Donatella Di Cesare über die Regierungskrise in Italien

»Eine tiefe Krise der Demokratie«

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Interview Von

Eine zivile Opposition existiert trotzdem. Warum kann sie dem ­nationalistischen Souveränismus nichts entgegensetzen?
Ja, die gibt es und man hat den Eindruck, dass sie immer größer wird. In den vergangenen Monaten ist sie auch auf den Straßen lauter geworden. Das Problem ist, dass sie keinerlei politische Repräsentation findet. Jetzt wäre das wichtiger denn je, denn die Souveränisten sind keine politische Randgruppe, sie stellen eine Regierung und sie bestimmen den Diskurs. Auch in den Medien hat die Opposition nur bedingt eine Stimme, im vergangenen Jahr sind zahlreiche ­Medien, besonders in Norditalien, immer unkritischer geworden, was die Lega betrifft.

Aber auch ohne politische Repräsentation kann eine gesellschaftliche Opposition wachsen. In Ihrem jüngsten Buch »Vom politischen Beruf der Philosophie« schreiben Sie, es sei an der Zeit, dass die Philosophen »in die Polis zurückkehren«. Haben sich die Intellektuellen in Italien nicht dezidiert genug gegen den souveränistischen Populismus ausgesprochen?
Die Schwierigkeit für die Intellektuellen, im öffentlichen Diskurs zu intervenieren, ist durch die neuen Medien gewachsen. Zwar haben diese potentiell eine größere Reichweite als die tradi­tionellen Medien, aber das gilt eher für unterkomplexe Gedanken und Erklärungsmuster. Hinzu kommt, dass das populistische Klima, nicht nur in Italien, von einem starken Antiintellektualismus geprägt ist, die Figur des Intellektuellen hat an Bedeutung verloren, während die Figur des kritischen Intellektuellen zum Feindbild geworden ist. Mein Buch ist der Versuch, ein altes Tabu in Frage zu stellen, und zwar dass die Philosophen sich aus der Politik heraushalten müssen. Ich finde dagegen, dass es Zeit ist, dass die Philosophie in die Polis zurückkehrt, eine Polis, die zur globalen Metropole gewachsen ist. Die Philosophen sollen endlich auf den normativen Ton verzichten. Man muss anfangen, die Demokratie nicht nur von innen, sondern auch von außen wegen ihrer Verbindung mit dem Kapitalismus zu kritisieren.


Donatella Di Cesare ist Professorin für Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom. Sie schreibt unter anderem für die italienische Tageszeitung »Il Manifesto«, das Wochenmagazin »L'Espresso« und in Deutschland für »Die Zeit«. Sie ist Mitglied des Wissenschaftskomitees der Stiftung des Shoah-Museums in Rom. Wegen ihrer Arbeit über den Holocaust, den Antisemitismus und den Neofaschismus erhielt sie Todesdrohungen von Rechtsextremen, weshalb sie mehrere Jahre unter Personenschutz lebte. Di Cesare gehört zu den wenigen Intellektuellen, die derzeit ihre Stimme gegen die rechte Regierung erheben. Ihr jüngstes Buch, »Vom politischen Beruf der Philosophie«, soll 2020 bei »Matthes & Seitz« auf Deutsch erscheinen.