Der Verschwörungskult Qanon erhält mittlerweile auch hierzulande Aufmerksamkeit

Wenn Trolle töten wollen

Lange Zeit wurde der Verschwörungsmythos Qanon in Deutschland belächelt. Allmählich wird jedoch auch hierzulande registriert, dass es sich um einen Kult mit tödlichen Absichten handelt.

Donald Trump bleibt Präsident der USA. In Frankfurt am Main drangen nämlich kürzlich bewaffnete US-Agenten in ein dort von der CIA betriebenes Rechenzentrum ein und beschlagnahmten ­Beweise für einen umfassenden Wahlbetrug der Mächtigen dieser Welt.

Was klingt wie eine heftige Fieberphantasie, verbreitet derzeit ein ehemaliger Dreisternegeneral der US-Luftwaffe. Der 83jährige Thomas McInerney, ein Anhänger von Verschwörungsmythen, ist damit kurzzeitig zum Hoffnungsträger der Anhänger Trumps geworden. Wie diese reagieren werden, wenn im Januar trotzdem Joe Biden vereidigt wird, weiß niemand. Es kursieren bereits Aufrufe, sich in diesem Fall zu bewaffnen und einen Bürgerkrieg gegen »die Elite« zu beginnen.

Die Bundesregierung warnte vor der »Resonanz«, die Qanon in Deutschland erhalte. Die Behörden verfolgten die Entwicklung »mit großer Aufmerksamkeit«, gab das Innenministerium an.

Maßgeblich an dieser Zuspitzung beteiligt ist eine Bewegung, die seit 2017 bekannte Verschwörungsmotive in einer großen Lügengeschichte bündelt und damit Millionen Menschen erreicht: der Qanon-Kult, demzufolge eine pädophile satanistische »Elite« einen weltweit operierenden Kinderhandelsring unterhält und Kinder ermordet, um aus ihrem Blut ein Verjüngungselixier zu gewinnen. Qanon-Anhänger wie McInerney glauben, Donald Trump bekämpfe diese »Elite«.

Wie die Reichsbürger wurde auch ­Qanon in Deutschland zunächst nicht als gefährliche Bewegung wahrgenommen. Im Gegenteil: Im Spätsommer 2018 spekulierten deutschsprachige Feuilletons, angefeuert durch die Pressemitteilung eines Verlags, der naiv oder geschäftstüchtig die Chance sah, eines seiner Bücher zu verkaufen, der Verschwörungskult könnte vom Autorenkollek­tiv Luther Blissett initiiert worden sein, das 1999 mit dem Roman »Q« international bekannt geworden war.

Dass Qanon keine lustige intellektuelle Spielerei ist mit dem Ziel, Verschwörungskulte vorzuführen, hätte damals längst klar sein können. In den USA hatte es zu diesem Zeitpunkt bereits sechs ernste Vorfälle gegeben, die direkt mit den von Qanon verbreiteten Lügengeschichten in Zusammenhang standen.

Im Mai 2018 hatte ein Anhänger Trumps neun Tage lang einen Turm auf dem verlassenen Gelände einer Zementfabrik in Tucson besetzt, die er für eine der Zentralen des Kinderhandels hielt. Kurz darauf wurde die Schauspielerin und Qanon-Anhängerin Roseanne Barr vom US-amerikanischen Fern­sehsender ABC entlassen, Anlass war ein rassistischer Tweet über Valerie Jarrett, eine ehemalige Beraterin von Barack Obama. Barr hatte auf Twitter zuvor mehrmals Qanon-Botschaften und unter anderem die von dem Verschwörungskult maßgeblich verbreitete Lüge geteilt, George Soros habe als 14jähriger in Ungarn als Handlanger der Nazis bei der Deportation von Juden geholfen.

Im Juni 2018 hatte ein schwerbewaffneter Mann mit seinem gepanzerten Fahrzeug fast zwei Stunden lang den Hoover-Damm besetzt und die Veröffentlichung eines Reports über das Verhalten von FBI-Agenten im Zusammenhang mit den Ermittlungen in Hillary Clintons E-Mail-Affäre gefordert. Der Report war zwar einen Tag zuvor publik gemacht worden, Qanon hatte allerdings verlautbart, dass es sich um eine bewusst verfälschte Version handele; Präsident Trump sei im Besitz des Originals, das ungeheuer brisant sei.

Bereits Mitte Juli hatte Apple nach einem Bericht des Fernsehsenders NBC über Qanon die monatelang im Store des Unternehmens in der Rubrik »Entertainment« angebotene Qanon-App namens QDrops aus dem Sortiment genommen.

Es folgten zwei Vorfälle, die unmittelbar gegen Personen gerichtet waren, die als Feinde Trumps gelten und als Drohungen interpretiert werden können: Qanon postete Ende Juli 2018 das Foto eines Unbekannten, der in der Nähe des Büros von Michael Avenatti stand. Dieser vertrat damals als Rechtsanwalt die Pornodarstellerin Stormy Daniels, die von Trumps Wahlkampagne Schweigegeld erhalten hatte. Der Mann auf dem Foto trug in einer Hand einen spitzen, langen Gegenstand, der ebenso wie er selbst nie identifiziert werden konnte.

Ebenfalls Ende Juli wurde der CNN-Reporter Jim Acosta während einer Kundgebung Trumps in Florida von Personen bedroht, die die britische Zeitung The Independent damals als Anhänger der »bizarren Online-Community namens Qanon« bezeichnete.

Die von Qanon ausgehende Gefahr wurde in Deutschland zunächst nicht sehr ernst genommen, die meisten der ohnehin wenigen Medienberichte stellten die Anhänger des Verschwörungskults als Trolle oder bizarre Verrückte dar. Dass Qanon in großem Maßstab und unverhohlen antisemitische und rassistische Lügen verbreitet, ging im allgemeinen Amüsement über die »Spinner« meist unter.
Kulte zu verniedlichen, die es tödlich ernst meinen, hat durchaus Tradition: Das bereits seit den achtziger Jahren bestehende Milieu der Reichsbürger wurde ebenfalls lange nicht ernst genommen, obwohl seine Ideologie unter anderem deutlich erkennbar von Judenhass geprägt war und ist. Äußerungen und Videos von Protagonisten der Bewegung wurden jahrelang zur Belustigung herumgereicht, oft gebrauchte Sätze gingen in den Sprachgebrauch interessierter Beobachter ein. Berichte von Behördenmitarbeitern und Gerichtsvollziehern, die sich von den immer rabiater auftretenden Reichsbürgern immer häufiger terrorisiert fühlten, blieben dagegen weitgehend unbeachtet.

Das änderte sich erst am 19. Oktober 2016, als der Reichsbürger Wolfgang P. im bayerischen Georgensgmünd während der geplanten Beschlagnahme seiner illegalen Waffen einen SEK-Beamten erschoss und drei weitere verletzte. Knapp zwei Monate zuvor hatte der ebenfalls der Reichsbürgerbewegung zugerechnete ehemalige Mr. Germany, Adrian U., in Sachsen-Anhalt anlässlich einer geplanten Zwangsräumung einen Polizeibeamten angeschossen. Der mittlerweile zu lebenslanger Haft verur­teilte Wolfgang P. hatte zu U.s Unterstützern gehört. Mittlerweile wird das Milieu der Reichsbürger vom Verfassungsschutz beobachtet.

Einen blutigen Anlass gab es nicht dafür, dass Qanon plötzlich öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland erhielt, obwohl Anhänger in den USA mittlerweile schon mehrere Morde verübt hatten. Vielmehr sorgten die Demonstrationen der »Querdenker« und »Coronaskeptiker« dafür, die zunächst ebenfalls als harmlose unpolitische Bürger galten, deren Sorgen man ernst nehmen müsse. Erst nach dem versuchten Sturm auf das zu diesem Zeitpunkt nicht besonders abgesicherte Reichstagsgebäude begann im September die allgemeine Beschäftigung mit den Lügengespinsten, die durch das Milieu geistern.

Dieser Versuch hatte mit der Aufforderung einer Heilpraktikerin aus der Eifel begonnen, die zu den sogenannten Gelbwesten in Aachen gehört und sich in Social-Media-Postings ebenfalls als Qanon-Anhängerin präsentierte. In ihren kurzen Ausführungen war alles vorgekommen, woran die Gefolgschaft des Kults sowie Reichsbürger glauben und was deren Behauptungen übergreifend so attraktiv für das extrem rechte Milieu macht: Trump, der als eine Art internationaler Erlöser gilt, sei im Rahmen einer geheimen Mission in der Stadt eingetroffen. Und er sei bereit, sofort einen Friedensvertrag mit Deutschland zu unterzeichnen, der die sofortige Souveränität des Landes garantieren werde; erforderlich sei allerdings ein Zeichen, und das bestehe darin, dass nun der Reichstag besetzt werden müsse.

Unausgesprochen blieb eine Lieblingsphantasie der Verschwörungsanhänger: die umgehende Machtübernahme durch »das Volk« und die Rachepläne, die zahlreich in einschlägigen Foren und Chats kursieren und deren Verfasser von Massenhinrichtungen und vorherigen Folterungen von Politikern, Mächtigen, Prominenten und Juden sowie der sofortigen Ausweisung aller träumen, die nicht als zugehörig angesehen werden.

Mittlerweile hat sich der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dafür ausgesprochen, die weitere Verbreitung des Qanon-Mythos in Messenger-Diensten einzudämmen und den Verfassungsschutz auf die Bewegung anzusetzen. Im Oktober stellte die Bundestagsfraktion der Linkspartei eine Kleine Anfrage zur Verbreitung des Qanon-Verschwörungsglaubens. In ihrer Antwort darauf warnte die Bundesregierung im November vor der »Resonanz«, die der Kult in Deutschland erhalte. Das Bundesinnenministerium gab an, die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden verfolgten die Entwicklung »mit großer Aufmerksamkeit«.

Dabei glauben längst nicht alle, die die Lügen von Qanon verbreiten, auch selbst an diese. Rechtsextreme Pub­likationen und Meinungsmacher haben die Chance erkannt, die die mittlerweile international gängige Verschwörungsvorstellung ihnen als einigendes Moment bietet. Es ist die ­Möglichkeit, noch mehr Menschen zu erreichen und auch mehr Umsatz mit Büchern, Abonnements und Merchandise zu machen.