern mit den FW beschäftigt. Sein Fazit: Die Partei könne bei überregionalen Wahlen in Bayern eine »sich über alle Alters- und Berufsgruppen erstreckende Wählerschaft« vorweisen. »Überrepräsentiert sind die mittleren Jahrgänge, Selbständige und Landwirte sowie Personen mit Mittlerer Reife. Unterrepräsentiert sind Personen mit hoher Kirchenbindung und Akademiker. Auffällig ist darüber hinaus, dass die besten Ergebnisse in ländlich-kleinstädtischen Wahlkreisen gelingen, wo die Freien Wähler mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Kommunalpolitik bestens bekannt sind.«

Dieses Mal hat im Stimmkreis 204 nicht viel gefehlt, und Aiwanger hätte sogar dem hiesigen CSU-Kandidaten das Direktmandat weggenommen: Mit 24,97 Prozent liegt »Hubsi«, wie mancher ihn liebevoll nennt, nur 2,77 Prozentpunkte hinter dem CSU-Mann Helmut Radlmeier. Bei der Wahl 2013 betrug der Abstand zwischen den beiden noch knapp 22 Prozentpunkte. Im Maximilianeum, dem Sitz des bayerischen Landtags, werden sich die beiden sowieso treffen. Aiwanger führt die Landesliste an, eine Koalition mit der CSU ist wahrscheinlich.

Auf Anfrage der Jungle World meldete sich »Hubsi« zwar nicht zurück. Andernorts ließ sich der Landwirt – 35 Ferkel, 15 Rinder, Photovoltaikanlage auf dem Hof – in Bezug auf Koalitionsgespräche aber so zitieren: »Ich bin sicher, die CSU wird anbeißen.« Die FW möchten gerne drei Ministerposten.

Ein Kabinettsmitglied dürfte also aus Ergoldsbach kommen, 7 925 Einwohner, ebenfalls Stimmkreis 204. Der wohl baldige stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger könnte sich dann auf das konzentrieren, was ihn und seine konservativen Kümmerer so erfolgreich macht. Via Twitter verkündete der 47jährige: »Wir wollen eine Regierung, die sich wieder mehr um die Alltagsprobleme der Menschen kümmert! Hebammen statt Weltraum!«