Seit den »Baseballschlägerjahren« der frühen Neunziger gab es eine Kontinuität rechtsextremer Gewalt

Baseballschläger zu Schusswaffen

Die Aufarbeitung der »Baseballschlägerjahre« nach dem Ende der DDR ist wichtig. Doch leider geraten bei der Beschäftigung mit dieser Zeit häufig die Kontinuitäten aus dem Blick.

Nach jedem neuen Akt rechtsextremer Gewalt ist zuverlässig irgendwo zu ­lesen, die gegenwärtige Lage erinnere an die Pogromzeit der neunziger Jahre. Es ist ein Gänsehautvergleich, der bei manchen, die diese Zeit erlebt haben, an Traumata rührt. Jüngere hingegen können sich den Furor schwer vor­stellen, mit dem damals in kurzer Zeit eine nazistische Massenbewegung Straßen und Schulhöfe flutete. Zur Aufpäppelung der Imaginationskraft der Nachgeborenen sind inzwischen mehrere autobiographisch geprägte Romane über jene Zeit erschienen, und seit Ende Oktober gibt es auch einen Hashtag zum Thema: #baseballschläger­jahre. Endlich, möchte man sagen, nachdem die alltägliche Gewalt jener Zeit bereits aus dem kollektiven Gedächtnis zu schwinden drohte. Nur, haben sie denn je wirklich aufgehört, die »Baseballschlägerjahre«?

Was der Vergleich zwischen heute und damals, gewollt oder ungewollt, stets mittransportiert, ist der Mythos, in der Zwischenzeit habe es irgendwann einmal eine Phase der Besinnung und friedlichen Einkehr gegeben. Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 vielleicht, als »die Welt zu Gast bei Freunden« war und Politik und Medien sich daran berauschten, dass es offenbar nicht zwangsläufig zu ­Pogromen führt, wenn sich Deutsche massenhaft unter Nationalfahnen ­versammeln?

Dieses gelungene Nationalmarketing übertünchte seinerzeit, dass vor der WM englischsprachige Reiseführer Rassismus und Nazigewalt in Ostdeutschland thematisiert, das US-Außenministerium eine Reisewarnung ausgesprochen und der Afrika-Rat, ein Dachverband afrikanischer Vereine und Initiativen in Berlin und Brandenburg, eine Liste mit Ratschlägen zum Verhalten bei rassistischen Angriffen ver­öffentlicht hatte. Der Kommentar des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (CDU): alles nur »Betroffenheits- und Erregungs­rhetorik«, schließlich würden auch »blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten«. Worauf aber bezogen sich die Warnungen überhaupt, die ge­fährlichen neunziger Jahre waren doch vorbei?

Recherchen der Amadeu-Antonio-Stiftung zufolge ermordeten Rechts­extreme zwischen 2000 und 2005 57 Menschen – nur 13 weniger als im Zeitraum von 1990 bis 1995. Die Stiftung zählt 198 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990, das Bundes­kriminalamt und die Landespolizeien 100 seit dem 3. Oktober desselben Jahres. Das liegt auch daran, dass die Polizei rechtsextreme Tötungsdelikte teilweise erst nach Jahren als solche einstuft. Erst im vergangenen Monat wertete das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt einen im Oktober 2003 von einem Rechtsextremen begangenen Dreifachmord als rechts­extrem motiviert.

So nötig es ist, an die »Baseballschlägerjahre« im Zuge der sogenannten Wiedervereinigung zu erinnern, so unerlässlich ist es, sich der Kontinuität der Entwicklung seither bewusst zu werden.

2014 wurde Pegida gegründet, und im selben Jahr begann auch der Siegeszug der AfD, der zu Erfolgen bei der ­Europawahl und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen geführt hatte. Der braune Aufmarsch fand bald neue Aktions- und Präsentationsformen, bildete mit Ver­lagen, Zeitschriften und Web-Präsenzen ein dichtes rechtsextremes Netzwerk, das den rassistischen Studienrat mittlerweile ebenso passgenau versorgt wie den jungen Stiefelnazi. Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, wird auch in bürgerlichen Kreisen die Legende gepflegt, Bundeskanzlerin ­Angela Merkels (CDU) Entscheidung, die Grenzen im Sommer 2015 nicht zu schließen, sei der Auslöser für eine Welle rassistischer Gewalt sowie die fortschreitende Verbreitung rechtsextremer Einstellungen gewesen. Angaben des Bundesinnenministeriums zufolge nahm die Zahl rechtsextrem motivierter Gewalttaten bereits 2014 (1 029 Fälle) im Vergleich zum Vorjahr (837 Fälle) um mehr als 20 Prozent zu.

So nötig es ist, an die »Baseballschlägerjahre« im Zuge der sogenannten Wiedervereinigung zu erinnern – an all die brennenden Häuser, Morde und Menschenjagden –, so unerlässlich ist es, sich der Kontinuität der Entwicklung seither bewusst zu werden. Zwar gab es den Begriff »besorgte Bürger« in den Neunzigern noch nicht, ein politisches Interesse daran, zwischen den Brandstiftern und der ihnen zujubelnden Menge zu differenzieren, aber schon. Um die große Nationalerzählung von einer rundum gelungenen »Wiedervereinigung« nicht zu beschädigen, wurde die offensichtliche Affinität weiter Kreise zu rassistischem und völkischem Gedankengut einfach ausgeblendet und jedes neue rechtsextreme Fanal seither konsequent isoliert betrachtet: NSU, Pegida, das »Hannibal«-Netzwerk, der Mord an Walter Lübcke, das Attentat von Halle und so weiter.