Klaus Gietinger, Filmemacher und Soziologe, im Gespräch über die Novemberrevolution und sein Buch »November 1918 – Der verpasste Frühling Europas«

»Sie wollten mehr«

Wenn die Novemberrevolution funktioniert hätte, hätte es in Deutschland keinen Faschismus gegeben, meint Klaus Gietinger, Filmmacher, Sozialwissenschaftler und Buchautor. In seinem neusten Buch »November 1918 – Der verpasste Frühling Europas« (2018) befasst er sich mit der fast vergessenen Revolution.
Interview Von

Ihr Buch über die Revolution von 1918 in Deutschland heißt »Der verpasste Frühling«. Warum der ­Titel?
Wenn diese Revolution einigermaßen funktioniert hätte, hätte es meiner Ansicht nach in Deutschland keinen Faschismus gegeben. In allen Staaten, die diesen großen Krieg verloren hatten, kam es zu Revolutionen. In Russland, in Österreich und in Ungarn. Da hätte schon etwas daraus entstehen können.

In den Staaten, die den Krieg gewonnen haben, gab es auch soziale Konflikte. Europa hätte sich in eine ganz andere Richtung entwickeln können. Eine Art sozialistisches Europa von unten. Der Faschismus war eine Reaktion auf diese Aufstände in Europa, in Italien, in Ungarn und Deutschland. Da haben sich die Unterdrückten und Beleidigten mal aufgerafft und aufbegehrt und ­sofort entstand in diesen Ländern als Antwort der Faschismus, der letztlich auch gewonnen hat.

In Russland ist es dann leider in die falsche Richtung gelaufen. Da herrschte schon bald der Terror und keine Rätemacht. Aber auch das hätte anders laufen können, wenn es in Deutschland zu einem demokratischen Sozialismus ­gekommen wäre, denn der Einfluss der deutschen auf die russische Sozial­demokratie, aus der ja auch Lenin kam, war historisch sehr groß.

Ähnlich argumentierte bereits Sebastian Haffner in seinem Buch über die Novemberrevolution. Er spricht von einem historischen »Verrat« der SPD an ihrer eigenen Anhängerschaft. Was war, abgesehen vom runden Jahrestag, Ihr Anlass, sich mit dem Thema auseinanderzu­setzen?
Ich beschäftige mich seit etwa 1989 mit dieser Zeit und den Quellen. Vor 25 Jahren veröffentlichte ich ein Buch über die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Es ist gerade in der vierten Auf­lage erschienen. Dann habe ich über Waldemar Pabst, den Hauptmann der Garde-­Kavallerie-Schützen-Division, der den Mord befohlen hat, eine Biographie geschrieben. Dadurch bin ich noch tiefer in diese Zeit eingestiegen. Es lag nahe, nun zum 100. Jahrestag etwas zu machen, weil diese Revolution fast vergessen ist. Es gibt ja kaum größere Veranstaltungen, die daran erinnern. Hier und da ein paar Tagungen. Aber niemand kommt auf die Idee, dieses Ereignis als den Beginn der Demokratie in Deutschland zu ­feiern.

Fast vergessen – dabei sind doch die Namen von zwei der zentralen ­Figuren dieses tragischen Ereignisses die Namensgeber der parteinahen Stiftungen der SPD und der Linkspartei, nämlich der SPD-Vor­sitzende und erste Reichspräsident Friedrich Ebert und die bereits ­erwähnte Rosa Luxemburg. Wie passt das zusammen?
Zentrale Figuren in den Ereignissen waren sie, aber ihre Hervorhebung verschleiert durchaus auch, dass sie ­gerade zum Sturz der Monarchie nicht besonders viel beigetragen haben. Ebert stand eigentlich ständig auf der Seite der Gegenrevolution und hat, wo er nur konnte, versucht, die Revolution zu bremsen und wieder zurück­zudrängen. Und Rosa Luxemburg kam erst durch die Revolution aus dem ­Gefängnis, in den Ereignissen bis zu ihrer Ermordung im Januar spielte die Spartakus-Gruppe, aus der dann die KPD hervorging, eigentlich eine eher untergeordnete Rolle.

Heutzutage stehen Ebert und ­Luxemburg für die in der Zeit des Ersten Weltkriegs vollzogene und noch ­immer anhaltende Spaltung der Linken in Deutsch­land – so man die SPD noch als links bezeichnen möchte. Das ist für mich immer noch das Schlimmste, ­diese Spaltung der Arbeiterbewegung. Und daran ist zu viel in Vergessenheit geraten, zum Beispiel, dass sie von oben erfolgt ist und nicht von unten. Sie setzte in dem Moment ein, als die Führung der SPD sich 1914 entschied, sich auf die Seite des deutschen Imperialismus zu stellen, statt den Generalstreik auszurufen. Die deutsche Sozialdemokratie hätte den Ersten Weltkrieg verhindern können, wenn sie es gewollt hätte, und ihrer eigenen Anhängerschaft unendlich großes Leid in den Schützengräben und Hungerwintern ersparen können. Noch während des Kriegs spaltete sich die Partei, der linke Flügel wurde rausgeworfen und gründete die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD).

»Die Nationalversammlung und die Weimarer Reichsverfassung waren eigentlich gegenrevolutionäre Projekte.«

Als Sie 1989 mit dieser Beschäftigung anfingen, ging die DDR unter, aus zwei deutschen Staaten wurde einer. Nur SPD und Linkspartei sind noch immer getrennt, auch wenn sie gelegentlichen koalieren. Hatte Ihr In­teresse etwas damit zu tun?
Nein, es war wirklich ein Zufall. Ich bin mit meinen Arbeiten oft antizyklisch. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich damals darauf gekommen bin. Ich kannte natürlich noch das Buch des linken Anwalts Heinrich Hannover und seiner Frau über den Mord an Luxemburg und Liebknecht, ein echter Klassiker. In den sechziger Jahren wurde es im Spiegel gefeiert. Aber auch bei Ulrike Meinhof gehörte es zum Grundbestand des Bücherregals. Das Buch ist also nicht nur wegen des Inhalts wichtig, sondern auch wegen seiner Wirkung und Rezep­tion.

Unter Historikern sind Hypothesen der kontrafaktischen Geschichte wie Ihre Ansicht, eine gelungene Revolution 1918/19 hätte den Faschismus verhindert, ziemlich unbeliebt. Rückblickend ist man immer klüger. Trotzdem muss man doch fragen, wo und wann genau die entscheidenden Fehler gemacht wurden. Welche waren das?
Für mich ist einer der Knackpunkte der Reichsrätekongress Mitte Dezember 1918. Man muss sich vergegenwärtigen, dass diese Revolution in der Mehrheit von SPD-Mitgliedern, von sozialdemokratischen Arbeitern und Arbeiterinnen gemacht worden ist. Als am 9. November die revolutionäre Welle, die vom Aufstand der Kieler Matrosen ausging, Berlin erreichte, war das Kaiserreich so fertig, dass es auch keinen Widerstand dagegen gab. Weder bei der Verwaltung noch beim Militär. Die ­haben aufgegeben, die Arbeiter- und Soldatenräte haben im Grunde die Macht gehabt. Und was machen Ebert, Gustav Noske und ihre Genossen an der Spitze der SPD, die nie eine Revolution wollten? Sie haben sich draufgesetzt und das Ruder an sich gerissen, damit es nicht, wie sie sagten, zum Bolschewismus komme. Das war für sie schon das Schreckgespenst. Die Nationalversammlung und später auch die Weimarer Reichsverfassung werden gerne als Ergebnisse der Revolution präsentiert, aber eigentlich waren es gegenrevolutionäre Projekte, mit ­denen die Revolution eingedämmt werden sollte. Ebert und Noske wollten zunächst, dass ihre

Leute für die Nationalversammlung stimmen, wählen gehen und wieder Ruhe einkehren lassen.
Aber ist nicht genau das auch eingetreten?

Nicht ganz. Tatsächlich stimmt der Reichsrätekongress im Dezember 1918 mit großer Mehrheit ganz im Sinne Eberts und im Vertrauen in ihn für die Nationalversammlung. Aber die Delegierten fordern auch eine Zerschlagung des deutschen Militarismus, sie fordern eine völlig neue demokratische »Volkswehr«, in der die Offiziere ­gewählt werden, wo es keine Abzeichen oder Grußpflicht mehr gibt. Also eine basisdemokratische Armee, eine Armee von unten. Und die dritte Forderung war die Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder die »Sozialisierung«, wie es damals hieß. Das waren alles keine neuen Forderungen, sie hätten die Umsetzung des geltenden Erfurter Parteiprogramms der SPD bedeutet. Und was sagt Ebert am 9. November zu dem alten, noch regierenden Reichskanzler Max von Baden? Er hasse die soziale Revolution wie die Sünde. Das Volk sei noch nicht reif für die Republik, es brauche einen Nach folger des Kaisers. Weil er sonst sein Parteiprogramm umsetzen müsste, das er fürchte. Er wollte sogar, dass Max von Baden diese Rolle übernimmt. Ebert und von ­Baden hatten das bei einem geheimen Treffen im Schwarzwald abgesprochen. Aber dann hat Eberts Parteifreund Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen, um Liebknecht zuvorzukommen. Es haben übrigens ganz viele Personen an dem Tag die Republik ausgerufen, nicht nur Liebknecht und Scheidemann. Aber in den Geschichtsbüchern und Dokumentarfilmen werden meist nur die beiden genannt.

Da war mit einem Kaisernachfolger nichts mehr zu ­machen. Es blieb Ebert nichts mehr übrig, als einen Waffenstillstand mit der Entente abzuschließen und eine par­lamentarische Demokratie in seinem Sinne aufzubauen. Was der SPD-Führung gar nicht gepasst hat, waren die Arbeiter- und Soldatenräte, die sich auch aus Mitgliedern und Anhängern der SPD gebildet hatten. Die wollten mehr. Es kam folglich zum Konflikt.Aber wo haben die Revolutionäre den Fehler gemacht? Haffner argumentiert, die Arbeiter seien schlicht zu brav gewesen.

Es gab ein paar Momente, in denen alles auf der Kippe stand. Etwa als es in ­Berlin zu den sogenannten Weihnachtskämpfen kam zwischen Waldemar Pabsts Garde-Kavallerie-Schützen-Division und der Volksmarinedivision. Letztere bestand aus den revolutionären Matrosen, die nach Berlin gekommen waren und dort auch ursprünglich herkamen. Die Regierung versuchte, sie zu demoralisieren, indem sie ihnen die Löhne nicht auszahlte. Daraufhin hat die Volksmarinedivision den Berliner Stadtkommandanten Otto Wels fest­genommen, und Ebert befahl Pabst, gegen sie vorzugehen. Es gab Tote. Pabst scheiterte bei der Erstürmung des von den Matrosen gehaltenen Schlosses. Da war klar, Ebert hat die Revolution und mit ihr die eigenen Leute in Zusammenarbeit mit dem Militär hintergangen. Da hätten die USPD und die Räte eigentlich Druck machen müssen, dass Ebert, Noske und die restliche SPD-Führung zurücktreten. Stattdessen ­traten die drei USPD-Mitglieder aus der Regierung aus, die bis dahin aus drei SPD- und drei USPD-Mitgliedern bestanden hatte.

Das war ein großer Fehler. Meines Erachtens war es übrigens auch ein ­Fehler, dass Liebknecht nicht in die Regierung gegangen ist, weil seine Spartakus-Gruppe dagegen war. Als die letzte Bastion der USPD mit der Absetzung des Polizeipräsidenten Emil Eichhorn in Berlin fiel, kam es zum Januar-Aufstand. Das geschah spontan, wobei die KPD und die USPD sofort versucht haben, die Führung zu übernehmen. Auch das war letztlich ein großer Fehler, aber man konnte das damals nicht gleich sehen. Der Aufstand wurde brutal niederkartätscht. Es gab dann im März noch eine zweite Welle der Konterrevolution, in der brutal gemordet wurde – von den rechten Freikorps in Zusammenarbeit mit Gustav Noske. Am Ende waren viele wichtige Führer der Linken tot oder im Zuchthaus. Hunderte fielen dem sogenannten weißen Terror zum Opfer, darunter auch Luxemburg und Liebknecht. Die Bayerische Räterepublik wurde zu­sammengeschossen.

 

Heißt das, dass die Revolutionäre in den entscheidenden Momenten zu puristisch, zu wenig realpolitisch waren?
Es wäre vor allem auf die Arbeiter- und Soldatenräte angekommen. Die bestanden übrigens zumeist aus Mitgliedern der SPD. Die haben zwar die ­Nationalversammlung abgesegnet und damit letztlich zugestimmt, die Macht wieder an eine repräsentative Demokratie abzugeben. Wenn aber alle ­Beschlüsse des Reichsrätekongresses befolgt worden wären, ­wären zwei Gruppen entmachtet worden, die entscheidend waren für den Weg in den ­Faschismus: das Militär und die Großindustrie. Das wäre damals noch möglich gewesen. Das Militär hatte sich noch nicht reorganisiert, die Macht lag auf der Straße. Die Entstehung der Freikorps hätte verhindert werden können. Und die Sozialisierung hätte durchgesetzt werden können, also eine echte Demokratie in der Produktion durch Betriebsräte mit echter Macht, nicht so, wie sie dann letztlich in der Weimarer Reichsverfassung ­zugelassen wurden, als vergleichsweise zahnlose Institutionen.

War diese Verfassung nicht doch recht fortschrittlich?
Ich finde, sie wird völlig überschätzt. Der Weimarer Reichsverfassung merkt man an, dass ihre Verfasser der Volkssouveränität misstrauten – auch in ihrer beschränkten Form als parlamentarische Demokratie. Die Verfassung war letztlich autoritär. Sie konnte durch einfache Gesetze geändert werden. Das Parlament bekam keine dauernde ­politische Macht und die Räte bekamen keinen wirtschaftlichen Einfluss. Max Webers Einfluss ist es zu verdanken, dass der Reichspräsident eine Machtfülle erhielt, die nicht einmal der ­Kaiser gehabt hatte. Wann immer der Reichspräsident die öffentliche Ordnung »erheblich gestört« sah, konnte er mit dem Notstandsrecht des Artikels 48 Grundrechte einschränken und das Militär im Inneren einsetzen. ­Gegen diesen entscheidenden Konstruktionsfehler gab es auch bei der SPD keinen Widerstand. Oskar Cohn von der USPD warnte schon 1919 davor, dass ein Herr »von den Deutschnationalen« oder »ein Trabant der Hohenzollern, vielleicht ein General« als Reichspräsident die ihm gegebene Macht missbrauchen könne. Er sollte recht behalten. Ab 1925 regierte Hindenburg, der 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannte.

Schon 1919 war die Rache des Militärs fürchterlich. Hunderte wurden ermordet, und zwar nicht, wie oft fälschlich behauptet, standrechtlich, sondern völlig außerrechtlich. Was hatte das für einen Effekt?
Die entscheidenden Anführer der Linken wurden ausgeschaltet, das muss man ganz klar sagen. Viele wichtige Leute wurden umgebracht, nicht nur ­Luxemburg und Liebknecht. Leo Jogiches und der Kommandeur der Volksmarinedivision, Heinrich Dorrenbach, wurden ermordet. Aber auch insgesamt waren dieses Januar- und März-Kämpfe traumatisch. Der Hass auf Ebert und Noske war dadurch groß und die Spaltung der Arbeiterparteien wurde zementiert. Das spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen. Im Januar 1919 bei der Wahl zur Nationalversammlung vertraute die Arbeiterschaft noch weitgehend der SPD, sie bekam knapp 38 Prozent der Stimmen, die USPD 7,6 Prozent. Zusammen fast 46 Prozent. Bei der Reichstagswahl im Folgejahr bekommt die SPD die Quittung: nur noch knapp 22 Prozent, während die USPD 17,6 und die KPD etwas mehr als zwei Prozent der Stimmen erhielten. In den kommenden Jahren löste sich die USPD praktisch auf, ein Großteil der Mitglieder ging zur KPD, die sich stetig autoritärer ausrichtete und bei den folgenden Reichstagswahlen nie auch nur das Wahlergebnis der USPD von 1920 erreichte. Die SPD wiederum hat nie wieder ein Wahlergebnis wie 1919 eingefahren, sie schwankte zwischen knapp 30 Prozent in den stabileren Jahren der Republik und gerade einmal 20 Prozent im Jahr 1932.

Gab es nicht noch einen weiteren Moment, in dem die Arbeiterschaft entscheidend war, nämlich beim Kapp-Putsch im März 1920?
Die Situation ist eigentlich noch ungeheuerlicher. Es kam zu einem rechten Militärputsch gegen die Regierung Ebert. Die nicht am Putsch beteiligten Militärs ließen die Regierung im Stich. Nur ein Generalstreik rettete noch einmal die Republik – und dann ließen die eben noch durch den Streik geretteten Ebert und Noske zu, dass das Militär blutige Rache an den Arbeitern nahm. Wieder fielen mehr als Tausend Menschen dem Terror zum Opfer.

»Viele wichtige Leute wurden umgebracht, nicht nur Luxemburg und Liebknecht. Leo Jogiches und der Kommandeur der Volksmarine­division, Heinrich Dorrenbach, wurden ermordet.«

Wurde hier die Arbeiterschaft politisch gebrochen?
Ja, auf jeden Fall. Das Verrückte ist ja, durch den Generalstreik, den Noske und Ebert noch im letzten Moment ausriefen, bevor sie Hals über Kopf aus Berlin flüchteten, wurde ihre Regierung gerettet. Sie flüchteten nach Dresden, wo General Ludwig Maercker saß. Er sagte ihnen, also der gewählten, vor putschenden Militärs flüchtenden Regierung, er müsse sie eigentlich festnehmen, ließ sie aber laufen. Die Regierung flüchtete nach Stuttgart, wo aber auch schon die Offiziere sich abgesprochen hatten – die Mehrheit war für Kapp. Nur weil Ebert und Noske den Offizieren weismachten, sie hätten den Generalstreik gar nicht ausgerufen, stellten sich wieder Teile des Militärs auf ihre Seite. Am Ende hat die Regierung sogar die Truppen, die gegen sie geputscht hatten, gegen die Arbeiter eingesetzt, die sich im Ruhrgebiet erhoben hatten, also gegen die sogenannte Rote Ruhrarmee. Auch die Gewerkschaftsführung hat in diesem ­Zusammenhang total versagt. Der Gewerkschaftsfunktionär Carl Legien war zwar auch ein Rechter, aber zumindest hat er eine Weile lang gesagt, ­diejenigen, die in der SPD für diese Verbrechen verantwortlich waren, müssten zurücktreten. Die USPD hat auch wieder nicht mitgemacht, auch die wäre eigentlich in dem Moment ­gefragt gewesen. Auch da gab es noch die Chance, eine Arbeiterregierung zu bilden, nur zu diesem Zeitpunkt hätte nicht nur Noske, sondern auch Ebert den Hut nehmen müssen.

War Ebert eine der historisch folgenreichsten Fehlbesetzungen für den weiteren Verlauf der Geschichte?
Auf jeden Fall war seine Rolle entscheidend. Sie erwähnten bereits Sebastian Haffner. In einem seiner letzten Interviews hat er gesagt, er bereue es zutiefst, dass er in jenem Fragebogen, den er auch einmal ausfüllen musste, auf die Frage, wer sind die verachtenswertesten Gestalten der Geschichte, nicht gesagt habe, »Noske und Ebert«. Und Haffner war ja nun eigentlich eher ein liberaler Konservativer.

100 Jahre ist die Revolution nun her. Was bedeutet dieser »verpasste Frühling« für die Gegenwart?
Wir haben gegenwärtig eine neue Massenbewegung, aber nach rechts. Es droht eine Art Faschismus. Die SPD ist am Verschwinden und bei aller Kritik sage ich das mit großem Bedauern. Denn ohne sie wird es schwer sein, zu verhindern, dass diese Kräfte auf parlamentarischem Weg an die Macht kommen. Ich kann mir aber kaum vor­stellen, dass es die SPD in zehn Jahren noch gibt. Diese Partei hat sich eigentlich immer selbst kaputt geschossen. Von Eigentoren zu sprechen, ist noch recht freundlich ausgedrückt. Das ist die Parallele: 1918 hat sie, als sie alle ihre alten Ziele hätte erreichen können, durch die Komplizenschaft mit dem Militär der eigenen Legitimität schweren Schaden zugefügt. Nun hat die ­Partei sich durch die »Agenda 2010« und die sogenannten Hartz-Reformen ins Abseits geschossen. Sie hat nichts aus ihrer Geschichte gelernt. Das ist tragisch.

 

 

Am Freitag, 9. November, wird Klaus Gietinger in der Berliner »Galeria Olga Benario«, Richardstraße 104, sein Buch vorstellen. Beginn: 19 Uhr