Für Bundesregierung und ­Bundestag ist Israel mal wieder das größte Friedenshindernis

Den jüdischen Staat maßregeln

Seit dem 1. Juli hat Deutschland sowohl die Ratspräsidentschaft der EU als auch den Vorsitz des UN-Sicherheitsrats inne. Den zusätzlichen weltpolitischen Einfluss nutzt die Bundesregierung prompt, um Israel zu tadeln. Es geht angeblich um nicht weniger als die »Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit«.

Es kommt höchst selten vor, dass der Deutsche Bundestag eine zwar angekündigte, aber noch nicht erfolgte Ausdehnung der Hoheitsrechte eines Staats auf ein Gebiet, das bis dahin nicht zu ihm ­gehörte, in einer Resolution verurteilt. Selbst als Russland 2014 die Annexion der Krim nicht nur plante, sondern schließlich vollzog, gab es im Parlament keinen Beschluss dazu. Wenn es aber um Israel geht, sehen die ­Dinge generell anders aus. Man denke an den interfraktionellen Antrag vom Juli 2010, das Vorgehen der israelischen Marine gegen die sogenannte Gaza-Flottille in den Gewässern vor der Küste des Gaza-Streifens international zu ­untersuchen, wobei vorsorglich festgehalten wurde, es gebe »starke Hinweise, dass beim Einsatz von Gewalt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wurde«. Der Antrag wurde sei­nerzeit ohne Gegenstimme angenommen, und von der CSU bis zur Linkspartei betonten alle Redner, wie glücklich sie damit seien.

Nun hat der Bundestag erneut ohne Gegenstimme einen Beschluss zum jüdischen Staat gefasst, was umso bemerkenswerter ist, als ihm gleich mehrere Anträge dazu vorlagen. Es geht um die Überlegung der israelischen Regierung, die staatliche Souveränität auf Teile des Westjordanlands zu erweitern. Zwar ist in dieser Hinsicht noch nichts geschehen; bislang hat es keine Abstimmung in der Knesset gegeben, die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens ist unklar, und es sind erst recht noch keine militärischen Maßnahmen ergriffen worden.

Dennoch haben alle Bundestagsfraktionen Anträge zum Thema formuliert. Am Ende wurde die gemeinsame Vorlage der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD angenommen. Sie trägt den Titel »Frieden, Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten fördern – Am Ziel der verhandelten Zweistaatenlösung festhalten«. Darin heißt es unter anderem, eine »einseitige Erklärung israelischer Souveränität« könne »erhebliche Auswirkungen auf den Friedensprozess des Nahen Ostens und die regionale Stabilität haben«, ein Ende der Zweistaatenlösung bedeuten, die Friedensabkommen Israels mit Jorda­nien und Ägypten sowie die Sicherheit des jüdischen Staates gefährden, Jor­danien destabilisieren, die »ohnehin fragile Stabilität in den palästinen­sischen Gebieten in Gefahr« bringen und das Risiko »erneuter ­gewaltsamer Auseinandersetzungen« erhöhen. Die Bundesregierung solle deshalb »der dringlichen For­derung an die israelische Regierung, von einer Annexion von Teilen des Westjordanlandes und von dem weiteren Ausbau der Siedlungen abzusehen, die beide im Widerspruch zu inter­nationalem Recht stünden, Nachdruck verleihen«.

Hat man solche Töne je gegenüber der palästinensischen Seite vernommen, wenn diese mal wieder Raketen auf Israel schoss, Selbstmordattentäter schickte oder Vernichtungsdrohungen aussprach? Gibt es überhaupt andere internationale Konflikte, bei denen der Bundestag an eine Seite ähnlich markige Worte richtet, während er sich gleichzeitig der »besonderen Beziehungen« zu dieser Seite rühmt? Einzig der FDP-Abgeordnete Bijan Djir-Sarai wies ­darauf hin, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, als er in seiner Plenar­rede sagte: »Es ist bemerkenswert, wie oft und motiviert hier im Deutschen Bundestag über Israel diskutiert wird. Bis zum heutigen Tag kenne ich keine einzige Resolution, kein einziges Papier des Deutschen Bundestags, wo die ­Islamische Republik Iran verurteilt wird, wo Menschenrechtsverletzungen im Iran verurteilt werden und wo vor ­allem die Rolle des Irans in der Region verurteilt wird.«

Der Bundestag führte diese Debatte am 1. Juli. Just an diesem Tag übernahm Deutschland für sechs Monate die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und zudem für einen Monat als nichtständiges Mitglied den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Da hatte es offenbar höchste Priorität für die deutsche Außenpolitik, den jüdischen Staat zu maßregeln und Erwägungen der israelischen Regierung entgegenzutreten, »zu denen niemandem Details vorliegen« und »von denen wir nicht wissen, ob sie heute, morgen oder eventuell auch überhaupt nicht umgesetzt werden«, wie Bijan Djir-Sarai anmerkte. So viel Zurückhaltung mochte Bundes­außenminister Heiko Maas (SPD) nicht zeigen. Er sagte in seiner Rede im Bundestag, durch den gleichzeitigen Vorsitz in der EU und bei der Uno ­trage Deutschland »eine ganz besondere Verantwortung, und zwar für Frieden und Stabilität in Israel und der Region, im Nahen Osten insgesamt«.

Bijan Djir-Sarai (FDP) kritisierte, dass beim jüdischen Staat mit zweierlei Maß gemessen wird: »Es ist bemerkenswert, wie oft und motiviert hier im Bundestag über Israel diskutiert wird.«

Dieser Verantwortung wird man aus seiner Sicht anscheinend am besten gerecht, indem man Israel schon mal vorsorglich die Verantwortung für ­Destabilisierung und Friedensgefährdung zuschiebt. Die palästinensische Seite bedachten die Regierungsparteien in ihrem Antrag derweil lediglich mit der freundlichen Aufforderung, für »demokratische Legitimität mittels Parlaments- und Präsidentschaftswahlen« zu sorgen, die seit fast 15 Jahren nicht mehr stattgefunden haben, und sich »mit eigenen Vorschlägen konstruktiv an der Lösung des Konflikts« zu be­teiligen. Deutschland fühle sich Israel zwar »verpflichtet«, so Maas, aber das gelte mit Blick auf »unsere historische Verantwortung« genauso »für die Einhaltung der Grundsätze des Völkerrechtes«. Und wenn der jüdische Staat sich diesbezüglich unbotmäßig ver­halten sollte, bekommt er es mit dem selbstbewussten postnazistischen Deutschland zu tun: »Dazu zu schweigen, ist keine Alternative. Das werden wir auch nicht, und das müssen dann auch die aushalten, die dafür verantwortlich sind.«

Wenige Tage nach seiner Bundestagsrede bekräftigte Maas gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Frankreich, Ägypten und Jordanien, dass »jede Annexion der 1967 besetzten palästinensischen Gebiete gegen das Völkerrecht« verstoße und dass man »keinerlei Veränderung der Grenzen von 1967 anerkennen« werde, »die nicht von beiden Konfliktparteien vereinbart wurde«.

Mit Sanktionen gegen Israel droht die Bundesregierung bislang noch nicht. Es ist jedoch fraglich, ob Deutschland widersprechen würde, sollte der jüdische Staat im Falle der Ausdehnung seiner Souveränität auf einen Teil des Westjordanlands beispielsweise von bestimmten EU-Programmen wie der Forschungsförderung »Horizon« ausgeschlossen werden, wie es im Europaparlament diskutiert wird. Schließlich besteht für die Bundesregierung ausweislich einer Erklärung auf ihrer Website ihre »zentrale Aufgabe« im Juli, also während des deutschen Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat, in nicht weniger als der »Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit«. Diese Ambitionen will man sich natürlich nicht von Israel verderben lassen.

 

Ursprünglich hieß es zu Beginn dieses Textes, es habe zur Annexion der Krim keine Bundestagsdebatte gegeben. Das ist falsch. Wir haben die betreffende Stelle korrigiert. 28.7.2020