20.08.2020
Die Finanzialisierung des ­Immobilienmarktes

Geländegewinne trotz Enteignungsdrohung

Die finanzialisierte Wohnungswirtschaft gewinnt in Deutschland an wirtschaftlicher Bedeutung.

Im Juli stieg mit der Deutsche Wohnen AG eine zweite börsennotierte ­Immobilienaktiengesellschaft in den deutschen Leitindex Dax auf. Dieser misst den Aktienwert der 30 größten und finanzkräftigsten börsennotierten Unternehmen. Europas größter Wohnungskonzern Vonovia SE gehört bereits seit 2015 zu dieser Gruppe. Zwar be­sitzen börsennotierte Wohnungsunternehmen nur einen kleinen Teil des deutschen Wohnungsbestands. An ihren regionalen Schwerpunkten wie dem Ruhrgebiet, Berlin, Dresden oder Bremen verfügen sie jedoch über bedeutende Marktmacht und treiben durch Modernisierungen und Mietsteigerungen das lokale Mietniveau in die Höhe. In vielen Regionen vernetzten sich betroffene Mieterinnen miteinander und protestieren gegen die profit­orientierte Wohnraumbewirtschaftung. Doch weder der Protest noch die in den vergangenen Jahren wieder zunehmenden staatlichen Eingriffe in den Wohnungsmarkt konnten bisher den Aufstieg der börsennotierten Immo­bilienaktiengesellschaften aufhalten.

Den Immobilienmarkt kennzeichnet ein fortwährender Konzentrations­prozess. Die Unternehmen versuchen, ihre Konkurrenten zu übernehmen.

Nach dem Prinzip des shareholder ­value stehen die Unternehmen bei ihren Anlegerinnen in der Pflicht, die Gewinne zu maximieren. Stetig optimieren sie ihre Unternehmensführung: Zum Leidwesen vieler Mieter sparen sie bei Investitionen in Instandhaltung und beim Kundenservice. Erwartete Miet- und Wertsteigerungen preisen sie als Buchgewinne ein. Allen voran dehnt die Vonovia ihre Geschäftsfelder auf immobilienbezogene Dienstleistungen aus. Für Hausmeistertätigkeiten beauftragt sie eigens gegründete Tochterunternehmen, die Betriebskostenabrechnungen sind dann kaum noch überprüfbar.

Aus den auf diese Weise erzielten Profiten zweigen die Unternehmen die ­Dividenden für ihre Aktionäre ab. Die Börsennotierung verschafft den Immobilienaktiengesellschaften Zugang zu erweiterten Finanzierungsmöglichkeiten, was ihnen einen Konkurrenzvorteil gegenüber nicht börsennotierten Wohnungsunternehmen verschafft. Sie können Anleihen ausgeben und generieren Geldkapital über verschiedene Finanzprodukte. Der Aufstieg der Deutsche Wohnen in den Dax, 21 Jahre nach ihrer Gründung durch die Deutsche Bank, erhöht die ­Attraktivität des Konzerns und der gesamten deutschen Immobilienbranche, was weitere internationale Investoren auf den deutschen Wohnungsmarkt locken dürfte. Zugleich zeigt die Aufnahme in den Dax symbolisch, dass die finanzialisierte, auf Kursgewinne ausgerichtete Wohnungswirtschaft für die deutsche Ökonomie immer wichtiger wird.

»Immobilien sind in Deutschland ein zentraler Wirtschaftszweig, der mit einer stärkeren marktwirtschaftlichen Bewirtschaftung sehr großes Potenzial bietet«, hieß es im Geschäftsbericht von Vonovia nach der Aufnahme in den Dax. Der Staat ebnete den Weg dahin, wie der Soziologe Philipp Metzger in seinem jüngst erschienenen Buch »Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Wohnungsmarktes« darlegt. Metzger gibt einen guten Überblick über die politischen Entscheidungen, die die Finanzialisierung, also der Investorenorientierung des zuvor stark regulierten deutschen Wohnungsmarktes überhaupt erst ­ermöglichten. Er unterscheidet dabei drei Phasen: Zunächst schaffte der Staat im Jahr 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit ab und privatisierte Anfang der neunziger Jahre Teile des staatlichen Wohnungsbestands der DDR. Anschließend liberalisierte die rot-grüne Bundesregierung ab 1998 die Kapitalmärkte. Durch mehrere Finanzmarktfördergesetze bereitete sie internationalen Investoren das Feld. Davon profitierten insbesondere private equity funds. Diesen Kapitalsammelstellen stellen institutionelle Anleger für eine festgelegte Laufzeit Geld zur Verfügung. Die Fonds übernehmen damit Unternehmen, verwerten diese gewinnbringend und beendeten ihr Engagement mit einem sogenannten Exit. Die in den nuller Jahren privatisierten kommunalen Wohnungsbestände gingen ausschließlich an private equity funds. Als Exit-Strategie brachten sie ihre Wohnimmobilienportfolios nach der globalen Finanzkrise ab 2007 an die Börse; so entstanden die börsennotierten Immobilienaktiengesellschaften. In dieser dritten Phase der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes ordnet sich derzeit das Feld.

Das Geschäftsmodell ist langfristig orientiert. Das Segment unterliegt ­einem fortwährenden Konzentrationsprozess, denn die Unternehmen ver­suchen, ihre Konkurrenten zu übernehmen. Die Finanzialisierung des Wohnungsmarkts führte, anders als beispiels­weise in den USA, nicht dazu, dass breite Schichten der Bevölkerung Wohneigentum erwarben und sich dafür verschuldeten. Stattdessen fand die »Transformation zur Finanzialisierung« statt, »ohne dass größere Teile der Mieter zu Eigentümern geworden wären«, wie Metzger schreibt. Zugleich wächst im »finanzdominierten Akkumulationsregime«, wie der französische marxistische Ökonom François Chesnais die gegenwärtige Epoche nennt, der Einfluss institutioneller Investoren wie Fonds, Vermögensverwaltungen oder Versicherungen auf dem Mietwohnungsmarkt, die zu den größten Anteilseignern an den finanzialisierten Wohnungsunternehmen zählen.

Metzger sieht trotz des von ihm diagnostizierten Bedeutungsgewinns nur eine »brüchige Hegemonie« der finanzialisierten Mietform. Es fehle die materielle Basis für eine stabile Hegemonie, da die Finanzialisierung für die Lohnabhängigen kein Eigenheim bedeute, sondern »höhere Mieten bei gleichzeitig schlechterer Wohnqualität«. Während die Hegemonie auf Bundesebene noch am stabilsten ausgeprägt sei, werde sie auf Landesebene unbeständig und auf lokaler Ebene brüchig. Als Beleg führt Metzger die wohnungspolitischen Vorstöße der rot-rot-grünen Landesregierung in Berlin und die lokalen Widerstände von Mieterinnen an. Dem steht entgegen, dass der Berliner »Mietendeckel« als bisher schärfster Eingriff in den Wohnungsmarkt der Deutsche Wohnen mit ihren großen Beständen in Berlin zwar Einnahmeverluste in Millionenhöhe beschert, sie aber nicht davon abhält, weitere Häuser zu kaufen.

Die börsennotierten Immobilienaktiengesellschaften reagieren auf die Kritik mit sozial anmutenden Maßnahmen, um den Protest zu besänftigen und ihre Position weiter auszubauen. Den politisch Verantwortlichen bieten sie sich durch freiwillige Selbstverpflichtungen und sozial ausgestaltete Modernisierungsvereinbarungen als Partner für die Wohnraumversorgung an. Mit verschiedenen Berliner Bezirken schloss die Deutsche Wohnen Kooperationsverträge zu Modernisierungs­vorhaben und Abwendungsvereinbarungen, sprich den temporären Verzicht auf Umwandlung in Wohneigentum und Luxussanierungen.

Im Ziekowkiez in Reinickendorf sicherte sich die Vonovia durch ein ­Vorzeigeprojekt Zustimmung über Parteigrenzen hinweg: 1 100 Wohnungen sollen behutsam modernisiert und 600 Wohnungen neu gebaut werden, davon 30 Prozent als Sozialwohnungen. Solche Ankündigungen hören Politiker gern. Die Enteignungsdrohung des Bündnisses »Deutsche Wohnen und Co enteignen« ist hier ein nützliches Druckmittel. Im Parteitagsbeschluss der Berliner Grünen zum Enteignungsvolksbegehren heißt es etwa: »Der Volksentscheid ist ein Weckruf an die Politik, dass dem im Grundgesetz festgeschriebenen Leitsatz ›Eigentum verpflichtet‹ auch im Bereich Wohnen und Boden Geltung verschafft werden muss.« Und weiter: »Wir wollen, dass der Staat wieder auf Augenhöhe mit Wohnungsunternehmen verhandeln und agieren kann.« Alle beteiligten Akteure sollen zu einem Runden Tisch zusammenkommen, um Maßnahmen zum Mieterschutz zu erarbeiten.

Diese Pläne schreiten voran. Zuletzt änderte das Bündnis auf Druck des Berliner Senats den Beschlusstext für das Volksbegehren. Danach muss die Landesregierung kein Gesetz mehr erarbeiten, wenn das Volksbegehren ­erfolgreich ist, sondern wird lediglich aufgefordert, »alle Maßnahmen ein­zuleiten«, die zur Vergesellschaftung erforderlich sind. Eine Frist wird nicht genannt. Das öffnet die Tür für jedwede Form von Kompromissen. Vor dieser Änderung hatte sich die Rechtsprüfung des Volksbegehrens beim Senat über ein Jahr hingezogen.

Nachdem er vor Jahrzehnten die kommunalen Wohnungsbestände an das Finanzkapital übereignet hatte, verlangt der Staat nun angesichts von Wohnungsnot und wachsenden Protesten, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums stärker hervorzuheben. Eine Enteignung von Dax-Konzernen ist dagegen nicht in seinem Interesse und nicht zu erwarten, bis die politischen Kräfteverhältnisse sich so wandeln, dass dies erzwungen werden kann.