Ein der Linkspartei nahestehender Gutachter kritisiert, dass sich die »Arbeitsdefinition Antisemitismus« auch auf Israelhasser anwenden lässt

Nur rechts ist echt

Seite 2

Ullrichs Gutachten empfiehlt, von der Definition Abstand zu nehmen; sie könne als Arbeitsgrundlage nicht verwendet werden. Neben begrifflicher, theoretischer und anwendungspraktischer Kritik stört den Autor vor allem eines: Positionen zum Palästina-Konflikt könnten aufgrund der IHRA-Defi­nition »vorschnell als antisemitisch klassifiziert werden«. In der Debatte seien »die Maßstäbe komplett verrutscht«, sagte Ullrich in einem Taz-Interview. Die Definition lenke davon ab, dass Gefahr für Juden vor allem von rechts und nicht von muslimischen, linken oder antizionistischen Gruppen wie der Boykottbewegung BDS ausgehe. Im Rechtsextremismus habe der Antisemitismus »seinen genuinen Platz und ist weltbildstiftend«, sagte Ullrich in ­einem Interview mit der FR. In der Linken seien mittlerweile »antisemitische Positionen, auch sehr radikale Kritik an Israel, weitgehend marginalisiert« worden. Die Beschäftigung mit Anti­semitismus sei »völlig auf Israel, den Nahostkonflikt und vor allem die BDS-Bewegung fixiert«.

Während Ullrich die fehlende Auseinandersetzung mit christlichen Wurzeln und Traditionen des Antisemitismus sowie mit rechtsextremen Bewegungen in der IHRA-Definition kritisiert, verliert er kein Wort über den für Juden weltweit oft mörderischen islamischen Antisemitismus. Er beklagt lieber, dass die Arbeitsdefinition, wie er der Taz sagte, »politisch enorm einflussreich« sei. Sie habe, so Ullrich auf ­seinem Blog, eine »quasi-rechtliche Wirkung entfaltet«, obwohl ihre Legitimität umstritten sei. Dreh- und Angelpunkt seiner Ablehnung ist: Die Schwächen der Arbeitsdefinition seien »das Einfallstor für ihre politische Instrumentalisierung, etwa um gegnerische Positionen im Nahostkonflikt durch den Vorwurf des Antisemitismus moralisch zu diskreditieren«, wie es in dem Gutachten heißt. Dies habe grundrechtliche Implikationen, da die Definition immer ­öfter im Verwaltungshandeln herangezogen werde; faktisch sei sie ein zu Willkür einladendes Instrument. »Dieses kann ­genutzt werden, um Grundrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit, in Bezug auf missliebige israel­bezogene Positionen zu beschneiden.« Das zeige sich bereits in der politischen Realität. Als Beispiele führt Ullrich Beschlüsse verschiedener Kommunen an, die an BDS keine städtischen Räume mehr vermieten; außerdem den Beschluss des Bundestags vom Mai 2019, der BDS verurteilt und dabei die IHRA-Definition erwähnt.

Ullrichs Argumentation erinnert an dieser Stelle an die von Vertretern der extremen Rechten, etwa von der AfD, die sich zu Opfern stilisieren, weil sie nicht an jedem Ort reden können, an dem sie wollen. Doch Meinungsfreiheit ist ein Abwehrrecht gegen staatliche Zensur; BDS-Vertreter können aber in Deutschland ihre Meinung frei äußern, ihre Publikationen werden nicht zensiert. Unerwidert müssen sie allerdings nicht bleiben; und staatliche oder städtische Gelder oder Räume muss BDS nicht erhalten.