Julian Assange und die Pressefreiheit

Keiner von uns

Wir müssen die Pressefreiheit verteidigen – aber nicht Julian Assange. Wikileaks arbeitet wie ein Geheimdienst und unterstützt den Rechtsextremismus.

Allzu schwer ist es eigentlich nicht. Selbst zwei ehemalige Tory-Minister sowie zwölf Baronessen und Lords haben es begriffen. Sie und knapp 60 weitere britische Abgeordnete forderten Mitte April in einem offenen Brief an den britischen Innenminister Sajid Javid und die Labour-Schatteninnenministerin Diane Abbott, »Schweden jede Unterstützung zu gewähren«, wenn die Ermittlungen gegen Julian Assange ­wegen Vergewaltigung wieder aufgenommen werden sollten. »Wir bitten Sie dringlich, an der Seite der Opfer sexueller Gewalt zu stehen und anzustreben, dass die Vorwürfe gegen Herrn Assange nun ordnungsgemäß untersucht werden können.«

Linke haben eine Hierarchie würdiger Themen: oben die USA und der Imperi­alismus, ganz unten nervtötende Gender-Angelegenheiten, die die Solidarität mit Männern brechen

So heruntergekommen die Labour Party sein mag – viele ihrer Abgeordneten und sogar einige Konservative sind in Sachen konsequenter Ermittlungen in Fällen sexueller Gewalt fortschrittlicher als ein beachtlicher Teil der Linken. Bei diesen, so Nesrine Malik im Guardian, gebe es die Tendenz zu einer »Hierarchie würdiger Themen«, oben stünden die USA und der Imperi­alismus, ganz unten rangierten »nervtötende Gender-Angelegenheiten, die die Solidarität mit Männern brechen«.

Auch Axel Berger und Felix Klopotek (Jungle World 21/2019) fordern nur kryptisch eine »Klärung« des Vergewaltigungsvorwurfs und referieren kritiklos die Rechtfertigungsstrategie des Verdächtigen: »Unter der Voraussetzung einer Nichtauslieferung an die USA hatte Assange stets angeboten, mit Schweden zu kooperieren.« Die bescheidene Forderung, mal eben das rechtsstaatliche Verfahren für Aus­lieferungen außer Kraft zu setzen, wird wohlwollend als Bereitschaft zur ­Zusammenarbeit gewertet. Tatsächlich aber hatte sich Assange in die ecuado­rianische Botschaft zurückgezogen, um sich nicht der schwedischen Justiz stellen zu müssen – nachdem er zuvor keine Bedenken gezeigt hatte, sich in Schweden aufzuhalten.

 

Assange begann als Rechtslibertärer. Von dort ist der Weg zum Rechtsextremismus nicht weit.

Ursprünglich warfen US-Ermittler Assange eine konkrete Straftat vor, nämlich einen digitalen Einbruch. Die Strafverfolgung nach dem »Espionage Act« stellt jedoch tatsächlich einen Angriff auf die Pressefreiheit dar, da hier die Veröffentlichung von Material kriminalisiert werden soll. Man sollte also gegen diese Strafverfolgung und eine Auslieferung an die USA opponieren, aber auch fordern, dass Assange sich einem schwedischen Gericht stellt. Für Solidarität (»unbedingtes Zusammenhalten mit jemandem aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele« oder »auf das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Eintreten füreinander sich gründende Unterstützung«, wie der Duden lehrt) mit Assange hingegen fehlen die Voraussetzungen – jedenfalls sollte es in der Linken so sein.

»Ich liebe Märkte«, offenbarte Assange zu Beginn seiner Karriere im Jahr 2010 dem Magazin Forbes. Aber »damit es einen Markt gibt, muss es Informa­tionen geben«, da sich sonst Monopole bildeten, und diese Informationen würden nicht immer freiwillig herausgegeben. »Wikileaks wurde geschaffen, um den Kapitalismus freier und ethischer zu machen.« Assange war damals ein Rechtslibertärer, und die Staatsfeindlichkeit der Rechtslibertären ist die der egoistischen Einzelkämpfer. Von dort ist der Weg zum Rechtsextremismus nicht weit, eine solche Entwicklung ist angelegt im Sozialdarwinismus, der staatliche Umverteilung, den Sozialstaat und Antidiskriminierungsgesetze grundsätzlich ablehnt, und in der Ansicht, man müsse bei der Verfolgung eigener Interessen keine Rücksicht auf Regeln, Mitmenschen und Kollateralschäden nehmen.

Rechtslibertäre sind zudem unfähig zur Analyse und glauben, das Problem der Politik seien schmutzige Geheimnisse. Das führt oftmals in die Verschwörungsideologie, weil die Enthüllung des zuweilen tödlichen, aber immer recht ­banalen Treibens der Herrschenden sie nicht zufriedenstellen kann und sie glauben, da müsse noch etwas viel Böseres, Schmutzigeres sein, so etwas wie »Pizzagate« – eine Verschwörungstheorie über einen von Hillary Clinton ­betriebenen Kinderpornoring.

Wikileaks arbeitet nicht mehr als allgemeine Enthüllungsplattform, sondern wie ein Geheimdienst mit politischer Agenda.

Das schmutzige Geheimnis des Kapitalismus hat  bereits Karl Marx enthüllt, aber man kann es wohl nicht oft genug wiederholen: G-W-G‘. Sich auch mit jenen Formen der Herrschaftsausübung und Geschäftstätigkeit zu befassen, die vor der Öffentlichkeit verborgen werden sollen, ist keineswegs überflüssig. Es birgt aber die ­Gefahr, sich auf Skandale zu konzentrieren, die als moralische Verfehlungen in einem an sich guten System gesehen werden, das eben nur »freier und ethischer« ­gemacht werden müsse. Das Hauptangriffsziel der radikalen Linken sollte der Normalbetrieb des Kapitalismus sein.

Zudem bleibt ein Rätsel, was gemeint ist, wenn Berger und Klopotek behaupten, die Politik verlagere sich »immer mehr ins Arkane – in Geheimoperationen, Geheimverträge, Geheimverhandlungen«. Das Gegenteil ist der Fall. Das Leak ist integraler Bestandteil der Politik geworden, die Voraussetzungen für Geheimoperationen, die ihren Namen auch verdienen, sind durch die globale Verbreitung von Smartphones und Recherchenetzwerke wie Bellingcat geschwunden. Der Job von Whistle­blowern ist es, dringend benötigte ­Beweise für etwas zu beschaffen, das man längst weiß. Dass etwa Reiche Steuerbetrug begehen, ist keine Überraschung, aber es ist nützlich, dies belegen zu können. Überraschungen hatte auch Wikileaks nicht zu bieten. Selbst der wohl spektakulärste Coup, die Veröffentlichung des »Baghdad Airstrike«-Videos, enthüllte nichts. Unter Berufung auf Augenzeugen berichtete Reuters bereits am Tag des Massakers, dass ein US-Hubschrauber auf Journalisten und andere Zivilisten geschossen habe. Das Video brachte dann den Beweis.

Die Geheimnisse des Staates und der Konzerne aber erschöpfen sich nicht in vertuschten Massakern und »House of Cards«-kompatiblen Intrigen. Weitaus häufiger sind es die Geheimnisse der von der Staatsgewalt Betroffenen und der Lohnabhängigen, deren Veröffentlichung gefürchtet werden sollte. Die von Klopotek und Berger befürwortete ungefilterte Veröffentlichung (»radikale Öffentlichkeit gegen Arkanpolitik«) ist ein Verstoß gegen den ­Datenschutz, der sogar Menschenleben gefährdet, wenn es etwa um Homo­sexuelle in Saudi-Arabien oder Übersetzer des US-Militärs in Afghanistan geht.

Zudem arbeitet Wikileaks spätestens seit 2016 nicht mehr als allgemeine Enthüllungsplattform, sondern wie ein Geheimdienst mit politischer Agenda. Bereits im November des Vorjahres schrieb Assange an Wikileaks-Mitarbeiter, es sei »viel besser, wenn die GOP (Grand Old Party, die Republikaner, Anm. d. Verf.) gewinnt«. Dieser Vorgabe folgte Wikileaks im US-Wahlkampf. Tweets wie »Unsere Analyse zeigt, dass Trump bezüglich TPP recht hat« und »Trump hat recht, dass Libyen vor allem durch Clintons Handlungen zerstört wurde« zeigen, dass es nicht nur um die Diskreditierung der demokratischen Präsidentschaftskandidatin ging. Schwer zu glauben ist zudem, dass die Kommunikation von Wikileaks mit ­Donald Trump Jr. und Roger Stone, ­einem zeitweiligen Berater Trumps, nur ein unverbindlicher Meinungsaustausch war.

Reaktionäre, frauenfeindliche und antisemitische Äußerungen Assanges sind keine Ausrutscher, sondern geben seine ideologische Haltung wieder.

Beschafft wurden die Daten, die Clinton und die Demokraten diskreditieren sollten, nicht von Whistleblowern, sondern von Hackern des russischen Militärgeheimdiensts GRU, wie der Bericht des US-Sonderermittlers Robert Mueller feststellt. Assange deutete 2016 an, der nach Polizeiermittlungen einem Raubmord zum Opfer gefallene Seth Rich, ein Angestellter des Democratic National Committee, sei die Quelle der Enthüllungen gewesen; Wikileaks versprach eine Belohnung von 20 000 US-Dollar für Informationen, die zur Ergreifung des Täters führen – ein ­geradezu klassisches geheimdienstliches Ablenkungs- und Desinformationsmanöver.

Wikileaks hat die antidemokratischen Manipulationen der russischen Außenpolitik und den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump unterstützt. Reaktionäre, frauenfeindliche und antisemitische Äußerungen Assanges und anderer Wikileaks-Mitarbeiter sind keine Ausrutscher verschrobener Nerds, sondern geben die ideologische Haltung wieder, die dieser Politik zugrunde liegt. Auf der Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln muss die Linke bestehen, auch wenn es um ihre Feinde geht. Sie sollte aber auch deutlich sagen, dass Assange nicht viel mit Whistleblowern wie Can Dündar oder Alexander Nikitin gemein hat, sondern mehr mit Demagogen wie Steve Bannon.