Der nahe Osten – Bericht über die sächsischen Verhältnisse

Jäger und Schnitzel

Erst relativiert sie den Holocaust, dann kämpft sie für Schweinefleisch in Kitas: Die sächsische CDU tut alles dafür, die AfD intellektuell zu unterbieten.
Kolumne Von

Ob es Werner Patzelts Idee war? Der ehemalige Professor der TU Dresden und Pegida-Versteher, Mitglied der rechtsnationalen Werteunion (die sich selbst als »Zusammenschluss wertkonservativer und wirtschaftsliberaler Unionsmitglieder« versteht) und Ghostwriter für das Regierungsprogramm der sächsischen CDU, hatte schließlich bereits im April mit Blick auf die AfD verkündet: »Die Kopie wird immer mehr als schlechte Kopie erkannt. Das Original bleibt die CDU.« In den vergangenen Wochen hat sich die von ihm beratene sächsische Union zumindest alle Mühe gegeben, zu beweisen, dass sie im Kulturkampf von rechts das Niveau der AfD inhaltlich wie intellektuell noch locker unterbieten kann.

Zunächst veröffentlichte der Landesverband der CDU ein sogenanntes Share-Pic auf seiner Facebook-Seite, auf dem ein Foto der 1945 von alliierten Bomben zerstörten Dresdner Innenstadt neben einer Aufnahme einer heruntergekommenen Straßenecke aus Görlitz aus dem Jahr 1990 zu sehen ist. Umrandet wurde die Collage von dem Sinnspruch »Sozialismus hat nur für Leid gesorgt. Egal ob national oder ›real existierend‹.« Der Beitrag war gegen die Linkspartei und ihre Forderung nach einem demokratischen Sozialismus gerichtet.

Dass die CDU das Bild vom zerstörten Dresden nicht dafür benutzt, Stimmung gegen ihren direkten Konkurrenten, die AfD, und deren völkische Ideologie zu machen, sondern um ihr antikommunistisches Ressentiment auszuleben, erlaubt einen schönen Einblick in das sächsisch-konservative Weltbild, inklusive der Extremismustheorie, hier präsentiert in vollendeter Form: erst die DDR mit dem NS-Regime gleichsetzen und dann, in Reaktion auf Kritik daran, Nazideutschland und den Holocaust ideologisch entkernen und als »sozialistisches Experiment« bezeichnen, wie CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer es formulierte.

Dutzende Morddrohungen

Kurz darauf legte die Sachsen-CDU im Kulturkampf von rechts nach. Die Bild-Zeitung hatte reißerisch darüber berichtet, dass zwei Leipziger Kitas zukünftig auf Schweinefleisch beim Mittagessen verzichten wollten, aus Rücksicht auf zwei Kleinkinder aus muslimischen Familien. Es dauerte nicht lange und der rechte Internet-Mob drehte frei.

Die kulinarische Verteidigung des Abendlandes

Die sächsische CDU wollte da nicht abseits stehen und kritisierte auf Twitter das angebliche »Verbot« als inakzeptabel: »Jeder soll nach seiner Façon satt werden können!« Garniert war der Spruch mit einem Stock-Foto von Fleischspießen auf einem Grill. Eigentlich sollte man darüber lachen, zumal sich das verwendete Foto auch auf arabischen Internetseiten finden lässt: als Symbolbild für Shish Taouk, türkische Hähnchenspieße. Doch wegen des Shitstorms, den die CDU mit ausgelöst hatte, gingen Dutzende Morddrohungen ein, darunter die Ankündigung, den Hort niederzubrennen, »wenn auch zum Nachteil der Kinder«.

Das Ausmaß der Drohungen veranlasste den Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), vergangene Woche einen verzweifelten Aufruf zur Verteidigung der freien Gesellschaft auf Facebook zu veröffentlichen: »Was hier passiert ist und geschieht, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird, wenn bei den kommenden Wahlen die an die Macht kommen, die mit ihren Worten der Hetze heute schon die Saat gelegt haben.«

Kulinarische Verteidigung des Abendlandes

André Poggenburg, der von seinem sachsen-anhaltinischen AfD-Landesverband geschasste »zweite Höcke«, hatte mit seinem völkischen Wanderzirkus »Aufbruch deutscher Patrioten Mitteldeutschland« eine Kundgebung gegen »Islamisierung« vor der Kita angekündigt, diese kurzfristig aber wieder abgesagt. Wieso auch ­demonstrieren gehen, wenn die Regierungspartei den eigenen rassistischen Wahn teilt und die kulinarische Verteidigung des Abendlandes schon übernommen hat.

Die CDU hatte sich übrigens am Tag der Bild-Schlagzeile bereits mittags in die »Schweinefleisch-Debatte« eingeschaltet. In der Nacht darauf explodierte im ostsächsischen Zittau vor der Privatwohnung der Linkspartei-Stadträtin Ramona Gehring ein Sprengsatz. Sieben Scheiben gingen zu Bruch, während ihr Enkel in der Wohnung schlief. In diesem Fall brauchte die CDU über einen Tag, bis sich ihr Generalsekretär Alexander Dierks dazu äußerte und allgemein eine »Radikalisierung« beklagte. Der rassistische Angriff mit einer Machete auf zwei aus Libyen stammende Menschen in ihrer eigenen Wohnung in Dresden Anfang derselben Woche war der Regierungspartei noch nicht mal einen Kommentar wert.

Geschichtsrevisionismus, Schweinefleischdebatten und ohrenbetäubendes Schweigen angesichts rechtsextremer Gewalt bei der CDU – im sächsischen Wahlkampf ist bei der AfD Kreativität gefragt, will sie noch eigene Akzente setzen. Unter dem Motto »Die Jagdsaison ist eröffnet« hatte die Partei Mitte Juli ihren Wahlkampf eingeläutet; das ist bereits in Zittau und Dresden auf fruchtbaren Boden gefallen.